"Jedes Wohnzimmer soll etwas ERZÄHLEN"

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Was einen Plastikstuhl zum Kultobjekt macht, wie Design Sehnsüchte stillt und warum man Mobiliar teilt: Ein Gespräch über die Semantik von Möbeln.

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Was einen Plastikstuhl zum Kultobjekt macht, wie Design Sehnsüchte stillt und warum man Mobiliar teilt: Ein Gespräch über die Semantik von Möbeln.

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Für seine eigenen Entwürfe wurde Günther Grall wiederholt ausgezeichnet. Seit zwölf Jahren gibt der studierte Industrial Designer und Philosoph sein Wissen an der Fachhochschule Salzburg weiter, wo er den Studiengang Design & Produktmanagement aufbaute und nun leitet.

DIE FURCHE: Der deutsche Kabarettist Rainald Grebe schildert in seinem Lied "Reich mir mal den Rettich rüber" eine Szene, in der zwei junge Paare beim Abendessen sitzen. Sie unterhalten sich über Möbel und sind sich einig, dass Ikea ihnen nicht ins Haus kommt. "Bis auf den Tisch da, der ist von Ikea, sieht aber nicht nach Ikea aus", heißt es. Ist diese Szene symptomatisch für das Dilemma von Designern, mit Waren von der Stange das Bedürfnis von Individualität stillen zu müssen?

Günther Grall: Die Szene zeigt vor allem ein altes Phänomen: Wir brauchen zwei Arten von Produkten -Dinge, die wir für uns kaufen, und welche, die wir für andere kaufen. Nur einen Bruchteil von dem, was wir kaufen, brauchen wir wirklich. Mit vielen Produkten, und eben auch Möbeln, mit denen wir uns umgeben, wollen wir uns unserem sozialen Umfeld mitteilen. Das war schon immer so: Meine Oma hatte noch eine Stube, da durften wir als Kinder nicht rein. Sie war für den Besuch am Sonntag reserviert, da wäre Ikea auch nie reingekommen.

DIE FURCHE: Heute gibt es diese Stube oft nicht mehr, im Gegenteil: Sogar die Küche wird gerne ins Wohnzimmer integriert.

Grall: Wenn auch nicht so streng wie bei Oma, gibt es nach wie vor eine Trennung in Privatraum und Repräsentationsraum. Gerade in Österreich, wo der Druck zu kleinen Wohnungsgrundrissen noch nicht so groß ist wie in hochurbanen Ballungsräumen wie Tokyo oder New York. Bei uns nimmt die Wohnfläche pro Kopf sogar zu. Die Mittelschicht lebt in verhältnismäßig sehr großen Wohnungen.

DIE FURCHE: 1971 standen jedem Österreicher im Schnitt 23,1 Quadratmeter zur Verfügung, heute sind es 41,2. Wie die prototypisch gestaltet werden, hat die deutsche Werbeagentur Jung von Matt erhoben. Im Standardwohnzimmer, das in Österreich wohl ähnlich ausschaut, steht eine Polstergarnitur, eine Schrankwand aus hellem Holz, ein Deckenfluter. Wie viel Spielraum haben Möbeldesigner in dieser Durchschnittlichkeit?

Grall: Ich halte wenig von dieser Durchschnittsidee. In der Forschung wurden 15 verschiedene Wohnstile identifiziert, die Ansprüche sind also durchaus vielschichtiger. Im Gegenteil, wir sind heute mit dem sogenannten Stilpluralismus konfrontiert, will heißen, es existieren nebeneinander die unterschiedlichsten Wohnstile. Design soll immer Emotionen bedienen, aber wodurch die hervorgerufen werden, unterscheidet sich in den verschiedenen Stilgruppen. So hat beispielsweise das traditionslose Arbeitermilieu ein anderes Wohnideal als etwa die bürgerliche Mitte, und wir wissen sogar recht genau, wer sich an wem orientiert, also, welchen Lebensstil man gerne leben würde. Meist beginnen neue Trends im hedonistischen Milieu, nach fünf bis zehn Jahren sind Formen und Farben dann in den Katalogen der Diskonter angekommen.

DIE FURCHE: Der Unterschied zwischen dem Möbelhaus und der Designanfertigung ist nicht zuletzt der Preis. Ist Möbeldesign ein Elitenthema?

Grall: Wenn Sie mit "Elite" das einkommensstarke Milieu meinen, so wohnen diese natürlich anders, man will sich abheben. Andererseits werden auch die billigen Möbel von Designern entworfen. Es gibt aber quer durch die Schichten eine klare Bewegung hin zu Qualität, die man nicht auf die obere Einkommensschicht reduzieren kann. Auch junge Menschen, die nicht viel Geld haben, entscheiden sich häufiger dazu, ein hochwertiges, nicht modisches Möbelstück zu kaufen, das ruhig auch etwas kosten kann. Dazu kommt, dass die Tendenz zum Teilen auch den Einrichtungsbereich erfasst hat: Man muss nicht mehr alles besitzen, sondern mietet sich ein Möbelstück für einen begrenzten Zeitraum. Oder man kauft es, im Wissen, es später weiterzuverkaufen. Diese Flexibilität ist auch bei vielen Studentenarbeiten bei uns an der Fachhochschule ein Thema und beeinflusst das Möbeldesign stark. Es werden auch vermehrt Stücke entworfen, die man leicht zusammenpacken und übersiedeln kann, weil Mobilität der jungen Generation wichtiger ist.

DIE FURCHE: Ein weiterer Trend ist Do-it-yourself. Das Internet ist voll mit Anleitungen zum Selberbauen, in Wohnungen und Lokalen tauchen gebastelte Möbel aus alten Europaletten auf. Macht das Möbeldesignern Konkurrenz?

Grall: Das eine schließt das andere nicht aus. Ob ein Produzent das Möbel produziert oder der Konsument, ist dem Designer beinahe egal. Das Do-it-yourself ist eine spannende Entwicklung , Technologien wie 3D-Drucker bieten neue Möglichkeiten, aber man muss das noch Experimente nennen. In der breiten Masse sind sie noch nicht angekommen. Der technologische Fortschritt beflügelt aber das professionelle Design. Aus den stets selben Materialien etwas anderes zu machen, ist langweilig.

DIE FURCHE: Welche neuen Materialien gibt es?

Grall: Im Vorjahr hat das österreichische Team mit seinem Hausprojekt den vom amerikanischen Energieministerium ausgeschriebenen Preis für nachhaltiges Bauen, den "Solar Decathlon", gewonnen. Im "Lisi-Haus" sind die Wände in der Schlafkoje und die Stühle um den Esstisch aus Baumrinde gefertigt. Das ist ästhetisch und haptisch interessant und bringt uns zu neuen Nachhaltigkeitswerten. Technologische Entwicklungen treiben Möbeldesign traditionell stark voran. In den 70er-Jahren waren das die Kunststoffe. Der berühmte Stuhl von Verner Panton wäre unmöglich gewesen ohne die Entwicklung des glasfaserverstärkten Kunststoffs.

DIE FURCHE: Der Panton-Chair ist immer noch begehrt. Gibt es Designstücke, die quer durch die Jahrzehnte und Milieus als ästhetisch wahrgenommen werden?

Grall: Design hat nie den Anspruch, dass es allen gefällt, und man würde daran auch grandios scheitern. Es beschäftigt sich mit den spezifischen Bedürfnissen der jeweiligen Kundenschicht und damit, wie diese die Entwürfe interpretiert. Der Mensch sieht nur, was er weiß. Zum Panton-Chair kann man ohne Hintergrundwissen höchstens sagen, ob er gefällt oder nicht. Andere verbinden mit dem Sessel eine weltoffene Haltung, können die Geschichte erzählen, wissen ihn einzuordnen. Für sie hat er eine spezielle Bedeutung.

DIE FURCHE: Ein Kultobjekt wird erst zu einem Kultobjekt, wenn genügend Menschen wissen, dass es ein Kultobjekt ist?

Grall: Sicher! Wir erzählen mit unseren Produkten Geschichten über uns, zeigen, wer wir sein wollen. Sie dienen unserem nonverbalen Mitteilungsbedürfnis. Verner Panton hat wild mit den neuen Kunststoffen experimentiert. Er ist an Krebs gestorben, weil er ohne Schutz mit giftigen Materialien modelliert hat. Er hat neue Gestaltungsfreiräume - sicherlich in Kombination mit damals noch legalen Drogen - radikal genutzt und nie dagewesene Formen geschaffen. Panton war ein Vordenker, ein Rockstar: unkonventionell, verrückt, weltoffen - für jemand, der sich heute einen Panton-Chair kauft, ist es wichtig, dieses Statement zu zitieren. Und klar ist es wichtig, dass das soziale Umfeld das auch versteht

DIE FURCHE: Wollen alle Menschen, quer durch die Milieus, mit ihren Möbeln Statements setzen?

Groll: Ein Repräsentationsraum, meist Wohnzimmer oder Küche, soll immer eine Geschichte erzählen. Mit Möbeln kann man genau wie mit anderen Produkten vermitteln, wie man sich sieht oder wie man gern sein möchte. Das war schon vor 40.000 Jahren zu: Die Neandertaler hatten viel mehr Faustkeile als gebraucht wurden, und die Ranghöheren besaßen die schöneren Faustkeile als Statussymbole. Es waren auch ausgefallenere Faustkeile dabei - die Panton-Chairs von früher.

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