ballade vom baikalsee - Ballade vom Baikalsee - © Foto: Unsplash/Philipp Trubchenko

Klaus Bednarz: "Ballade vom Baikalsee"

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Reise ins unbekannte Sibirien: Über Sibirien gibt es wenig zu lesen. Für die meisten Autoren endet Rußland beim Ural. Eine Ausnahme ist die "Ballade vom Baikalsee" von Klaus Bednarz.

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Reise ins unbekannte Sibirien: Über Sibirien gibt es wenig zu lesen. Für die meisten Autoren endet Rußland beim Ural. Eine Ausnahme ist die "Ballade vom Baikalsee" von Klaus Bednarz.

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Ein Sibirier würde ihn niemals als See bezeichnen. Das verbietet der Respekt und auch die Vorsicht. "Heiliges Meer", "Brunnen des Planeten","Perle Sibiriens" oder "Das blaue Herz der Taiga" sind angemessenere Bezeichnungen. Der Baikal hat nämlich seine Launen und niemand will seinen Groll auf sich ziehen, das könnte sich bitter rächen. Plötzliche Wetterstürze, Stürme oder aufbrechende Eisspalten im Winter lassen den Menschen nie vergessen, wo die Grenzen seiner Macht liegen.

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In den letzten Jahren hat auch die ehemalige Sowjetunion langsam begonnen, sich als Urlaubsreiseziel zu entwickeln, aber der Großteil dieses weiten Landes ist für Europäer immer noch Terra incognita. Die Literatur über Rußland ist zwar mannigfaltig, nur scheint für die meisten Autoren das Land am Ural zu enden. Über Sibirien ist hierzulande wenig zu lesen - mit Ausnahme von zwei Reiseführern und einigen wenigen Publikationen älteren Datums. Und als eines der ganz seltenen Werke, die sich nicht mit dem ganzen riesigen Sibirien auf einmal beschäftigen, sondern mit einem vergleichsweise überschaubaren, begrenzten Gebiet präsentiert sich Klaus Bednarz mit seiner "Ballade vom Baikalsee".

In einer gelungenen Mischung aus Dokumentation und anekdotischer Reiseerzählung berichtet der deutsche Slawist und Historiker von einer Winter- und einer Sommerreise, die er mit seinem Team in die Baikalregion unternommen hat, um Land und Leute kennenzulernen.

Der Baikal ist ein Gewässer der Superlative: der kälteste, tiefste, sauberste, älteste See und das größte Trinkwasserreservoir der Welt. Mit seiner Ausdehnung, die etwa der Strecke vom Burgenland bis nach Vorarlberg entspricht, soll er vom All aus wie eine blaue Riesenbanane aussehen.

Einzigartige Tierwelt

Einzigartig auch die Tier- und Pflanzenwelt im Wasser und an seinen Ufern: hier leben etliche Arten, die sonst nirgendwo zu finden sind: die Baikalrobben, die einzigen Süßwasserrobben der Welt, oder die Golomjanka, ein Fisch, der lebende Junge gebiert und in großer Tiefe lebt, oder auch die Epischura, ein nur ein bis zwei Millimeter winziges Krebstierchen, das an der Seeoberfläche millionenfach auftritt und dessen unglaublicher Gefräßigkeit, mit der es Algen und Bakterienverschlingt, der See seine besondere Klarheit verdankt "ein natürliches Filtersystem, dessen Effektivität nicht seinesgleichen hat."

All dies kann aber nur so lange funktionieren, solange der Mensch nicht zu rührig wird: Industrie oder exzessiver Tourismus könnten das biologische Gleichgewicht auf lange Zeit zerstören: Würde es an den Ufern des Baikal so aussehen wie beispielsweise am Lago Maggiore, so wäre das sein Ruin. Während sich nämlich die norditalienischen Seen innerhalb weniger Jahre regenerieren, braucht der Baikal aufgrund seiner ungeheuren Wassermassen und der geringen jährlichen Niederschlagsmenge dazu 200 Jahre.

Straßen auf Sibiriens Gewässern

Für die Einheimischen ist der See nicht nur Spender von Fisch und Trinkwasser, sondern auch eine wichtige Verkehrsfläche. Schon immer waren die sibirischen Gewässer die sichersten Transportwege: im Sommer mit Schiffen zu befahren, und im Winter gab die dicke Eisschicht eine brauchbare Straße ab. Dazu kommt, daß der Weg über den See natürlich wesentlich kürzer ist als seine Umfahrung, jedoch eine nicht ganz ungefährliche Alternative. Erfahrene Kapitäne sind immer auch Wetterspezialisten und versuchen, die oft sehr plötzlich auftretenden Stürme vorauszusagen, um rechtzeitig vorher das Ufer zu erreichen.

Im Winter wird der zugefrorene See dann mit Autos und Lastwagen befahren. Die Hauptverbindungen werden regelmäßig kontrolliert und markiert, und der Verlauf einer "Straße" kann sich im Laufe eines Winters mehrmals ändern, denn das Eis arbeitet ständig, und man muß sich vor eventuell entstehenden Spalten in acht nehmen.

Irkutsk - Die Stadt der Intellektuelllen

Die wichtigsten Städte der Region sind das elegante Irkutsk, auch das "Paris Sibiriens" genannt, und Ulan-Ude, die Hauptstadt der autonomen Republik Burjatien. Schon 1890 schwärmte Eechov, der auf der Durchreise einige Tage in Irkutsk Station gemacht hatte, von der faszinierenden Stadt: "Die schönste Stadt in Sibirien ist Irkutsk ... Ganz intellektuell, Theater, Museum, Stadtpark mit Konzert, gute Hotels ... Ich trinke hervorragenden Tee, der mich angenehm anregt." In kommunistischen Zeiten hatte Sibirien einen ähnlichen Ruf, denn angesichts der vielen Straflager setzte sich der Galgenhumor durch: Sibirien sei die interessanteste Gegend der Sowjetunion - da sitzen alle Intellektuellen.

Und viele blieben dann auch. Ulan-Ude ist über 300 Jahre alt und damit eine der ältesten sibirischen Städte. Hier teilt sich die transsibirische Eisenbahn, ein Schienenstrang führt weiter nach Wladiwostok, der andere über die Mongolei nach Peking. Bis zur Wende durften Ausländer die Stadt nicht betreten, Flugzeugindustrie und Rüstungsbetriebe waren hier angesiedelt.

Klaus Bednarz und seine Mitarbeiter haben sich subtil und dennoch nicht unkritisch mit der Region auseinandergesetzt. Die "Ballade vom Baikalsee" handelt ebenso vom "Monster des Baikal", einem Zellulose- und Papierkombinat am Ufer des Sees, das seit 1966 die Gegend mit seinen Emissionen verpestet und gegen das russische Wissenschaftler und Schriftsteller zusammen mit Greenpeace schon lange einen ebenso erbitterten wie bisher erfolglosen Kampf führen und dessen Schließung leider nicht nur Umweltschutz, sondern auch eine weitere Welle der Arbeitslosigkeit bedeuten würde, wie von "deutschen Dörfern", in denen von Stalin deportierte Wolgadeutsche bis heute ihre Muttersprache bewahrt haben (Deutsch wird mittlerweile auch wieder in Schulen und an der Universität gelehrt), oder von der legendären sibirischen Gastfreundschaft, die die Trinkfestigkeit der Gäste auf die Probe stellt.

Bednarz' Schilderungen sind berührend und faszinierend. Schade, daß er auf Abbildungen völlig verzichtet hat, Bilder aus Sibirien sind so selten. Statt dessen schildert er aber recht anschaulich den "echt sibirischen Wodka": Spiritus, verdünnt mit Baikalwasser ...

Ballade vom Baikalsee - © Foto: Europa Verlag
© Foto: Europa Verlag
Buch

Ballade vom Baikalsee

Von Klaus Bednarz
Europa Verlag 1998
384 S., geb., öS 291.-

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