„Junge Menschen werden von Firmen oft geködert“

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Der Arbeitsrechtsexperte Wolfgang Mazal rät jungen Menschen, lieber ein normales Arbeitsverhältnis als Praktika zum Berufseinstieg anzustreben.

Wolfgang Mazal definiert „Praktika“ als Tätigkeit, die überwiegend dem Eigeninteresse des Praktikanten unterliegt. Doch mit dem Begriff wurde vielfach Etikettenschwindel betrieben, beklagt er.

Die Furche: Herr Professor, was halten Sie vom EU-Vorstoß bezüglich Praktika?

Wolfgang Mazal: Die Möglichkeit ein Praktikum zu machen, war lange Zeit eine Chance, Erfahrungen in der Arbeitswelt zu sammeln, ohne den Zwängen des Arbeitsrechts zu unterliegen. Es ist aber evident, dass in den letzten zehn bis 15 Jahren viele Praktikanten schlichtweg als billige Arbeitskräfte ausgenutzt und ihre Arbeitskraft ohne Bezahlung massiv in Anspruch genommen wurde. Angesichts solcher Zustände ist es naheliegend, wenn man an Mindeststandards denkt.

Die Furche: Was würden Sie vorschlagen, um dieser Ausbeutung einen Riegel vorzuschieben?

Mazal: Dort, wo die Tätigkeit des Praktikanten für das Unternehmen wirtschaftliche Vorteile bringt, gehört immer ein normales Arbeitsverhältnis angewendet. Das ist dann in Wahrheit kein Praktikum. Ein solches ist eine Tätigkeit, die überwiegend im Interesse des Praktikanten steht, und dort bedarf es meines Erachtens keiner gesetzlichen Regelungen. Die Erfahrung zeigt aber, dass unter dem Begriff „Praktikum“, also unter einem falschen Etikett, billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden.

Die Furche: Wie kann man den Etikettenschwindel verhindern?

Mazal: Durch Klagen vor Gericht. Die Erfahrung zeigt aber, dass dieser Weg zu langwierig und zu ineffektiv ist.

Die Furche: Lassen sich junge Leute zu viel gefallen oder sind sie uninformiert?

Mazal: Ich habe vielfach erlebt, dass sich junge Leute dessen sehr wohl bewusst sind, dass sie ausgebeutet werden und in Wahrheit normale Arbeitnehmer sind. Aber sie haben oft nicht die Kraft und das Interesse, sich dagegen zu wehren. Arbeitgeber haben oft junge Menschen mit Aussicht auf eine spätere Dauerbeschäftigung schlichtweg geködert.

Die Furche: Was würden Sie jungen Leuten für Ihren Berufseinstieg raten?

Mazal: Sie sollten ein normales Arbeitsverhältnis anstreben, nicht nur Jungakademiker sondern auch Studenten. Die größte Erfahrung erwirbt man, indem man ein kurzfristiges Arbeitsverhältnis eingeht. Da sind auch die Rollen, die man einnimmt, von Anfang an klar.

Die Furche: Das wird nur von der Wirtschaft zu wenig angeboten.

Mazal: Ich halte das in vielfältiger Weise für ein Versäumnis von Unternehmen, dass sie jungen Menschen nicht die Möglichkeit geben, reale Erfahrungen in der Arbeitswelt zu sammeln.

Die Furche: Verstehe ich das richtig: Ein Praktikum ist für Sie nicht der geeignete Weg, den Fuß ins Berufsleben zu kriegen?

Mazal: Ein „Praktikum“ ist kein Terminus technicus. Es ist ein in Realität eingeführter Begriff, mit dem von Arbeitgeber-Seite auch vorgetäuscht wird, dass es sich nur um teilweise verbindliche Tätigkeiten handelt, wenn in Wahrheit mehr Arbeitsleistungen eingefordert werden.

Die Furche: Soll man in letzter Konsequenz diesen Begriff dann überhaupt streichen?

Mazal: Nein, das ist nicht möglich. Die jahrelangen Usancen sind zu eingefahren. Unter diesem Blickwinkel ist der Vorschlag der EU auch sinnvoll. Weil es so viel Missbrauch gibt, ist es naheliegend, Mindeststandards für Praktika zu definieren.

Die Furche: Hat für Sie der viel zitierte Begriff der „Generation Praktikum“ also sehr wohl seine Berechtigung?

Mazal: Ja, eine sehr traurige Berechtigung. Viele junge Menschen haben sich jahrelang in Situationen verfangen, nicht in regulären Arbeitsverhältnissen tätig zu sein. Und das alles mit der Aussicht auf eine spätere fixe Anstellung oder weil die Tätigkeit sich gut im Lebenslauf macht. Ich halte das für ein Versagen der Wirtschaft, jungen Menschen keine Perspektive in einem normalen Arbeitsverhältnis anzubieten.

* Das Gespräch führte Regine Bogensberger

W. Mazal

Der Experte ist Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien. Er ist zudem Leiter des Österreichischen Instituts für Familienforschung und Pensionsexperte.

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