Jenseits von Recht und Würde

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Von der Flucht vor Krieg und Tyrannei in die dreckigsten Gefängnisse Europas: Im Grenzgebiet zwischen Griechenland und Türkei vegetieren Tausende Asylwerber unter unmenschlichen Bedingungen in Lagern und Polizeistationen. Die Politik bleibt tatenlos.

Im Winter ist Thrakien ein abweisender, schmutzig-grauer Ort. Die kalten Nebel aus den Sümpfen des Evros-Deltas ziehen eisige Schleier über das Land. Das üppige Grün der Wiesen und Wälder ist zu winterlichem Braun gefault. In der Nacht hören die Bewohner von Feres und Tychero, kleine Ortschaften wenige Hundert Meter von der türkischen Grenze entfernt, oft Rufe vom Fluss her. Dann kommen Menschen in Kähnen, meist Frauen und Kinder. Junge Männer versuchen es schwimmend durch das eiskalte Wasser. Bis zu 250 Menschen sind es pro Tag, auch jetzt noch. Syrer, Kurden, Afghanen, Abessinier, Nigerianer, Iraker, Iraner.

Fallweise hört man auch Schüsse. Das sind die Grenzbeamten auf der griechischen Seite. Ihr Auftrag lautet "abschrecken und abdrängen“. Viel Wirkung zeigt das nicht. Auch die Zäune nicht und die Grabenwälle, die nächstes Jahr auf bis zu 30 Kilometer Länge ausgebaut werden sollen. Thrakien bleibt das Haupteingangstor für Flüchtlinge in die Europäische Union. 47.000 waren es im vergangenen Jahr.

Geschockte Reisende

Im Oktober reiste eine Delegation des deutschen Bundestages nach Tychero und Fylakio. Auf dem Programm der Mission standen Besuche bei den Flüchtlingsaufnahmezentren. Der Grüne Abgeordnete Josef Winkler ist noch heute "geschockt über den Zustand dieser Gefängnisse“.

Winkler sieht Asylsuchende, die dicht an dicht in Zellen gedrängt stehen, monatelang auf engstem Raum zusammengepfercht. Die Zellen sind doppelt vergittert, Freigang gibt es nicht. Die Räume starren vor Schmutz. Für 70 Menschen gibt es eine einzige Toilette. Der Abort ist verstopft, weshalb sich ein Gemisch aus Kot, Urin und Wasser in die umliegenden Matratzen saugt.

Der SPD-Abgeordnete Rüdiger Veit hat "unvorstellbare Drecklöcher“ in Erinnerung. "Verzweifelt schreiend und dicht gedrängt am Eingangsgitter haben uns die Frauen in Fylakio um Hilfe angefleht“. In Tychero sieht Veit "erschöpfte Flüchtlinge auf dem blanken Betonboden liegen“.

Draußen vor den Lagern läuft die Operation "Poseidon Land“ ab. 176 Beamte der FRONTEX-Grenzschutztruppe der EU machen Streifendienst, befragen Flüchtlinge, schreiben Berichte: Wieviele Grenzübertritte, wo, wann?

Der Einsatz ist nicht billig. Das Unternehmen Poseidon kostet 40 Millionen Euro pro Jahr. Für die Flüchtlingsunterbringung gibt es derzeit nur ein Viertel dieses Betrags. Ende August musste die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen ein Not-Team in die Region entsenden, nachdem das griechische Gesundheitsministerium wegen "finanzieller Engpässe“ sein ärztliches Personal kurzerhand aus den Lagern abgezogen hatte. Ärzte ohne Grenzen-Einsatzleiterin Ioanna Pertsinidou: "Es gibt enormen Bedarf an ärztlicher und humanitärer Betreuung. Seit Jahren sind die Zustände unverändert schlecht.“

Tatsächlich hatte es bereits 2010 einen internationalen Aufschrei wegen der schlechten Behandlung der Flüchtlinge gegeben. Die griechische Regierung versprach damals Besserung und sogar die Einrichtung neuer Lager. Doch geschehen ist wenig bis gar nichts. Ärzte ohne Grenzen-Einsatzleiterin Pertsinidou berichtet: "Die Zellen in den Lagern wurden neu gestrichen und frische Laken und Handtücher ausgeteilt. Das war allerdings eine einmalige Aktion. Seither müssen die schmutzigen Sachen von Flüchtling zu Flüchtling weitergegeben werden.“

Kinderschutz nicht vorhanden

Auch beim Kinderschutz gibt es keine Verbesserungen: 340 Betreuungsplätzen für unbegleitete Minderjährige stehen nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen 4460 Kinder-Flüchtlingen gegenüber.

Bei Außentemperaturen um den Gefrierpunkt gibt es kaum funktionierende Heizkörper und ausreichende Bekleidung. Statt Socken oder Strümpfen wickeln sich die Flüchtlinge Wollreste um die Füße, wenn sie nach ihrer Entlassung stundenlang bei Minusgraden vor den Lagern um amtliche Bestätigungen anstehen müssen.

Wer endlich aus den Lagern entlassen wird, erhält keine staatliche Unterstützung mehr. Ohne Geld und Nahrung machen sich viele auf den viereinhalb Stunden dauernden Fußmarsch von Fylakio zum nächsten Bahnhof. Von dort sind es 1.000 Kilometer nach Athen.

Doch auch dort angelangt, bewegen sich die Asylwerber in einem Niemandsland: Rechtlich, menschlich und existenziell. Die Weiterreise in ein reicheres Land der Union ist nur wieder über Schlepperorganisationen möglich. Werden Asylsuchende in Österreich aufgegriffen, beginnt die Odyssee oft von Neuem. Anni Knapp von der österreichischen Asylkoordination berichtet über zahlreiche Abschiebungen von Flüchtlingen aus Österreich nach Ungarn.

Warnung vor Ungarn

Das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR warnt vor diesen Abschiebungen. Christoph Pinter, Chefjurist der Behörde: "Es hat den Anschein, dass Misshandlungen von Asylwerbern durch ungarische Polizisten alltäglich vorkommen.“ Außerdem gaben Inhaftierte zu Protokoll, ihnen seien "systematisch Medikamente und Beruhigungsmittel verabreicht worden“, so Pinter.

Die ungarischen Behörden schieben überdies laut UNHCR regelmäßig Asylwerber nach Serbien ab. Wenn sie Pech haben, landen die Menschen dann nach Jahren der Irrfahrt wieder in Griechenland, in Athen oder in den Lagern am Evros. Von Serbien ist nämlich im Gegensatz zur derzeitigen Praxis in der EU die Abschiebung nach Griechenland möglich.

Postskript: Die EU-Kommission hat Griechenland 2010 über 20 Millionen Euro für die Erneuerung der Flüchtlingslager zur Verfügung gestellt. Athen hat diese Gelder bisher nicht abgerufen. Gegenüber den empörten Abgeordneten aus Deutschland rechtfertigte sich der zuständige Minister Christos Papoutsis im Oktober damit, Aufwendungen für die Flüchtlinge wären dem griechischen Volk "nicht vermittelbar“.

Im Oktober hat Deutschland die EU-Kommission aufgefordert, wegen der unmenschlichen Zustände ein EU-Vertragsverletzungsverfahren zu prüfen.

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