Klarheit über die Vergangenheit, Basis für die Zukunft/Reaktionen
Kommentare österreichischer Tageszeitungen
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Trotz der Verspätung ist die Erklärung Gusenbauers zu begrüßen. Der designierte SPÖ-Vorsitzende hat zu den gravierendsten Fällen deutliche und klare Worte gefunden. Es ist ihm vermutlich auch persönlich nicht leicht gefallen, das Denkmal der sozialistischen Überväter Bruno Kreisky und Christian Broda anzupatzen, zumal Gusenbauer selbst erklärt hat, Kreisky sei sein politisches Vorbild. So manche in der SPÖ werden es ihm auch übel nehmen, daß er die Nachkriegsgeneration der Partei mitverantwortlich für die Gründung des Verbands der Unabhängigen (VdU) macht, dem Sammelbecken der Nazis, aus dem später die Freiheitliche Partei hervorgegangen ist. Bezeichnend waren in diesem Zusammenhang die Aussagen des Chefs der roten Pensionisten, Karl Blecha, der überhaupt noch vor wenigen Tagen gemeint hat, wenn jemand behaupte, daß es in der SPÖ "braune Flecken" gegeben habe, käme es zu einem "Aufstand". Blecha ist keine Einzelstimme in der Partei.
Der Standard (7.4.2000) * Die Erklärung des kommenden SPÖ-Vorsitzenden zu den "braunen Flecken" kam nicht zustande, weil die SPÖ plötzlich von Reue gepackt worden wäre, sondern weil die Diskussion um die ehemalige SPÖ-Mitgliedschaft des NS-Arztes Gross ausgerechnet zu einem Zeitpunkt kam, zu dem die SPÖ ausgiebig mit den braunen Flecken der FPÖ beschäftigt war.
Gusenbauer hat es sich in seiner Rede dennoch nicht leicht gemacht und auch Persönlichkeiten wie Kreisky und Broda nicht geschont. Schade deshalb, daß die Form der Erklärung ihrem Inhalt nicht angemessen war. Von der politischen und historischen Bedeutung her hätte diese Erklärung nirgendwo anders abgegeben werden dürfen, als vor dem kommenden Bundesparteitag - als wichtige Botschaft an das höchste Gremium der österreichischen Sozialdemokratie. Stattdessen las Gusenbauer die Erklärung in einer beliebigen Pressekonferenz (mit Erfrischungen) ab.
Salzburger Nachrichten (7.4.2000) * Die Erklärung Alfred Gusenbauers zu den sogenannten "braunen Flecken" der SPÖ spiegelt die gesammelten Absurditäten der gegenwärtigen Situation in Österreich wider. Da verlangt ganz Europa seit Monaten von FP-Chef Jörg Haider eine Entschuldigung für seine Äußerungen in der Vergangenheit, und der designierte SP-Chef Gusenbauer liefert eine für seine Partei - auch deshalb, weil er meint, damit das Bild Österreichs im Ausland zurechtzurücken und die SPÖ von den Regierungsparteien abgrenzen zu können. (...)
Wie verkrampft das ganze Unternehmen angelegt und realisiert wurde, zeigen zwei Aspekte: Erstens hat Gusenbauer es vermieden, viel aktuellere Vorfälle in der SPÖ zur Sprache zu bringen. Kein Wort über den Welser SP-Bürgermeister Karl Bregartner, der von 1992 bis 1999 wegen seiner Toleranz "brauner Flecken" wie einer SS-Gedenktafel in seiner Stadt unter Dauerbeschuß gestanden war und all die Jahre keine Konsequenzen gezogen hatte. Die SPÖ hat ihn auch nicht dazu veranlaßt.
Zweitens sah sich Gusenbauer in seiner Erklärung zur SP-Vergangenheit gedrängt, besonders kritische Worte über Bruno Kreiskys Angriffe auf Simon Wiesenthal unterzubringen. Wohl als innerparteiliche Mutprobe gewissermaßen. Alles andere, was Kreisky in diesem Zusammenhang anzumerken gewesen wäre, seine Ausfälle gegen Israel etwa, blieb unerwähnt.
Die Presse (7.4.2000)
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