Kein Quell ewigen Lebens

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die furche: Große Hoffnungen werden an die Stammzellentherapie geknüpft. Wie realistisch sind sie?

Johannes Meran: Dieses Gebiet ist im Fluss. Was man heute sagt, kann morgen überholt sein. Einiges ist aber gesichert, einiges auszuschließen. Erstens: Die Stammzellen werden uns sicher nicht das ewige Leben bringen. Es wird nicht so sein, dass jeder Defekt behoben werden kann. Auch die Stammzellen unterliegen einer gewissen Zeitgestalt. Sie können in manchen Bereichen reparieren, aber den Gesamtorganismus in seiner Zeitgestalt nicht ad infinitum verlängern. Andererseits gibt es gesicherte Therapieformen in der Hämatologie: Es ist technisch kein großes Problem, Stammzellen aus dem Knochenmark oder dem peripheren Blut zu entnehmen, sie einzufrieren und nach einer therapeutischen Anwendung (einer Chemotherapie oder einer Bestrahlung) dem Körper wieder zuzuführen. Dann siedeln sich diese Stammzellen wieder im Knochenmark an und können zu einer vollständigen Regeneration des Blutbildes führen. Für eine solche Regeneration braucht man ungefähr zwei Millionen Zellen. Bei Fremd- oder Geschwisterspende nimmt man Stammzellen von einem gesunden Organismus und führt sie einem kranken zu. Damit diese angenommen werden, muss man das Immunsystem des Kranken unterdrücken, sonst werden die Zellen abgestoßen. Dann passiert ein hoch interessantes Phänomen: Die Spenderzellen richten sich gegen die kranken Zellen des Organismus. Gesunde fremde Zellen zerstören also kranke eigene und erzeugen das neue Blut.

die furche: Warum versucht man es mit Embryonalzellen, wenn jeder Mensch ohnedies Stammzellen besitzt?

Meran: Es gibt derzeit drei Quellen von Stammzellen: adulte , die vor allem im Knochenmark vorkommen, Stammzellen aus dem Nabelschnurblut und embryonale Stammzellen. Diese sind ethisch am meisten umstritten. Sie stammen von abgetriebenen Embryonen oder man greift auf Embryonen mit nur wenigen Zellen zurück. Das wird vom Gesetz verboten. Beim derzeitigen Stand der Dinge gibt es keine gesicherte Indikation für eine durchführbare medizinische Anwendung dieser Verfahren - jedenfalls nicht in der Hämato-Onkologie.

die furche: Hat man schon embryonale Stammzellen klinisch eingesetzt?

Meran: Bei Parkinson-Patienten. Man hat aus der Neural-Leiste abgetriebener Embryonen Stammzellen gewonnen und ins Gehirn von Patienten transferiert. Dazu braucht man bis zu sieben Embryonen. Die Erfolge sind enttäuschend. Sie waren nicht viel besser als die Behandlung mit Medikamenten, beispielsweise mit L-Dopa. Und es gab auch schwerwiegende Komplikationen: Es haben sich andere Gewebe entwickelt. Ein besonders schwerwiegender Fall: Es bildete sich eine Zyste im Gehirn, die auf das Atemzentrum des Patienten gedrückt hat. Er ist letztlich an dieser Nebenwirkung verstorben. Solche Versuche werden dennoch weiter fortgesetzt. Allerdings ist die ursprüngliche Euphorie etwas gedämpft, jedenfalls die Hoffnungen, mit embryonalen Stammzellen degenerative Erkrankungen des Gehirns heilen zu können. Aus heutiger Sicht wird es auf diesem Sektor therapeutisch umsetzbare Möglichkeiten erst in vielen Jahren geben.

die furche: Warum forciert man das dann so?

Meran: Es ist eine spektakuläre medizinische Maßnahme. Sie weckt das Interesse von Medien und Politik. Den Leuten, die sich mit embryonalen Stammzellen befassen, muss man zugestehen, dass die Plastizität und Totipotenz der embryonalen Stammzellen höher ist als die der Stammzellen im Blut. Jedenfalls ist das die derzeit herrschende Hypothese. Diese Zellen können sich im Prinzip in jedes menschliche Gewebe differenzieren, während sich Stammzellen aus dem Knochenmark nur in bestimmte Gewebe umwandeln können. Was aber das Herzmuskelgewebe anlangt, hat man solche Erfolge mit adulten Stammzellen schon gehabt. Abgesehen vom Knochenmark fehlt allerdings für alle diese therapeutischen Versuche der Nachweis, dass sich die Zellen funktionell vollwertig eingliedern, dass also etwa die Zelle in ein Infarktgebiet einwächst und dort die Tätigkeit einer vollwertigen Muskelzelle übernimmt, dass quasi ein neuer Muskel entsteht. Das erhofft man. Es erscheint auch möglich, aber es ist bisher nicht valide nachgewiesen.

die furche: Können Stammzellen zu Krebsbildungen führen?

Meran: Stammzellen per se sind nicht Krebszellen, auch nicht vermehrt anfällig für Tumore. Diese Zellen können sich aber in alles mögliche differenzieren. Sind sie nun nicht in dem Umfeld, in dem die normale Steuerung funktioniert, so kann es auch sein, dass sich etwas anderes bildet, als man erhofft. Der erwähnte Parkinson-Patient ist ein Beispiel dafür. Die Sache ist also nicht ungefährlich. Aber man kann auch nicht sagen, man könne durch Stammzellen Krebs induzieren.

Das Gespräch mit Doz. Dr. Johannes Meran von der 1. Med. Abt. am Wiener Wilhelminen- spital führte Christof Gaspari

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