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Ist der Welthunger abgesagt?

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„Eine der größten, unserer Zeit gestellten Aufgaben ist wohl, zwischen den wirtschaftlich fortgeschrittenen und den wirtschaftlich noch in Entwicklung begriffenen Ländern die rechten Beziehungen herzustellen. Während die einen im Wohlstand leben, leiden die anderen bittere Not.“ Mit diesen Worten leitete Papst Johannes XXIII. in seiner Enzyklika „Mater et Magistra“ den Abschnitt des Rundschreibens ein, der sich ausführlich mit dem Problemkreis der krassen wirtschaftlichen Ungleichheit zwischen industrialisierten und unterentwickelten Ländern beschäftigt.

Auch Österreich, als Land, das zu den wohlhabenden der Welt zählt, trifft die Verpflichtung zur Entwicklungshilfe. In den letzten Jahren ist die staatliche österreichische Entwicklungshilfe angelaufen. 1963 wurde ein „Interministerielles Komitee zur Förderung der Entwicklungsländer“ (IKFE) ins Leben gerufen, dem Vertreter aller Ministerien angehören. Die Aufgabe dieses Komitees, das unter dem Vorsitz der Sektion V des Bundeskanzleramtes steht, hat die Aufgabe, die der Entwicklungshilfe gewidmeten Mittel aus dem Budget und aus dem ERP-Gegenwert-Fonds zu verteilen. Daneben gibt es seit 1964 ein weiteres interministerielles Komitee, das als „EntwicklungshUfe-Exportkomitee“ (EEK) such mit Exportkrediten befaßt und als „Interministerielles Komitee für Starthilfekredite“ die spezielle Aufgabe hat, über Starthilfekredite für die Gründung von Niederlassungen, Servicestationen usw. zu entscheiden. Neben diesen Komitees sind außerdem in den einzelnen Ministerten nach wie vor verschiedene Stellen mit Angelegenheiten der Entwicklungshilfe betraut. Von den Landesregierungen ist es besonders die Vorarlbergs, die schon seit Jahren Entwicklungsprojekte finanziert.

Katholische Organisationen führend

Das Startzeichen zur Entwicklungshilfe wurde in Österreich nicht von öffentlicher, sondern von privater Seite gegeben. Und hier sind es wiederum die katholischen Organisationen, die auf eine lange Aktivität hinweisen können. Alle diese katholischen Organisationen, die sich mit der Entwicklungshilfe befassen —etwa 20 an der Zahl —, wurden 1963 zur „Koordinierungsstelle für Entwicklungshilfe der österreichischen Bischofskonferenz“ im Afro-Asiati-schen Institut in Wien zusammengeschlossen. Sämtliche Projekte von katholischer Seite werden von dieser Stelle aus zentral geplant, um dann den einzelnen Stellen zur Durchführung übergeben zu werden. Zu den der Koordinierungsstelle angeschlossenen Organisationen zählen die Afro-Asiatischen Institute in Wien und in Graz, die der Betreuung der Studenten aus den Entwicklungsländern gewidmet sind. Das Wiener Afro-Asiatische Institut besitzt auch ein „Informations- und Dokumentationszentrum für Entwicklungshilfe und Entwicklungsländer“, das mehrere periodisch erscheinende Publikationen herausbringt.

Zu den katholischen Organisationen, die sich in erster Linie mit

Entwicklungsfragen beschäftigen, zählen noch das „Institut für internationale Zusammenarbeit“ (österreichische Pax-Christi-Bewegung), das mit dem Einsatz von Akademikern in Entwicklungsländern beschäftigt ist, und das „Katholische Frauenwerk“, das sich vor allem mit Aktionen gegen den Hunger befaßt („Familienfasttag“ usw.). Das „Landjugendwerk für Entwicklungshilfe“ der Katholischen Landjugend dient dem Einsatz freiwilliger Helfer auf dem Agrarsektor in den Entwicklungsländern, und schon mehrere Angehörige der KLJ befinden sich im Einsatz (u. a. im Tanganjika).

Industriellenvereinigung und Gewerkschaftsbund riefen 1962 gemeinsam das „österreichische Institut für Entwicklungshilfe und technische Zusammenarbeit“ ins Leben. Dieses Institut ermöglicht Arbeitern aus Entwicklungsländern eine Fachausbildung in Österreich. Damit ist auch die „österreichische Jungarbeiterbewegung“ beschäftigt, der auch der jüngste Besuch von Kardinal Paul Zoungrana galt. Das „Wiener Institut für Entwicklungsfragen“ befaßt sich mit Fachkontakten und mit der Information der Öffentlichkeit. Neben all diesen primär Entwicklungsproblemen gewidmeten Institutionen befassen sich noch zahlreiche andere Organisationen neben anderen Aufgaben auch mit Fragen der EntwicklungshUfe (Caritas, Evang. Jugendwerk, Kath. Arbeiterjugend, Kath. Jungschar, Gewerkschaftsbund, Bundeswirtschaftskammer u. a.).

Unser Beitrag

Nach einem Bericht des Bundeskanzleramtes betrug die Summe aller öffentlichen und privaten Aufwendungen Österreichs auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe im Jahre 1963 rd. 803 Millionen Schilling. Neben direkten Leistungen auf dem Gebiet der technischen Hilfe sind in dieser Gesamtsumme auch die staatlichen und privaten Exportkredite (320 Mill. S), die Ziehungen des Internationalen Währungsfonds (286 Mill.

S, gilt bei der OECD nicht als Entwicklungshilfe) und die Stipendien für Auslandsstudenten eingeschlossen, so daß die Gesamtsumme im Endeffekt viel weniger großartig als auf den ersten Blick ist. Aber immerhin, Staat und private Organisationen haben erkannt, daß Entwicklungshilfe nicht mildes Almosen, sondern brennende humanitäre Pflicht und zwingende ökonomische Notwendigkeit ist.

Weg mit den Vorurteilen

Obwohl Österreich selbst seinen wirtschaftlichen Aufstieg fremder Hilfe, dem Marshallplan, verdankt, kann man immer wieder hören, wie die Idee der Entwicklungshilfe generell abgelehnt und diffamiert wird. Die „Kronen-Zeitung“ schrieb in einem Kommentar: „... wir sind der Meinung, daß diese zwölfeinhalb Millionen, die dem Staatssäckel für die sogenannten Entwicklungsländer abgezweigt werden, zum Fenster hinausgeworfen sind ... In Afrika fehlen alle Voraussetzungen für einen positiven Einsatz von Geld in Form von Investitionen ... Unter diesen Umständen bedeutet jedes Geldgeschenk nur die Stützung unfähiger Regierungen.“ Auch der „Wiener Montag“ stößt immer wieder in dieses Horn. Ganz abgesehen davon, daß für Regierungen etwa wie die Leopold S. Senghors, Sir Abubakar Bilewas oder Julius Nyereres auch die „Kronen-Zeitung“ nur schwer den Nachweis der Korruption und Unfähigkeit erbringen könnte, zeigen solche Stellungnahmen nur, wie Vorurteil und naiver Europa-Zentrismus an den Erfordernissen der Weltwirtschaft vorbeiführen.

Kardinal König führte in seiner letzten Neujahrsbotsohaft aus: „Wenn iah die eine Menschheit für ein erstrebenswertes Ziel halte, dann darf ich das beklagenswerte Geschehen im Kongo nicht als Vorwand nehmen, mich von meinem Beitrag an der Hilfe zu drücken.“ Man könnte variieren, wer beispielsweise die Jahre zurückliegende Affäre um das goldene Bett der Gattin eines ghanesischen Ministers immer wieder zum Vorwand nimmt, um sich unter Verdeckung seiner eigentlichen Moitve, Vorurteil und Nichtwissen, gegen die internationale Aufbauarbeit auszusprechen, wendet sich gegen Menschlichkeit und Vernunft. Hier müßte noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden. Leider gehen die Spitzen der Öffentlichkeit nicht immer mit gutem Beispiel voran. So wurde heuer die jährliche Straßensammlung des „österreichischen Komitees der Weltkampagne zur Bekämpfung von Hunger und Not“ mit dem Hinweis auf die Überschwemmungskatastrophen untersagt. Der Welthunger ist also abgesagt. Menschen dürfen wegen der Unwetterkatastrophen nicht vom Hungertod gerettet werden. Sieht man denn nicht, daß die von den Demokratien innerstaatlich widerlegte Marxsche Verelendungs-theorie sich in globalem Maßstab zu bewahrheiten droht? Noch viel bleibt also zu tun, um im Bewußtsein aller Österreicher das Wissen um die humanitäre Pflicht und wirtschaftliche Notwendigkeit der EntwicklungshUfe zu verankern.

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