Keiner ist zuständig

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Die für Kontrolle zuständigen Mediziner und Politiker erklären, das Nötige getan zu haben. Das Nötige war aber zuwenig.

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Die für Kontrolle zuständigen Mediziner und Politiker erklären, das Nötige getan zu haben. Das Nötige war aber zuwenig.

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A us humanitären Gründen erhielt der umstrittene irakische Vizepremier Izzat Ibrahim al Douri von den österreichischen Behörden ein Visum ausgestellt, um in einem Wiener Spital seinen kranken Magen behandeln zu lassen.

Nach den öffentlich gewordenen Mißständen im Landeskrankenhaus Freistadt und im Allgemeinen Krankenhaus Linz kann man ob der Humanität dieser Begründung bloß noch schmunzeln und dem heimgekehrten Patienten, sollten ihn in Bagdad plötzlich Bauchschmerzen quälen, nur alles Gute wünschen. Jene Oppositionspolitiker, die eine Verhaftung von Saddam Husseins Stellvertreter wegen dessen Menschenrechtsverletzungen forderten, würden etwaig auftretende Komplikationen wohl als ausgleichende Gerechtigkeit bewerten.

Ein anderes Beispiel für das Ansehen österreichischer Krankenhäuser im Ausland lieferte Prinzessin Caroline von Monaco, die ihr Baby in einem oberösterreichischen (!) Spital zur Welt brachte. Nur Lob über die ausgezeichnete Betreuung war nach der Entbindung aus fürstlichem Mund zu hören. Wenige Wochen später, und das gleiche Bundesland ist mit einem der größten Skandale in der Geschichte der österreichischen Medizin konfrontiert: Fünf Patienten sind in Freistadt und Linz gestorben, noch einmal so viele wurden aufgrund der Behandlung gesundheitlich schwer geschädigt.

Ärztliche Kunstfehler lautet der Vorwurf. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung. Soweit die Fakten. Hinter der Aufzählung verbergen sich aber nicht nur qualvolle Leidenswege, sondern auch das elendigliche Versagen zuständiger medizinischer und politischer Kontrollorgane.

Ein Primararzt führte jahrelang akribisch Bericht über die Unzulänglichkeiten seines Oberarztes. Gleichzeitig beauftragte er diesen jedoch weiter mit der Durchführung von Operationen. Seit Frühjahr 1997 liegen die anklagenden Dokumente der Anstaltendirektion vor. Dort verstaubten sie in der Schublade, bis zwei Jahre später eine Untersuchungskommission in acht Fällen gravierendes Fehlverhalten feststellt. "Zu allen traurigen Vorkommnissen drängen sich zusätzlich noch Worte wie Schlampereien (fehlende Befunde, unvollständige Krankengeschichte, fehlende Obduktion) auf", heißt es im Prüfbericht des Landes. Als eine andere Ursache für die Unzulänglichkeiten nennt der Bericht das angespannte Verhältnis zwischen dem Primar und dem beschuldigten Arzt.

Auf die schweren Kommunikationsprobleme in Krankenhäusern verweist auch der Wiener Ethiker Peter Kampits, als ihn die Furche nach möglichen Ursachen, für die Vorgänge in Freistadt befragt. Kampits fordert einen "Bettenarzt", der nach der Operation die Verantwortung für den Patienten übernimmt. Jetzt wird die Zuständigkeit von einem zum anderen hin- und hergeschoben. In diesem Karussell fühlt sich niemand für den Patienten in letzter Konsequenz verantwortlich. Das fördert zudem eine weitere negative Tendenz im Gesundheitswesen. Kampits beklagt, daß zuviel der Technik vertraut wird. "Hier liegt der Hund begraben!" Alles wird zu maschinell betrachtet, zu wenig von der humanen Seite gesehen. "Der schlechte Witz, daß im Krankenhausbetrieb nur mehr von der Niere auf Zimmer soundso und dem Blinddarm daneben gesprochen wird, stimmt. Die Persönlichkeit des Patienten geht da dann halt oft verloren."

Nicht umsonst hat der französische Philosoph Michel Foucault die Geschichte der Klinik und des Gefängnisses als zweier "totaler Institutionen" herausgearbeitet. Die Sicht- und Behandlungsweise des Arztes ist nicht frei, autonom und nur von therapeutischen Notwendigkeiten gelenkt, sondern wird von institutionellen und politischen Faktoren mitbestimmt. Das Individium steht dabei nackt, machtlos, verfügbar, als Nummer einer mächtigen Pflege- und Disziplinierungskaste gegenüber.

Krankenhaus und Gefängnis - bei beiden wäre die Politik gefordert, damit die Institution nicht das Humane verdrängt, das soziale Wohl nicht unter die Räder der Technik kommt. "Bin ich schuld an dem möglichen Fehlverhalten eines Mitarbeiters?" fragte der für Oberösterreichs Spitäler zuständige Landesrat Walter Aichinger. Schließlich sei auch Innenminister Schlögl wegen des Falls Omofuma nicht zurückgetreten, zieht Aichinger die Parallele.

Ganz anders reagierte ein Politiker in Indien: Eisenbahnminister Nitish Kumar ist zurückgetreten, weil er die moralische Verantwortung für die Zugkatastrophe übernimmt, meldete die indische Nachrichtenagentur Anfang dieses Monats. War der Eisenbahnminister schuld am Zugsunglück im Milliardenstaat? Sicher nicht mehr als ein Spitalslandesrat an medizinischen Kunstfehlern schuld hat. Hier geht es nicht um Köpferollen, hier geht es um etwas anderes!

"Die Lehrbarkeit von Ethik ist fraglich", gibt Ethikprofessor Kampits zu: "Die Ethik arbeitet viel mit Vorbildern. Der junge Mensch, der Arzt werden will, soll sich am Beispiel seiner Vorgesetzten orientieren. Zwar gibt es menschliche Defizite, die allen passieren können, aber im Arztberuf muß die Latte höher liegen."

Kampits Ausführungen lassen sich eins zu eins auf die Politik übertragen. Politische Verantwortung ist nicht in Seminaren erlernbar. Politische Moral wird mit Vorbildern vermittelt. "Wie der Herr so das Gscherr", sagt der Volksmund. Wenn ein Minister sich seiner Verantwortung entledigt, darf es nicht wundern, daß sich ein Landesrat auf ihn beruft. Dessen Beamten werden ähnlich denken und handeln, besser gesagt, nicht handeln. Das Verantwortungskarussell dreht sich weiter!

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