Werbung
Werbung
Werbung

Die Betreiber des Volksbegehrens zeichnen ein verzerrtes Bild der österreichischen Wirklichkeit.

Schaut so die Zukunft aus?" fragen Plakate landauf, landab. Das Bild zeigt Menschen mit leeren Blicken, dicht gedrängt auf dem Gang des Arbeitsamtes sitzend; auf der Info-Screen in der U-Bahn zur selben Frage ein junger Mann in seinem Schlafsack; eine einschlägige Diskussionsveranstaltung wird mit der Feststellung beworben, "saukalt" sei es in unserem Gemeinwesen geworden.

Das "Volksbegehren Sozialstaat Österreich" (Eintragungsfrist 3. bis 10. April) kündigt sich an; seine Proponenten suggerieren mit ihrer PR-Arbeit, in Österreich herrsche, was unter dem Titel "amerikanische Zustände" - teils zurecht - als Schreckgespenst in europäischen Köpfen herumspukt. Das ist der Populismus derer, die sich sonst so gerne als Anti-Populisten gerieren.

Der harte Kern der Sache liegt in der Forderung, die Sozialstaatlichkeit Österreichs in der Verfassung zu verankern: Dem Artikel 1, der festhält, dass Österreich "eine demokratische Republik" ist, deren Recht "vom Volk aus(geht)", soll ein Absatz 2 hinzugefügt werden, der das Land als "Sozialstaat" definiert. Gesetzesvorhaben hätten sich demnach an "sozialer Sicherheit und Chancengleichheit" zu orientieren, die diversen sozialen Sicherungssysteme müssten "öffentlich-rechtlich" sein bzw. bleiben, die Finanzierung des Sozialstaates verlange von den "in Österreich lebenden Menschen einen ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage angemessenen Beitrag".

Man ist geneigt, einen alten Werbeslogan zu zitieren. "Wer kann dazu schon nein sagen!". Wenigstens vom Prinzip her bekennt sich wohl fast jeder zur Idee des Sozialstaats. Und in der Tat sollten wir daran festhalten, dass der Staat hinsichtlich der sozialen Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger nicht aus der Verantwortung entlassen werden darf, wofür wiederum die Bürgerinnen und Bürger einen entsprechenden Beitrag zu leisten haben - zum einen, weil sie auch selbst abgesichert sein wollen, zum anderen, weil der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft auch für die nicht der Sozialleistungen Bedürftigen ein hohes Gut ist.

Soll aber die ohnedies schon mit Unsäglichkeiten aller Arten (Taxikonzessionen etc.) überfrachtete Verfassung noch um weitere Bekenntnisse angereichert werden? Der Umgang der Politik mit der Rechtsgrundlage der Republik war über die Jahre von grober Fahrlässigkeit gekennzeichnet. Aus strategischen Überlegungen wurde so manches in Verfassungsrang erhoben und damit einzementiert, die Verfassung auf diese Weise nachhaltig beschädigt. Mehrfach wurde deshalb schon eine Revision der Verfassung gefordert. Das leitende Prinzip dabei müsste sein: "Weniger ist mehr". Parteitaktik hat dabei nichts zu suchen, aber auch nicht alles, was politisch wünschenswert sein mag, gehört in den Sockel eingraviert.

Die Betreiber des Sozialstaats-Volksbegehrens zeichnen ein düsteres Bild von der Wirklichkeit, um die von ihnen geforderte verfassungsmäßige Verankerung des Sozialstaats als notwendig erscheinen zu lassen. Damit sind wir freilich wieder beim Thema Populismus: Ist es in Österreich tatsächlich "saukalt"? Droht in diesem Land der "Turbokapitalismus"? Einer der Grundsatzdenker dieser Regierung, Andreas Khol, hat in zwei Büchern seine Vision einer "Bürgergesellschaft" entwickelt. Einem klassischen Wirtschaftsliberalen wie dem Presse-Chefredakteur Andreas Unterberger entlockte das seinerzeit ein spöttisches "Schon wieder ein dritter Weg'". Mit Neoliberalismus und ähnlichem hat Khols Gesellschaftsmodell, was immer man sonst davon halten mag, tatsächlich herzlich wenig zu tun.

Zu beanworten ist die Frage nach dem Ausmaß der staatlichen Absicherung und deren Finanzierung sowie die unmittelbar daran hängende Frage, inwieweit dem Einzelnen zumutbar ist, für vorhersehbare (Alter) und unvorhersehbare (Unfälle, Krankheit) Fälle selbst vorzusorgen. Die Koalition hat hier, das ist wahr, einige Schritte in Richtung mehr Eigenverantwortung gesetzt. Das würde jede Mitte-Rechts-Regierung so halten - und, mit Abstrichen sowie mit Sozialrhetorik verbrämt, auch jede Mitte-Links-Regierung. Davon aber, dass der Staat im Begriff sei, sich aller sozialen Aufgaben zu entledigen, kann wohl keine Rede sein. Dass indes in der Verfassung festgeschrieben sein soll, dass soziale Absicherung ausschließlich seitens des Staates zu erfolgen habe, mutet skurril an.

Es existiert eine Studie des EU-Parlaments, die zeigt, dass alle Mitgliedsländer außer Großbritannien und eben Österreich auch soziale Rechte in ihren Verfassungen verankert haben. Eine Tabelle veranschaulicht das sehr schön: Während etwa bei Portugal neben den diversen Rechten (Arbeit, Bildung, Gesundheit etc.) überall ein "x" steht, herrscht in den Spalten "A" und "GB" gähnende Leere. Die Studie warnt freilich vor voreiligen Schlüssen. So heißt es dort: "Dennoch ist Österreich einer der Mitgliedsstaaten mit der größten sozialen Sicherheit" - und als Resümee wird festgehalten, dass "es nicht der verfassungsrechtlichen Verankerung sozialer Grundrechte bedarf, um die soziale Grundversorgung der Bürger zu gewährleisten".

Das Pikante daran: Zu dieser Studie kommt man unter anderem über die Homepage des Sozialstaats-Volksbegehrens (www.sozialstaat.at). Links sind eben oft wirklich hilfreich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung