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2.500 schwere Straftaten konnten in Österreich mit Hilfe der DNA-Analyse von Mundhöhlenabstrichen geklärt werden. Auch im Mordfall Nicole Strau gilt "Kommissar DNA" als Kronzeuge der Anklage.

Lange Zeit scheint Michael P. gefasst: Blass, aber ruhig sitzt er da, im grauen Anzug mit weißem Stecktuch und einer Bombe namens "Wahrheit" im Hinterkopf, die er platzen lassen will - direkt vor dem Richter und den Geschworenen im Wiener Landesgericht. Doch als der Innsbrucker Gerichtsmediziner Walter Rabl das Wort ergreift, beginnt der Angeklagte unruhig hin- und herzuwetzen: Ein Bombardement an Zahlen prasselt auf ihn herab, die kaum einen Zweifel lassen, dass er schuldig ist. Schuldig, im Dezember 1990 die achtjährige Nicole Strau in einem Waldstück auf dem Laaer Berg in Wien missbraucht und mit einem Ast brutal erschlagen zu haben. Eins zu 1.000,000.000,000.000 - so unvorstellbar hoch sei die Wahrscheinlichkeit, dass die bei der Leiche sichergestellte Spermaspur zu Michael P. gehöre, stellt Rabl nüchtern fest.

60.000 Speichelproben

Österreichs Justiz ist auf dem besten Weg, mit Hilfe der DNA-Analyse den zweiten der drei Morde in Favoriten aufzuklären. Schon im Vorjahr konnte dem 33-jährigen Herbert P. durch diese bahnbrechende Technik der Mord an der 20-jährigen Alexandra Schriefl aus dem Jahr 1988 nachgewiesen werden. Und nun glauben die Ermittler, mit Hilfe von "Kommissar DNA" auch im Mordfall Strau fündig geworden zu sein.

Für die Erfolge der Fahnder sind mehrere Maßnahmen ausschlaggebend: So verfügt man in Österreich seit 1. Oktober 1997 über eine nationale DNA-Datenbank - beheimatet im Innenministerium. Bei schweren Kriminalfällen werden Tatverdächtigen Mundhöhlenabstriche (Speichel) entnommen. Ihre personenbezogenen Daten werden im Ministerium gespeichert. Die Proben selbst werden - anonymisiert und mit einem Barcode versehen - zum DNA-Zentrallabor am Institut für Gerichtsmedizin in Innsbruck geschickt. Insgesamt 60.000 Mundhöhlenabstriche wurden hier bislang analysiert. Dazu kommen 15.000 Tatortspuren von Fällen, in denen kein Täter ausfindig gemacht werden konnte. Stimmt eine Tatortspur mit einer Speichelprobe überein, dann ordnet das Innenministerium eine zweite Untersuchung an. Kommt es auch hier zu einem positiven Ergebnis, dann wird die Identität des Verdächtigen vom Ministerium gelüftet und der Exekutive mitgeteilt. Rund 2.500 Straftaten konnten auf diese Weise geklärt werden.

Neben der Verbrechensaufklärung ist die Prävention das größte Ziel der DNA-Analyse, erklärt der Vorstand des Innsbrucker DNA-Labors, Richard Scheithauer: "Damit will man dem Verdächtigen sagen: Hör zu, wir haben von dir einen Mundhöhlenabstrich, und wenn du rückfällig wirst, dann kriegen wir dich."

Dass - wie im Fall Nicole Strau - auch Mordfälle untersucht werden können, die lange vor der Einrichtung der DNA-Datenbank geschehen sind, ist dem Sicherheitspolizeigesetz zu verdanken: "Das Innenministerium hat uns 1998 von den 400 wichtigsten Fällen der letzten Jahre DNA-hältiges Material geschickt. 80 Prozent konnten wir erfolgreich typisieren", so Richard Scheithauer. Die Favoritenmorde seien ein Ergebnis dieser Rückerfassungsaktion.

Michael P. selbst war - trotz 18 Vorstrafen - lange einem Mundhöhlenabstrich entgangen. Schon im Jänner 2000 hätte ihm sein genetischer Fingerabdruck abgenommen werden sollen - doch der Beamte vergaß einfach. Erst im September 2001, als nach einer Serie von Autoeinbrüchen bei Michael P. die Handschellen klickten, wurde es für ihn eng: Ein erzwungener Abrieb von Stirn und Nacken "passte" eindeutig zu den Spuren im Fall Strau.

Selbst aus Abrieben von Türklinken und Telefonhörern kann heute ein sauberes, vor allem aber korrektes DNA-Profil gewonnen werden, weiß Richard Scheithauer. Das mache auch den "Charme" der neuen Methode aus: "Entweder es kommt nichts heraus - oder das Richtige. Die eigentliche Katastrophe wäre ja, wenn der Verdacht an jemand Falschem hängenbleibt." Die Möglichkeit, dass es bei den Proben zu Manipulationen kommen könnte, wie Michael P. in seinem Fall behauptet, stellt er in Abrede: "Es wird im Trefferfall immer eine zweite Probe untersucht - wenn gewünscht auch in einem Labor im Ausland."

Zigarette als Indiz

Dass mit den modernen Methoden der Gerichtsmedizin Verbrecher noch Jahre nach ihrer Tat überführt werden können, ist auch für Manfred Hochmeister, Professor am Institut für Gerichtsmedizin der Universität Wien und Pionier der DNA-Analyse, eine Genugtuung. Schon 1991 hatte Hochmeister zusammen mit dem FBI bahnbrechende Arbeiten über die Typisierung von DNA aus Zigarettenkippen publiziert. Und die Revolutionen finden kein Ende: War es bisher notwendig, bei einem Mordfall aus dem Fundus von rund 30 bis 50 Proben die vielversprechendsten auszuwählen, so eröffnet nun die "Real Time PCR" (Polymerase Chain Reaction) neue Perspektiven: "Dadurch können wir die Proben zielgerichtet nach vorhandener menschlicher DNA screenen - und enorme Kosten sparen", freut sich Hochmeister.

Noch mehr freut ihn, dass am 17. November sein neues DNA-Labor, derzeit in einem Ausweichquartier am Wiener Institut für Hirnforschung beheimatet, akkreditiert wird - und damit wie Innsbruck internationalen Standard erreicht. In Verhandlungen mit dem Innenministerium hofft er nun, den Zuschlag für die DNA-Untersuchungen jener Spuren mit unbekanntem Täter zu bekommen, die in den östlichen Bundesländern anfallen.

Verräterisches Licht

Bis dato hatte man in Wien nur Vaterschaftstests und Analysen im Auftrag des Gerichts im Repertoire. Doch auch solche Untersuchungen haben es in sich: "Manchmal bekommen wir einen Sack voll blutiger oder verschmutzter Kleidung: Da weiß man gar nicht, wo man anfangen soll", erzählt Christa Nussbaumer vom Institut für Gerichtsmedizin. Als Spürhund dient eine Lichtquelle von 450 Nanometern, die etwa Spermaspuren zum Lumineszieren bringt. "Das hilft bei der Vorauswahl", erklärt die Expertin, während sie das Licht auf einen schimmernden Fleck richtet.

Wenige hundert Meter entfernt, im Wiener Landesgericht, weiß Michael P. ganz genau, worauf er seine ganze Aufmerksamkeit lenken muss: auf jene Schuhbänder, mit denen Nicole Strau gewürgt worden war, bevor sie erschlagen wurde. Sie müssten in Innsbruck noch auf etwaige DNA-Spuren untersucht werden, hat sein Verteidiger gefordert - und prompt eine Vertagung des Prozesses auf 2. Dezember erreicht.

Für Manfred Hochmeister eine schwer nachvollziehbare Entscheidung: "Das Wahrscheinlichste ist, dass nichts Brauchbares herauskommen wird, weil die Bänder in nassem Laub gelegen sind", ist er überzeugt. Wahrscheinlichkeit zwei: Nur die Spur des Mädchens ist darauf zu finden - was aber Michael P. wegen der eindeutig zugeordneten Samenspur nicht entlasten würde. Wahrscheinlichkeit drei: Es finden sich auch Spuren von Herrn P. "Dann schneidet er sich ins eigene Fleisch."

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