Kaltes Management, arrogante Behörde

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Sie erklärten elf Bergleute für tot, bestellten Särge und redeten von einem Wunder, als Georg Hainzl geborgen wurde: Wie man auf den Trümmern eines Bergwerks auch noch seinen guten Ruf vernichtet.

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Sie erklärten elf Bergleute für tot, bestellten Särge und redeten von einem Wunder, als Georg Hainzl geborgen wurde: Wie man auf den Trümmern eines Bergwerks auch noch seinen guten Ruf vernichtet.

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Schlechte Information der Öffentlichkeit bei Katastrophen ist oft auf Ungeschicklichkeit und Panik zurückzuführen. Sie kann aber auch grundehrlicher Ausdruck einer gleichgültigen und zynischen Haltung sein. Die Eigentümer und Manager des Unglücks-Bergwerks in Lassing, aber leider auch die österreichische Bergbaubehörde, haben alles getan, um den Eindruck zu erzeugen, daß beides am Werk war: Ungeschick und Panik bei den einen, Gleichgültigkeit und Zynismus bei den anderen, und bei manchen alles zusammen.

Das Unglück wäre wohl auch dann geschehen, wenn Lassing noch in österreichischer Hand wäre. Der Bergmann Georg Hainzl wurde trotz der apodiktisch geäußerten Überzeugung des Einsatzleiters Alfred Maier, daß alle Verschütteten tot seien, gerettet. Und für die zehn anderen konnten alle Bemühungen der Retter nichts mehr tun. Sie sind, auch wenn die Bohrungen weitergehen - und es ist gut, daß dies geschieht - mit größter Wahrscheinlichkeit tot.

Aber es besteht ein enger Zusammenhang zwischen der zur Schau getragenen Lustlosigkeit, mit der man zuerst an die Rettungsmaßnahmen heranging, und dem irrationalen Aufschaukeln einer winzigen, vagen Hoffnung, die zehn Männer könnten sich in die Luftblase im sogenannten Dom gerettet haben, zur Wahrscheinlichkeit. Nachdem man nämlich Hainzl für tot erklärt, dann aber unversehrt geborgen hatte, rettete man das eigene Image und wohl auch die eigene Selbstachtung in die Rettungsaktion für die anderen zehn. Schließlich hätte sich sofort nach dem Unglück jeder sagen müssen: Für einen Verschütteten, mit dem man nach dem Einsturz des Stollens noch längere Zeit telefoniert hatte, mußte auch nach dem zweiten, großen Einbruch noch eine realistische Bergungschance bestehen. Daher mußte man so schnell wie möglich zu ihm gelangen. Für die zehn anderen stand es tatsächlich schlecht, doch selbst eine noch so vage Möglichkeit, sie könnten sich in die vielzitierte Luftblase gerettet haben, hätte schon am Tag nach dem Unglück und nicht erst nach der Rettung Hainzls genügen müssen, um sofort zumindest eine Versorgungsbohrung in Angriff zu nehmen.

Doch da man die Rettungsversuche für die übrigen erst nach der Rettung Hainzls ernsthaft in Angriff genommen hatte, da man wegen dieser Zögerlichkeit öffentlich angegriffen wurde und wohl auch ein schlechtes Gewissen hatte, konnte man es sich nun nicht mehr leisten, offen auszusprechen, wie minimal die Hoffnung auf weitere Überlebende offenbar tatsächlich war. Dieses Versagen der Verantwortlichen hatten die Angehörigen der Opfer mit einem quälenden Auf und Ab von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit auszubaden.

Aber warum wurde Hainzl so schnell totgesagt, daß man dann sein Überleben schon aus Gründen der Selbstverteidigung zum Wunder hochstilisieren mußte, wie es der Einsatzleiter Alfred Maier - die Welt hat es ihm willig abgenommen - expressis verbis tat?

Ein Zusammenhang zwischen dem tagelangen Zögern der Werksleitung und eventuellen Ängsten, die Kosten ergebnisloser Rettungsmaßnahmen verantworten zu müssen, ist derzeit nicht nachweisbar und wird wahrscheinlich auch nie nachgewiesen werden. Ängste, für solche Kosten zwar nicht offen verantwortlich gemacht zu werden, aber eher als ein anderer, Sparsamerer, auf noch voreiligere Weise vorauseilend Gehorsamer seinen Job zu verlieren, lassen sich schon gar nicht fassen. Und die Eigentümer der Mineralwerke Naintsch, die französische Talc de Luzenac und deren Eigentümer, der Bergbau-Multi Rio Tinto-Zinc, werden gewiß bestreiten, jemals einem ihrer Manager Anlaß zu solchen Erwägungen gegeben zu haben - sollten sie sich überhaupt herbeilassen, diesbezüglich etwas von sich zu geben.

Aber der Einsatzleiter Alfred Maier war doch gar kein Mitglied der Werksleitung? Er ist doch Beamter der Bergbaubehörde, mußte nicht um seinen Job bangen? Die Information der Öffentlichkeit über den Hergang des Unglücks und über den Zustand des Bergwerks war so saumäßig, daß sich die dafür Verantwortlichen über keines der durch die Gegend schwirrenden Gerüchte wundern dürfen. Sie selbst haben durch ihr Verhalten jeder üblen Vermutung, jedem Verdacht, persönliche Ängste und opportunistische Motive könnten bei den Nicht-Entscheidungen der Werksleitung mitgespielt haben, jedem Gerücht über Nahverhältnisse und Loyalitäten zwischen Lassing, Naintscher Bergbau und Bergbaubehörde, selbst Tür und Tor geöffnet. Sie haben sich gemeinsam eingenebelt und haben sich die daraus resultierende, dem Ansehen der einen wie der anderen schädliche Optik selbst zuzuschreiben.

Ein professionelles, überzeugendes Informationsmanagement hätte eine kurze tägliche Presseinformation statt Presseabwehr und Desinformation erfordert. Zu einer professionellen Öffentlichkeit hätte auch gehört, schon am zweiten statt am sechzehnten Tag nach dem Unglück Pläne des Bergwerks herauszurücken. Vor allem aber hätten von Anfang an alle Fragen offen beantwortet werden müssen. Offenbar haben die Bergwerksmanager die bittere Erfahrung der Chemieindustrie verschlafen, daß Einnebeln den Schaden erhöht und zurückgehaltene Fakten früher oder später sowieso ans Licht kommen.

Angesichts von zehn verschütteten Menschen hatte die Öffentlichkeit (vor allem natürlich die Bewohner von Lassing) ein Recht, zu fragen, mit welcher Aufgabe die neun Kumpel und der betriebsfremde Geologe zur 130 Meter tiefen Ebene 10 abgefahren waren, obwohl doch der Bergmann Hainzl in 60 Meter Tiefe auf seine Rettung wartete.

Wäre diese Frage endlich beantwortet worden, könnte vielleicht auch ein Laie die Überlegungen nachvollziehen, die nun zur Fortsetzung der Bohrungen führen. Womit waren die zehn Männer beschäftigt? Daraus könnte man vielleicht schließen, wo sie sich aufgehalten haben. Eine 70 Meter hohe Rettungsbohrung für Hainzl von unten nach oben werden sie kaum vorbereitet haben, sagt sich auch der Laie, den die Bergbaubeamten für grenzenlos unbedarft halten (auch Überheblichkeit führt oft zu unprofessioneller Öffentlichkeitsarbeit). Womit sich alles auf die Frage zuspitzt: Wußte oder ahnte die Werksleitung, daß möglicherweise ein katastrophaler Einbruch bevorstand? Sollten die Zehn die Lage klären? Etwa das ganze Bergwerk abgehen? Wäre es möglich, daß der elfte Mann, der rechtzeitig ausfuhr, seine lebensrettenden Magenschmerzen aus Angst vor einem Himmelfahrtskommando bekommen hatte? Das alles darf man nicht nur fragen, man muß es fragen.

Der Generaldirektor von Talc de Luzenac, Andre Talmon, kündigte großzügige Hilfe für alle Opfer an. Was diese Zusage wert ist, wird sich weisen. Vor allem, was sie wert ist, falls der schon einmal zugrundegegangene Bergbau Lassing nun endgültig zugrundegehen sollte und die Naintscher Mineralwerke mit sich reißt.

Die Angehörigen der Opfer, die Beschäftigten und die Eigentümer der beschädigten oder zerstörten Häuser können jetzt nur hoffen, daß das Bergwerk Lassing wieder in Betrieb genommen werden kann. Doch ist diesbezüglich zumindest Skepsis angebracht. Nicht nur wegen der Kosten, sondern weil es - der Laie kann dies freilich nur vermuten - möglicherweise kein Geologe wagen wird, die Wiederholung eines Einbruchs von Wasser, Schlamm und Geröll nach Regenfällen auszuschließen. Bei einer Stillegung aber drohen, falls die Beton-Verfüllung aller Stollen unterbleibt (doch wie macht man das in einem Bergwerk, das man nur noch unter Lebensgefahr betreten kann?), erst recht auch in Zukunft Schäden an der Erdoberfläche. Wird der Betrieb, falls sich die Weiterführung als unmöglich erweisen sollte, unter Regelung aller Ansprüche, auch der künftigen, aufgelöst? Wer zahlt dann was? Welche Schäden sind durch Versicherungen gedeckt, welche nicht? Droht den Geschädigten ein Leidensweg?

Naintsch macht 500 Millionen Schilling Umsatz, erste grobe Schätzungen rechnen allein mit 150 Millionen Schilling Kosten für die Rettungsbohrungen, für der Bergwerksbetreiber haftbar ist. Wird Talc de Luzenac, wird Rio Tinto-Zinc für die Schulden der Naintscher Mineralwerke geradestehen?

Lassing wird uns weiter beschäftigen. Lassing ist ja wohl nicht der einzige von einem transnationalen Konzern übernommene Risikobetrieb. Die schiefgelaufene Öffentlichkeitsarbeit von Lassing könnte sich noch als wahre Großleistung negativer Öffentlichkeitsarbeit für die Übernahme österreichischer Unternehmen durch ausländische Gesellschaften entpuppen.

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