Kind da – alles ist anders

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Vor allem mit der Geburt des ersten Kindes ändert sich das Leben vieler junger Eltern schlagartig. Schon in der Schwangerschaft beginnt eine Zeit der Unsicherheit und Angst. Wie können Familien besser unterstützt werden?

Jakob ist ein Wunschkind. Lange haben seine Eltern nur auf eines gewartet: auf einen positiven Schwangerschaftstest. Erst mit Hilfe der Reproduktionsmedizin klappt es endlich. Von nun an gilt die Devise: Alles richtig machen!

Als Jakob fünf Monate alt ist, suchen seine Eltern dennoch Rat in der Baby Care Ambulanz im Wiener Preyerschen Kinderspital. Sie sind erschöpft, der Bub wacht nachts zunehmend auf. Die liebevollen engagierten Eltern überlegen gar ein Schlafprogramm, sind unsicher, ob sie ihr Baby verwöhnen, wenn sie das Kind zu sich nehmen, stillen, tragen. Die anderen würde doch immer fragen: Und schläft dein Kind schon durch?

In diesem Fall musste die Kinderärztin und Psychotherapeutin Katharina Kruppa von der Baby Care Ambulanz den Eltern vor allem eines mitgeben: die Versicherung, dass sie das Richtige tun, wenn sie auf die Bedürfnisse des Säuglings eingehen. Kruppa nennt noch andere Beispiele: Von Müttern, die nicht eingestehen können, wie erschöpft sie sind, die alles perfekt machen wollen oder die belastende Erlebnisse aus der Vergangenheit nicht verarbeitet haben.

Es sind eher alltägliche Geschichten aus ihrer praktischen Erfahrung, die eines deutlich machen: Selten zuvor waren junge Eltern so verunsichert, auch verängstigt und überfordert, wenn ein Kind geboren wird, aber auch so bedacht, alles richtig zu machen. Viele Eltern fühlen einen Leistungsdruck. An kognitivem Wissen mangle es oft nicht, doch mit den Emotionen seien viele Familien allein, so die Diagnose vieler Experten und Expertinnen bei der Tagung „Mit Würde ins Leben treten“, die kürzlich im Bildungshaus St. Virgil in Salzburg stattgefunden hat. Es war die Auftaktveranstaltung des neuen Netzwerkes „Lebensbeginn“, das 22 Organisationen und verschiedene Professionen umfasst, die im Bereich Schwangerschaft, Geburt und erstes Lebensjahr arbeiten. Ihr großes Ziel: Eltern und ihre Kinder sollen frühzeitig und besser vor und nach der Geburt unterstützt werden, um eine sichere Bindung zu gewährleisten. Denn keine Phase im Leben eines Menschen sei so prägend wie der Lebensbeginn.

Alles nach Plan

Doch wie verläuft der Beginn des Lebens heutzutage? Er ist geprägt von vielen Optionen und Positionen. Und zu Beginn steht die Frage, wann kriegt ein Paar ein Kind, wenn überhaupt. Die deutsche Gynäkologin Sabine Schiefenhövel aus Eschborn berichtet aus ihrer Praxis: Viele ihrer Patientinnen stehen voll im Beruf, viele dieser Frauen denken erst Ende 30 an den Nachwuchs. Dann sollte alles nach Plan gehen. Doch nicht selten dauert es mit der Schwangerschaft. Sie komme sich oft vor wie eine „Event-Managerin“, sagt die Frauenärztin. „Die Frauen meinen, das ist ein Erlebnis, das gut zu gehen hat.“ Und dann ist doch meist alles anders, es kann zu einer Fehl- oder Frühgeburt kommen. Die Umstellung von der Karrierefrau auf den Mama-Alltag sei für viele ein „Kulturschock“, so Schiefenhövel.

Nicht nur für diese ältere Gruppe der Frauen stellt sich nach Eintritt einer Schwangerschaft die Frage: Wie viel an Pränataldiagnostik will ein Paar in Anspruch nehmen und was würde man tun, wenn Ergebnisse ein gewisses Risiko aufzeigen oder eine Krankheit? Die Historikerin Barbara Duden von der Universität Hannover weist darauf hin, dass sich „die neue Machbarkeit als Ohnmacht entpuppen“ würde. „Statistische Wahrscheinlichkeit und persönliche Erfahrung wird auf skandalöse Weise vermischt“, kritisiert Duden. Anders der Fetalmediziner Matthias Scheier von der Universitätsklinik Innsbruck, der auch die Vorteile der vorgeburtlichen Untersuchungen aufzeigt, wenn Eltern etwa erfahren, dass ihr ungeborenes Kind nicht gesund ist. Viele Eltern könnten bei entsprechender psychosozialer Begleitung besser mit der Situation umgehen, zudem könnten bestimmte Krankheiten nach der Geburt oder sogar im Mutterleib operiert werden.

Und die Angst geht immer mit. Zu einem gewissen Grad sei dies in der Phase von Schwangerschaft und Geburt normal, betont Karl-Heinz Brisch, Leiter der Abteilung für Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie im Dr. von Haunerschen Kinderspital in München. Doch wenn die Angst „davongaloppiere“, dann müssten betroffene (werdende) Mütter oder Väter professionelle Hilfe bekommen. Denn große Angst könne vielfache negative Konsequenzen haben: Das Ungeborene gedeihe nicht so gut. Die Geburt verlaufe oft schwieriger, die Bindung zum Kind sei störanfällig, so Brisch. Für den Kinderpsychiater und Psychotherapeuten ist klar: Es dürfe keine Abteilung für Pränataldiagnostik und keine Geburtenabteilung geben ohne großes psychosoziales Teams. Es brauche eine „Entängstigung“ von Schwangerschaft und Geburt. Hier müsse Prävention ansetzen. Denn die Vorgeschichte eines unruhigen Säuglings seien zu oft verängstigte Eltern oder Erlebnisse, die nicht verarbeitet wurden, etwa Tod- und Fehlgeburten.

Die Sozialpädagogin Paula Diederichs, die in Berlin Schreiambulanzen leitet, bringt es auf folgenden Punkt: „Mothering the Mother“: Die Mutter müsse eine sichere Bindung erfahren, etwa während der Geburt, um diese Bindung an ihr Kind weiterzugeben. Diederichs erwähnt dies besonders in Bezug auf traumatisch erlebte Geburten, die Frauen mit Schuld- und Versagensgefühlen zurücklassen – oft der Beginn von schwierigen Mutter-Kind-Beziehungen.

Auch die Kinderärztin Katharina Kruppa betont: Es könne nie das Baby alleine therapiert werden, das gehe nur zusammen mit den Eltern. Sie zeigt sogenannte Frühe Hilfen für junge Eltern vor allem am Beispiel des Schlafens auf, neben Still- und Ernährungsproblemen eine der Hauptsorgen von frischgebackenen Eltern.

Ihre grundlegende Information: Dass Eltern auf das Baby eingehen und es zu sich nehmen, wenn es nachts aufwacht und weint, ist ein Grundbedürfnis des Kindes. Eltern haben aber ihre Grenzen. Es braucht daher ein größeres System, um Eltern, vor allem den Müttern, zu helfen. Viele Familien lebten zu isoliert, warnen Experten.

Weiters gehe es um ein Lernen von Empathie und Autonomie, betont Kruppa. Man solle den Kindern die Chance geben, Grenzen zu erkennen. Sprich: Viele Mütter überfordern sich selbst, wollen perfekt auf ihr Kind eingehen, vergessen aber, ihrem Kind eine Botschaft mitzugeben: Ich bin für dich da, wenn du mich brauchst, aber ich will auch schlafen.

Hilfe, bevor Eltern ausbrennen

Stattdessen meinen viele Frauen, sie müssten alles schaffen. Marguerite Dunitz-Scheer, Ärztin an der Psychosomatischen Station der Uni-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde Graz, kritisiert in diesem Zusammenhang, dass die Phase des Wochenbettes nicht ausreichend beachtet werde.

Besonders Mütter von sehr unruhigen Säuglingen kommen schnell in einen Zustand von Dauer-Anspannung – wie der Körperpsychotherapeut Thomas Harms in Bezug auf Krisen nach der Geburt erklärt (siehe Interview). Eltern könnten erst eine gute Bindung zum Kind aufbauen, wenn sie den Bezug zu ihrem eigenen Körper wieder hergestellt hätten.

Dass die größte Umstellung für Eltern das erste Kind sei, wird niemand bezweifeln. Doch Karl-Heinz Brisch betont: Natürlich hätten Eltern beim zweiten Kind schon mehr Know-How, aber jedes Kind sei anders. „Wenn man schon eine Partnerschaft hatte und meint, die zweite funktioniert genauso, hat man weit gefehlt“, sagt Brisch: Die nächste Beziehung sei eben anders. So auch das zweite Baby. „Die Eltern müssen sich neu einstellen, dieses Baby kennenzulernen.

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