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Die modernen Reproduktionstechnologien ermöglichen eine bisher noch nie da gewesene individuelle Lebensplanung. Diese Freiheit hat zwei Seiten: einerseits können wir vieles selbst gestalten, andererseits sind viele von dieser Freiheit überfordert. Die Gefahr besteht, dass man für sein eigenes Schicksal selbst verantwortlich gemacht wird und damit die Solidarität abnimmt. Nicht alle Menschen können und wollen sich mit den Details der Reproduktionstechnologien auseinandersetzen. Da die Menschen sehr verschieden sind, werden einige auf das Recht auf Nichtwissen pochen, einige werden ihren Glauben als Leitfaden ihrer Handlungen verwenden und einige werden versuchen möglichst wenig dem Zufall zu überlassen. Für alle diese Lebensweisen muss in einer liberalen Gesellschaft Platz sein.

Aufgabe der Regierungen ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen der Wissensdrang der Menschen nicht gebremst wird und unter denen Missbrauch in der Anwendung neuer Techniken verhindert wird. Beunruhigend empfinde ich den Trend religiöse Sichtweisen mit Politik zu verbinden. Die Trennung von Religion und Staat ist eine Forderung, die schon im 18. Jahrhundert zur Zeit der Aufklärung gestellt wurde, und heute am Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es christdemokratische Parteien, die Kirchengesetze mit Staatsgesetzen gleichsetzen. Die Leidtragenden sind immer die Frauen, denn alle großen monotheistischen Religionen haben die weiblichen Bedürfnisse ignoriert. Ein Großteil des Unbehagens über die modernen Reproduktionstechnologien beruht auf dem Versäumnis, die Frauen an allen Entscheidungsprozessen teilhaben zu lassen. Frauen sind die Betroffenen, daher müssen Frauen mehrheitlich an der Erstellung der Rahmenbedingungen für eine vernünftige Anwendung dieser neuen Techniken beteiligt sein.

In den letzten Monaten habe ich mit vielen Frauen über ihre Erfahrungen gesprochen. Der Bogen spannt sich von dem Empfinden, dass die Geburt ihres behinderten Kindes für sie und die Familie eine Bereicherung war bis zur Feststellung, dass das behinderte Kind das Leben der Familienmitglieder zerstört hat. Für die eine ist der Gedanke, dass sie dieses Kind vielleicht nicht bekommen hätte, unerträglich, die andere würde jeder werdenden Mutter raten alles zu tun um kein behindertes Kind auf die Welt zu setzen. Warum waren die Erfahrungen dieser betroffenen Mütter so unterschiedlich? Wir sollten Behinderung nie als Allgemeinbegriff verwenden, weil manche Krankheiten, die das Leben sehr qualvoll machen, nicht als Behinderung sondern als Krankheit gesehen werden und manche Behinderung ein glückliches Leben nicht ausschließt. Die Vielfalt der Abweichungen von dem was wir als Norm sehen ist größer als unser Vorstellungsvermögen und diese gehört zum Leben und zur Evolution.

Solidarität gefragt

Den Entwicklungsstand einer Gesellschaft erkennt man daran, wie sie mit Mitgliedern umgeht, die nicht den Erwartungen entsprechen. Kein Arzt darf auf eine werdende Mutter Druck machen eine Pränataldiagnose durchzuführen, und kein Kirchenvertreter oder religiöse Politiker darf Frauen dazu zwingen ein behindertes Kind auszutragen. Das Verbot einer Präimplantationsdiagnose kommt in meinen Augen einer vorsätzlichen schweren Körperverletzung gleich; die Pflicht dazu ist mit der Beachtung der Menschenrechte nicht vereinbar. Jeder muss die Freiheit haben für sich selbst zu entscheiden, und die Gesellschaft hat die Pflicht mit jenen, die es nicht so leicht haben, solidarisch zu sein.

Die Autorin ist Professorin für Mikrobiologie an der Universität Wien und Mitglied der Bioethikkommission des Bundeskanzlers

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