Irrgarten der Expertisen

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Es rumort wieder einmal in der Koalition. Steuerreform jetzt oder erst später, das ist die Frage. Die derzeit offenbar keiner seriös beantworten kann.

Ein Blick auf den Gehaltszettel, und österreichweites Jammern hält einmal mehr Einzug in Büros und Fabrikshallen. Wer kann schon ernsthaft von sich behaupten, jeden Monat gerne einen nicht unbedeutenden Teil seines hart erarbeiteten Geldes dem Finanzminister zu überweisen? Dabei würde doch eine Senkung der Lohn- und Einkommenssteuern dafür sorgen, dass am Ende des Monats ein bisschen mehr Geld übrig ist.

Auch aus Sicht der Arbeitnehmervertreter wäre eine baldige, also schon ab 2004 wirksame, Entlastung der Einkommen nötig. Das dadurch frei werdende Geld würde ausgegeben, die ohnehin krisengebeutelte heimische Wirtschaft endlich angekurbelt werden, sind sich Experten sicher. Also aus wirtschaftspolitischer Sicht ein unumgänglicher Schritt, soll die Konjunkturflaute endlich beendet und eine positive Stimmung erzeugt werden.

Die Unternehmer haben ähnliche Sorgen: die Körperschaftssteuer (KÖSt) in Höhe von 34 Prozent. Wie viel einfacher und besser ließe es sich doch wirtschaften, wenn die Abgabenlast nicht gar so erdrückend wäre. Kein Wunder, dass für die Unternehmervertreter der Weisheit letzter Schluss der ist, dass die KÖSt gesenkt gehört. Und zwar ebenfalls möglichst bald. Denn mehr Geld in den Firmenkassen würde, so das Argument, mehr Investitionen und somit mehr Arbeitsplätze bringen: Wirtschaftsflaute ade.

Zudem sei Österreich als Wirtschaftsstandort nach der EU-Erweiterung nicht mehr konkurrenzfähig, haben doch die ungarischen Nachbarn nur 18 Prozent KÖSt zu berappen, in der Slowakei sind es 19 und in Tschechien und Slowenien 24 Prozent. Schlechte Chancen also für Österreich, wenn sich Unternehmer überlegen, ob sie sich hier oder vielleicht doch lieber jenseits der - in Wirtschaftsangelegenheiten dann ohnehin nicht mehr vorhandenen - Grenzen niederlassen.

Klingt alles logisch. Also müssten sich doch alle vernünftig denkenden Österreicher - Politiker eingeschlossen - für eine "Steuerreform jetzt" starkmachen. So wie FPÖ-Finanzsprecher Thomas Prinzhorn oder der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider, der mit der Ankündigung einer Steuerplattform wieder einmal in die Bundespolitik drängt. Oder wie SPÖ und Grüne, die beide für eine Reform eintreten.

Aber Finanzminister Karl-Heinz Grasser will davon nichts wissen. Und ist mit Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Wirtschaftsminister Martin Bartenstein einer Meinung: Es wird am Koalitionsübereinkommen festgehalten - eine umfassende Steuerreform gibt es erst 2005. Nur Jahreseinkommen bis 14.500 Euro werden vorher von der Steuerlast befreit, durch gezielte Lohnkostensenkung wird die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer erleichtert.

Irritation ist angesagt. Wie können sich Politiker den doch logischen Experten-Argumenten verschließen? Ganz einfach. Sie fragen andere Experten. Und die sagen das Gegenteil: Eine Steuerreform auf Pump erhöhe nur das Budgetdefizit und könnte ohne Auswirkungen auf das Wirtschaftsklima verpuffen. Denn vermutlich würden die Unternehmer eher sparen als investieren, und auch die Bürger würden das Geld auf die hohe Kante legen, um für Arbeitslosigkeit oder Pensionierung gewappnet zu sein. Und wenn sie es doch ausgeben würden - wer könne dann schon sicher sein, dass das Geld nicht in Auslandsurlaube und Importgüter gesteckt würde, also nicht der heimischen Wirtschaft zugute käme? Klingt auch logisch.

Jeder befragt also nur die Experten, die seine ohnehin schon festgefahrene Meinung untermauern. Und glaubt den anderen kein Wort. In Zeitungskommentaren schlagen sich angebliche Kenner der Materie auf die eine oder andere Seite und verfassen glühende Manifeste für dieses oder jenes Vorgehen. Konstruktiver wäre es, wenn die Wirtschaftswissenschafter nicht nur politische Forderungen und Gegenargumente untermauern, sondern endlich ihre unterschiedlichen Thesen abgleichen und Gemeinsamkeiten herausfiltern würden. Vielleicht würde dieses Verfahren wenigstens zu einer Übereinstimmung in den Grundzügen führen. Denn solange die Folgen einer Reform unklar sind, hat sie nur einen Sinn: den eigenen Wählern zu dienen. Das aber kann nicht der Sinn einer verantwortungsvollen Wirtschaftspolitik sein.

claudia.feiertag@furche.at

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