Kirche beweist ihre Weltfremdheit

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Die Broschüre basiert auf fachlichen Standards.Ziel staatlicher Sexualpädagogik kann nicht sein, religiöse Normen zu propagieren.

Die Lektüre der neuen Aufklärungsbroschüre ist nicht aufregend, die aufgeregten Reaktionen umso interessanter. Im Detail: Die Auswahl der aufgelisteten Beratungsstellen ist selektiv und nicht gut recherchiert. Das Layout ist Geschmackssache, über einige Schwerpunktsetzungen oder Auslassungen ließe sich diskutieren. Die Neuerungen zu älteren oder vergleichbaren Broschüren sind geringfügig.

Die Grundaussagen entsprechen aber fachlichen Standards. Darüber herrscht bei der Mehrheit aller Pädagogen Konsens: Sachliche Informationen ohne Ängste zu schüren, Respekt vor dem eigenen Intimbereich und dem des Anderen, Nein-Sagen-Können und Akzeptanz jeder sexuellen Orientierung - das alles jugendgerecht vermittelt. Nicht zuletzt geht es um Aids-Prävention, Verhinderung von sexuellem Missbrauch und Vermeidung von ungewollten Schwangerschaften. Diese Gefahren müssen wir ernst nehmen und darauf reagieren - zum Wohl der Jugendlichen. Aufgabe von Sexualerziehung ist es, Jugendlichen Informationen zu bieten, ihre Selbstsicherheit zu stärken, damit sie mit ihren inneren Triebkräften umgehen können.

Kirchlicher Pansexualismus

Warum nun die Aufregung? Wieder ist es ein "sexuelles Thema", bei dem die katholische Kirche für viele ihre Weltfremdheit erneut unter Beweis stellt, von einer Minderheit jedoch umso mehr Beifall erhält. Das ist kein Zufall. Auf dem Feld der Sexualpädagogik geraten kirchliche Moralvorstellungen notwendigerweise mit staatlichen Aufgaben in Konflikt. Ziel staatlicher Sexualpädagogik kann nicht sein, ideologische oder religiöse Normen zu propagieren, sie basiert auf dem angeführten minimalen Konsens. Die kirchliche Kritik geht aber in die Richtung, dass eine solche Aufklärung mehr Schaden als Nutzen bringe. Bereits das Benennen von manchen Praktiken oder Orientierungen bedeute ein Fördern derselben.

Da allerdings richtet sich der Vorwurf des Pansexualismus, den die katholische Kirche einst der Psychoanalyse machte, plötzlich gegen sie selbst. Überall lauert die Sexualität. So widersprüchlich es auf den ersten Blick aussieht, scheinen Kirche und Psychoanalyse in diesem Punkt nicht weit auseinander zu liegen. Beide messen der Sexualität eine besonders große Bedeutung bei. Die Bewertung könnte allerdings nicht unterschiedlicher sein. Ging es der Psychoanalyse früher und der Sexualpädagogik heute um eine Bejahung der Trieblichkeit des Menschen, überwiegt in kirchlichen Stellungnahmen die Bedrohlichkeit der Sexualität: Aufklärung sei am besten überhaupt zu unterlassen, möglichst spät anzubieten und wenn, dann mit allen möglichen Warnungen vor Gefahren und Konsequenzen zu versehen.

Schlechter Ratgeber Angst

Die Angst vor Sexualität ist verständlich als Reaktion auf ihr manchmal auch bedrohliches Wesen. Die Angst ist aber ein schlechter Ratgeber: Verbote, gefährliche Warnungen oder Tabuisierungen nähren unerwünschte Triebentwicklungen (siehe das Ausmaß des sexuellen Missbrauches in der katholischen Kirche).

Einen berechtigten Aspekt kirchlicher Kritik sehe ich in der "Sexualisierung" unserer Zeit. Kaum eine Autowerbung kommt ohne sexuelle Reize aus. Waren die Menschen früher durch Verklemmtheiten und Zwänge eingeengt, sind heute auf sexuellem Gebiet andere Zwänge entstanden. Viele Menschen glauben, ihre Sexualität nach dem ausrichten zu müssen, was ihnen in der Öffentlichkeit als Ideale vorgegeben werden: ewige Jugend und Schönheit, stets verfügbare Sexualität ohne irritierende äußere Faktoren. Dabei geht verloren, wie verschieden, privat und manchmal auch schwierig Sexualität sein kann.

Die Kritik der katholischen Kirche an diesen Zuständen wird jedoch selten ernst- oder wahrgenommen. Ein Grund dafür ist, dass sie häufig an unangebrachten und banalen Beispielen - wie dieser Aufklärungsbroschüre - anknüpft.

Der Autor studierte katholische Theologie, ist Mitarbeiter der Sexualberatungsstelle Salzburg und Psychoanalytiker in freier Praxis.

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