"Jetzt mach ich endlich Kassasturz“

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Seit ihrem 20. Lebensjahr hat Julia Helmke über ihre Verhältnisse gelebt. Nun, heillos überschuldet, hofft sie auf einen Neuanfang mittels Privatkonkurs - und hat schmerzhaft realisiert, dass erst Schuldenfreiheit Freiheit bedeutet.

Traumwohnungen sehen anders aus. Sie liegen nicht in einer zugigen Straße im 15. Wiener Gemeindebezirk. Sie liegen nicht nordseitig. Und sie liegen schon gar nicht im Parterre. Es ist vor allem diese ständige Düsternis, die Julia Helmke an ihrer derzeitigen Bleibe stört. Doch ansonsten sei es hier gut auszuhalten: Auf den 75 Quadratmetern gingen sich für sie und ihre zwei Kinder vier kleine Zimmer aus; ein kleiner Gartenanteil sei dabei; und, was am wichtigsten ist: Sie könne sich diese Wohnung endlich leisten.

Helmke will völlig neu beginnen. Jetzt, mit 34 Jahren, will sie sich ihren Schulden stellen. Jetzt, mit ungezählten Mahnungen und Strafen im Nacken, will sie endlich ein Leben führen, das ihr zwar weniger Komfort, aber dafür den Luxus der Freiheit bietet. Ihr Ziel heißt Privatkonkurs. Doch dafür muss sie erst jene Hausaufgaben absolvieren, die ihr die Schuldnerberatung mitgegeben hat: Gläubiger kontaktieren, Schuldenstand erfragen! "Jetzt mach ich endlich Kassasturz“, sagt die zarte Frau mit der dunklen Stimme. Die Sozialversicherung hat sie schon telefonisch erreicht, beim Finanzamt war sie persönlich. Aber es gebe Tage, da sei sie fast gelähmt vor Angst. Erst, wenn klar ist, wie hoch die Schulden und wer die Gläubiger sind, kann freilich ein Zahlungsplan erstellt werden. Stimmen die Gläubiger der vereinbarten Rückzahlungsquote zu und kann sie selbst diese Quote sieben Jahre lang erfüllen, dann werden ihr die Restschulden erlassen.

Es wäre das erste Mal, dass Julia Helmke ohne finanzielle Abhängigkeiten existiert. Gleich nach der Matura marschiert sie geradewegs zur Bank, um sich dort teures Geld für ihren Alltag zu leihen: für die Wohngemeinschaft mit ihrem Freund, für Fixkosten, für Mode. Wenig später, als die Kurzzeit-Studentin schwanger wird und zu den Eltern ihres Freundes zieht, hat sie schon 20.000 Schilling Schulden im Gepäck.

"Das war für mich immer normal“, erinnert sich Julia Helmke. Hat sie dringend Geld gebraucht, war stets ihr Vater zur Stelle. Doch auch er selbst hat auf Pump gelebt. "Ich bin mit dem seltsamen Bild aufgewachsen, dass wir eine hochwohlgeborene Familie sind. Doch dann ist der Gasmann gekommen und hat uns den Saft abgedreht.“

Die junge Frau lebt das Vorbild ihrer Eltern freilich nahtlos fort: Als sie sich vom Vater ihrer Tochter trennt, zieht sie in eine Dachgeschoßwohnung - die sie sich nicht lange leisten kann. Doch auch die darauf folgende, bescheidenere Bleibe sprengt ihren Rahmen. Jahrelang übersteigen die monatlichen Fixkosten ihre Einkünfte als Sachbearbeiterin eines Konzerns. Dazu kommen noch die Kosten für ihre Ausbildung an der Werbeakademie.

"Es sah so aus, als würde sich das ausgehen“

Die junge Mutter muss sich folglich um einen neuerlichen Kredit bemühen - und Umschuldungen erwirken. "Ich habe der Bank damals nichts Falsches erzählt“, meint sie rückblickend, "es hat einfach immer so ausgesehen, als würde sich das irgendwie ausgehen.“ Doch es geht sich nicht annähernd aus - schon gar nicht nach Ende ihrer Ausbildung, als sie drei Jahre ohne Arbeit bleibt. Über 300 Bewerbungen schickt sie ab, absolviert das Cambridge Certificate for Business and Trade - und zieht doch immer den Kürzeren. 2003, als sie einen Job in einer Versicherung ergattert hat und daneben als Englischlehrerin in der Erwachsenenbildung arbeitet, lernt sie den späteren Vater ihres Sohnes kennen. Mit ihm, dem Visionär, zieht sie in eine luftige Dachgeschoßwohnung mit Terrasse, übernimmt den Botendienst ihres Vaters, legt fleißig Rechnungen - und kümmert sich weder um Steuer noch um Sozialversicherung. "Ich war total chaotisch unterwegs“, sagt Julia Helmke, "ich habe keine Verantwortung für mein Leben übernommen.“ Schließlich borgt ihr eine Verwandte eine größere Summe, mit der sie panisch offene Rechnungen begleicht. Die größte Fehlentscheidung ihres Lebens.

Es ist das Jahr 2008, als Julia Helmke endlich die Notbremse zieht. Sie trennt sich von ihrem Partner und siedelt nach Rudolfsheim-Fünfhaus in die nordseitige Wohnung im Erdgeschoß. Hier versucht sie, endlich ihr Leben in den Griff zu bekommen: Um 120 Euro wöchentlich kauft sie in einer Billig-Kette ein, was ihre Familie zum Leben braucht; Kleidung für die Kinder bekommt sie von ihrer Schwester vererbt; und neue Sachen für sie selber sind tabu. Ihre Freunde, die sie früher gerne großzügig eingeladen hat, sind ihr gottlob treu geblieben. Und dass sie nun neben ihren Englischkursen auch eine Stelle als Hortbetreuerin in einem katholischen Gymnasium bekommen hat, das gibt ihr Kraft.

Fehlt nur noch das Ja der Gläubiger zu ihrem Privatkonkurs. "Ich bin so aufgeregt“, sagt diese zarte Frau mit ihrer dunklen Stimme. "Denn mittlerweile weiß ich es: Schuldenfrei heißt frei!“

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