Kampfplatz Frauenkörper

Werbung
Werbung
Werbung

Statt Barbie-Püppchen wünscht sie sich selbstsichere Frauen, die sich einmischen: Edit Schlaffer, Sozialwissenschafterin, gemeinsam mit Cheryl Benard, Leiterin des Wiener Ludwig-Boltzmann-Instituts für Politik und zwischenmenschliche Beziehungen, im Furche-Interview.

Die Furche: Was macht für Sie einen schönen Menschen aus?

Edit Schlaffer: Ein schöner Mensch ist für mich ein lebendiger Mensch, der ein Profil hat, eine Person, die für etwas steht. Gesichter, die Geschichten widerspiegeln oder von etwas erfüllt sind, haben ein inneres Leuchten. Das finde ich schön - auch wenn diese Personen keinen Beauty-Contest gewinnen würden.

Die Furche: Finden Sie Barbie schön ?

Schlaffer: Nein, weil Barbie genau das Gegenteil von all dem ist, was ich genannt habe. Barbie etwas Starres und Ausdrucksloses. Die Gesichter sind sehr stereotyp und leblos. Barbie hat nichts, was einen eindrucksvollen Menschen ausmacht. Barbie ist eigentlich ein Klischee. Daher waren wir auch so alarmiert, dass unseren Mädchen eine Art von Weiblichkeit demonstriert wird, die in die Welt der Klischeehaftigkeit reicht.

Die Furche: Ihr Buch "Wie aus Mädchen tolle Frauen werden" trägt in der Hardcover-Version den Titel "Let's kill Barbie". Was hat die blonde Plastikpuppe verbrochen?

Schlaffer: (lacht) Die Puppe überhaupt nichts. Wir haben aber Mädchen in Wiener Volksschulen befragt, was sie mit Barbie machen, was ihnen an Barbie gefällt. Dabei haben wir gemerkt, dass sie nicht wirklich eine Beziehung zu ihr aufgebaut haben. Teddybären oder andere Puppen sind in der Regel sehr emotional besetzt: Sie bekommen Namen, werden in Gruppenspiele involviert. Solche Rollenspiele haben die Mädchen mit den Barbies nicht gespielt. Sie haben sich meist auf das An- und Ausziehen beschränkt. Außerdem ist es zu einem sehr gewalttätigen Umgang mit Barbie gekommen: Viele Puppen haben ausgerissene Beine oder ausgedrehte Arme gehabt. Barbie ist also etwas Glitzerndes, das anzieht, mit dem man aber letztlich nicht umgehen kann. So wie auch erwachsene Männer das oft erleben: Sie haben eine Barbie in ihrem Leben, aber sie spüren: Es ist nicht wirklich eine Beziehung möglich.

Die Furche: Immer mehr Mädchen verstehen ihren Körper als "Problemzone". So ist nach einer Untersuchung der Wiener Frauengesundheitsbeauftragten Beate Wimmer-Puchinger bereits ein Viertel der 13-jährigen Mädchen extrem oder sehr unzufrieden mit ihrem Äußeren. Inwieweit ist Barbie oder das medial transportierte Schönheitsideal schuld an diesem negativen Köperbild?

Schlaffer: Die Mädchen sind heutzutage schon unter einem enormen Beschuss: Jede Zeitschrift, die sie aufschlagen, ist voll von Anweisungen, wie sie dünner werden können. Die Diätbesessenheit fängt bei ganz jungen Mädchen an und leider sind die älteren Frauen nicht unbedingt gute Rollenmodelle. Die Folge ist, dass Mädchen unglücklich und unheimlich sensibel sind. In einer Studie haben wir aber Frauen befragt, wie sie sich gerne sehen möchten. Und der Begriff, der die Frauen zu fast 100 Prozent angezogen hat, war Selbstsicherheit. Frauen wollen also um jeden Preis selbstsicher sein. Gerade hier bezweifle ich den Nutzen kosmetischer Operationen: Das sind Oberflächenkorrekturen, die nicht in diese Tiefenschichten hinabreichen. Das kann nur befördert werden, wenn man den jungen Frauen hilft, das eigene Leben in die Hand zu nehmen. Eine Möglichkeit wäre, bei Mädchen Teamsport zu fördern, was derzeit überhaupt nicht passiert. Das fördert aber die Lebensfreude, Durchsetzungskraft und strategisches Denken. Stattdessen richten sie ihre Aufmerksamkeit auf Äußerlichkeiten und Unzulänglichkeiten.

Die Furche: Diese Fokussierung auf körperliche Unzulänglichkeiten ist nach Ihrer Aussage bei schwarzen Mädchen weniger ausgeprägt. Sind schwarze Mädchen selbstbewusster?

Schlaffer: Sehr häufig ist es tatsächlich so, weil sie auf Grund ihrer Geschichte andere Rollenmodelle vor Augen haben: Ihre Mütter sind meist sehr stark. Auch die Beziehung Mütter-Töchter spielt eine sehr wichtige Rolle. In unserer Kultur hingegen werden pubertierende Kinder ermutigt, sich möglichst bald von den Eltern zu trennen. Sie sollen sich abgrenzen und auflehnen - gerade in einer Zeit, wo sie am meisten Orientierung bräuchten. Für uns Frauen ist es herausfordernd, welche Vorbilder wir sind: Wenn wir auch davon besessen sind, makellos sein zu wollen und an keinem Spiegel vorbeigehen können, ohne zu jammern, dass die Jean nicht passt, dann geht das tief in das Bewusstsein der jungen Mädchen hinein.

Die Furche: Hier sieht der Befund aber trostlos aus: Erstmals wurde auch bei rund 40-jährigen Frauen ein Trend zur Magersucht festgestellt, um sich alles, was altern könnte, wegzuhungern. Was macht das Altwerden in unserer Gesellschaft so unerträglich?

Schlaffer: Es gibt Kulturen, in denen den Frauen mit den Jahren sehr viel mehr Respekt entgegengebracht wird. Bei allen Schwierigkeiten, die Frauen etwa in arabischen Kulturen haben, wird es mit den Jahren für sie leichter. Wir wollen aber nicht wahrhaben, dass viele Dinge mit den Jahren auch für uns leichter werden: Die Selbstsicherheit nimmt zu, man kann Allianzen eingehen, um Verhältnisse zu ändern. Hier kommt zur Standortbestimmung: Will ich ewig auf Attraktivität setzen? Wen will ich wovon überzeugen? Ich bezweifle jedenfalls, ob das Instrument für ein glückliches Leben die persönliche Schönheit ist.

Die Furche: Vielen Menschen lassen sich aber noch immer von Ästhetik blenden: Laut einer US-Untersuchung verdienen schöne Frauen um vier Prozent mehr. Andere glauben herausgefunden zu haben, dass Lehrer schönere Schüler für intelligenter halten ...

Schlaffer: Man muss sich solche Studien näher ansehen. Ich glaube schon, dass Menschen mit besonderen äußeren Vorzügen vielleicht einen kleinen Vorsprung haben. Nur möchte ich bezweifeln, dass sie diesen Vorsprung lange halten können, wenn sie ihn nicht mit Inhalten füllen können. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine aufgeweckte und interessierte Schülerin nachhaltig von einer Kollegin überrundet werden kann, die längere Beine und strahlend blaue Augen hat. Es wäre jedenfalls verhängnisvoll, wenn wir weniger auf die Strahlkraft der Persönlichkeit als auf die Strahlkraft des Äußeren setzen. Die Persönlichkeit ist haltbar. Darauf sollten wir setzen - anstatt auf etwas, was einem irreversiblen Verfallsprozess ausgesetzt ist.

Die Furche: War körperliche Schönheit früher natur- oder gottgegeben, so wird sie heute teilweise "machbar". Könnte ein Vorteil dieser Entwicklung nicht auch darin liegen, dass Menschen nun gegen die Ungerechtigkeiten der Natur ankämpfen können?

Schlaffer: Ja und nein. Barbra Streisand etwa hat eine sehr auffällige Nase, von der sie sich nie getrennt hat. Wie schade wäre es, wenn sie ein uniformes Gesicht hätte. Das wichtigste scheint mir die Stärkung der Persönlichkeit zu sein. Dann sind wir nicht mehr Spielball von Geschäftsinteressen. Ob Kosmetik, Bekleidung oder ästhetische Operationen: Hier wurden Industrien aufgebaut. Der Kampfplatz sind die Frauenkörper. Wir leben in einer Gesellschaft, wo Frauen noch immer nicht dort vertreten sind, wo es um Macht geht. Ich bezweifle, dass sie mittels des Skalpells dorthin befördert werden. Das sind alles Ablenkungsmanöver, bei denen Frauen Mitspielerinnen sind. Keiner zwingt eine Frau, sich operieren zu lassen oder sich ständig mit Hungerdiäten zu beschäftigen. Das sind selbst gefertigte Gefängnisse, die zu einer Einengung des Denkens führen.

Die Furche: Eine, deren Lebensziel es war und ist, aus diesen Gefängnissen auszubrechen, ist Alice Schwarzer. Im Gegenzug hat man sie als "ulkige Miss Hängetitt" oder "hässlich wie eine Nachteule" verunglimpft...

Schlaffer: Hier müssen wir aufhorchen und sagen: Das sind Zumutungen! Sind wir Dekorationspüppchen oder Vertreterinnen von Standpunkten? Alice Schwarzer hat unglaubliche Verdienste und einen brillanten Kopf. Sie sitzt überall dort, wo es etwas zu sagen gibt. Ob ihr Busen groß oder klein ist, ist völlig uninteressant. Wie schön Herr Scholl-Latour ist, ist auch völlig uninteressant. Er wird zum Thema Islam befragt.

Die Furche: Zwischen Schwarzer und Verona Feldbusch kam es zu einem legendären TV-Duell, bei dem Feldbusch laut Kommentatorenmeinung den moderneren Frauentyp verkörpert hat. Wie sieht der moderne Frauentyp aus?

Schlaffer: Er ist jedenfalls nicht in den Hochglanzillustrierten zu finden. Der Frauentyp, den wir brauchen, ist einer, der sich einmischt. Wir haben gerade eine Generation von Mädchen, die hochgebildet ist, emotionale Kompetenz besitzt und alle Möglichkeiten haben könnte, wenn sie nur ermutigt wird, sie auch zu ergreifen. Die Sogkraft des Altvertrauten sind jedoch die Klischeebilder, jene Frauen, die wir in den Illustriertenwelten Revue passieren lassen, wenn wir beim Friseur sitzen. Aber das hat nichts mit der Realität zu tun, die Frauen etwas angeht. Betty Friedan hat schon vor 40 Jahren in "Der Weiblichkeitswahn" geschrieben, dass sie in den Vorstädten der USA das beklemmende Gefühl der Frauen spürt, die ihr Leben nicht selber in die Hand nehmen und ein Ersatzleben führen. Und eine Frau, die in erster Linie auf Dekorationselemente setzt, führt ein Ersatzleben.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

BUCHTIPP:

WIE AUS MÄDCHEN TOLLE FRAUEN WERDEN. Selbstbewusstsein jenseits aller Klischees. Von Cheryl Benard und Edit Schlaffer, Heyne Verlag, München 2000, 347 Seiten, TB, e 9,20

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung