Kein heiliges Experiment

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Die wachsende Kluft zwischen Europa und den USA hat wesentlich mit der Rolle der Religion in der Politik zu tun.Auch religiöse Europäer sollten dabei energisch auf säkular geprägte Gesellschaften setzen.

Die Botschaft war undiplomatisch klar, wurde in deutschsprachigen Medien dennoch nicht breit behandelt: Javier Solana, oberster Außenpolitiker der EU, analysierte letzte Woche in der Financial Times die wachsende Kluft zwischen Europa und den USA: "Die USA verhalten sich immer öfter religiös. Es ist eine Art binäres Politikmodell", so Señor Solana laut Financial Times: "Es geht um alles oder nichts. Für uns Europäer mag es schwer sein, damit klar zu kommen, denn wir sind säkularisiert."

Erstaunlich, dass diese Äußerungen wenig kommentiert wurden - gerade angesichts der Tatsache, dass in der EU das Unverständnis über die amerikanische Fokussierung allen Weltenübels auf den Irak steigt und steigt: Vielleicht hat Solana ja nur lauter ausgesprochen, was europaweit gedacht wird, und dazu erübrigt sich jeder weitere Kommentar. Man mag - eingedenk der Eifersüchteleien und der kleinlichen Politik, deren sich die einzelnen Staaten Europas mitunter befleißigen - ja auch bezweifeln, ob das plakative Wort vom religiös verbrämten Manichäismus jenseits und der rationalen säkularen Welt diesseits des Atlantiks wirklich zutrifft.

Doch die weltpolitische Entwicklung legt nahe, dass obige verkürzte Diagnose doch ein essenzielles "kulturelles Phänomen" (© Solana) benennt, das Europa und die USA zunehmend auseinander treibt. Interessant ist dabei vor allem, dass im Falle der USA tatsächlich religiöse Komponenten gehörig mit im Spiel sind, und dass umgekehrt in Europa säkular-laizistische Spielarten in der Politik den Ton angeben.

Religiös motiviertes Sendungsbewusstsein im Selbstverständnis der USA ist das eine - und nur eine Facette in einem sehr komplexen Gesamtbild Amerikas (der deutsche Kulturwissenschafter Klaus Theweleit hat dieser Tage in der Frankfurter Rundschau auf dieses hingewiesen - "Ich spreche gern von 20 Amerikas" - und auch darauf, dass sich die "kommentierende Kaste" und das aktuelle Denken im "Zustand der Verwirrung" befänden).

Und das andere, die - nicht nur nach Solana - "europäische" Position einer Säkularisierung der Politik? Die Diskussion darum sollte von Europa werbend und offensiv geführt werden. Denn der säkulare Rechtsstaat ist das Ergebnis der mühsam errungenen Befriedung weiter Teile des Kontinents (auch wenn von Südosteuropa bis Nordirland zu sehen ist, wo dies - noch - nicht gelungen ist).

In die geopolitischen Auseinandersetzungen müsste Europa genau diese "säkulare" Erfahrung einbringen. Der Angst vor dem "Clash of civilizations" (auch dies: eine Metapher aus den USA) kann nur mit der glaubwürdigen Alternative säkularer Gemeinwesen begegnet werden. Es gibt selbst aus dem islamischen Kulturkreis Stimmen, die dies erkennen: "Europa ist ein säkulares Projekt, das sich in seinen selbst verschuldeten Katastrophen zu seiner jetzigen Gestalt und Anziehungskraft herausgeschält hat", schrieb der deutsch-iranische Autor Navid Kermani in der Zeit. Und: "Gerade weil die westlichen Werte säkular sind, sind sie an keine bestimmte Herkunft oder Religion gebunden."

Solche Stimmen sind wichtig. Denn in einer sich bedroht fühlenden islamischen Welt hat Religion als Schutz vor der Bedrohung und Legitimierung der besonderen Sendung Konjunktur. Aber eben nicht nur dort...

Gerade religiös motivierte Europäer sollten energisch für das säkulare, weltanschaulich neutrale Staatsprojekt Partei ergreifen. Denn nur dieses legitimiert global die freie Entfaltung der Religion: Der Diskriminierung von Christen in islamischen Gesellschaften etwa ist nur durch das überzeugende, zur Nachahmung geeignete Beispiel einer säkular geprägten Welt beizukommen. Außerdem weiß europäische Geschichtserfahrung, dass auch das Wirken der eigenen religiösen Institutionen - politisch gesehen - oft wenig segensreich war.

Steht solch Plädoyer für europäische Säkularität aber nicht im Widerspruch zur derzeit laufenden Bemühung um einen "Gottesbezug" für die EU-Verfassung? Keineswegs. Denn eigentlich sollte es dabei um die Würdigung des religiösen Erbes und der Religionen Europas gehen. Etwas anderes ist es dagegen, wie etwa die Menschenwürde oder Sinnfragen zu begründen sind: Solche Fragen kann eine säkulare Gesellschaft nicht aus sich selbst heraus lösen.

Genau hier müsste die politische Diskussion ansetzen - zwischen Europa und den USA, zwischen dem Westen und der islamischen Welt usw. Wenn nicht inzwischen die globale Realpolitik per Krieg vermeintliche Lösungen herbeibombt.

otto.friedrich@furche.at

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