Kleiner Schnitt zur Klarheit

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Bedeutet die Operation des Grauen Star hierzulande einen Eingriff von 15 Minuten, so verloren weltweit 20 Millionen Menschen durch diese Linsentrübung ihr Augenlicht.

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Bedeutet die Operation des Grauen Star hierzulande einen Eingriff von 15 Minuten, so verloren weltweit 20 Millionen Menschen durch diese Linsentrübung ihr Augenlicht.

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Sechshundertfache Blindenheilung in einer Woche: Was sich 1996 in einem lazarettartigen Lager auf einem pakistanischen Bauernhof zugetragen hat, sucht seinesgleichen. Sechs Wiener und vier heimische Augenärzte operierten Blinde am laufenden Band, entfernten getrübte Linsen und statteten die Patienten als Ersatz mit dickglasigen "Star-Brillen" aus. Unter den Operateuren war auch Karl Rigal, Oberarzt am Wiener Hanusch-Krankenhaus. Sechs Jahre zuvor hatten die Erzählungen eines pakistanischen Kollegen in Wien den Ausschlag gegeben für diesen privat organisierten Einsatz.

Die Lage in Pakistan war (und ist) prekär: Tausende Menschen sind - wie in zahllosen anderen Teilen der "Dritten Welt" - in Folge mangelnder medizinischer Versorgung, Hygiene und Ernährung erblindet oder gefährdet, ihr Augenlicht zu verlieren. Vier Augenkrankheiten gelte es zu bekämpfen: den am weitesten verbreiteten Grauen Star (Katarakt) mit seiner angeborenen oder sukzessiven Trübung der Linse; die Infektionskrankheit Trachom, bei der die Wimpern nach innen wachsen und so nachhaltig die Hornhaut schädigen; die durch Vitamin-A-Mangel ausgelöste Kinderblindheit und schließlich die durch Parasitenbefall ("Schwarze Fliege") übertragene Flussblindheit (Onchozerchose). Für eine längerfristige Hilfe war das ambitionierte Erstlingswerk in Pakistan freilich nur der Anfang. Nötig wurde die Kooperation mit professionellen Organisationen, rekapituliert der 45-jährige Mediziner Rigal. "So kamen wir mit der Christoffel-Blindenmission in Kontakt."

Man hat einander gefunden: Begründet vom Rheinländer und evangelischen Missionar Ernst Jakob Christoffel (1876-1955), der 1908 nach Anatolien aufbrach, um "Blinden, Krüppeln und Niemandskindern im Orient" zu helfen, wurde aus der kleinen Missionsgesellschaft eine christlich-überkonfessionelle Fachorganisation mit drei Arbeitsschwerpunkten: der Prävention oder Heilung von Blindheit sowie der Rehabilitation und Ausbildung unheilbar blinder Menschen. Seit den 60er Jahren organisiert die Christoffel-Blindenmission (CBM) Operationen am Grauen Star, unterstützt Blindenheime oder den Bau von Augenstationen und -krankenhäusern. Ziel der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anerkannten "Fachorganisation für die Verhütung und Heilung von Blindheit" ist vor allem die nachhaltige Versorgung auf lokaler Ebene und die Ausbildung der Ärzte vor Ort.

keine Alterskrankheit Über tausend Hilfsprojekte in 109 Ländern werden von der CBM unterstützt. "International können wir mittlerweile 300.000 Operationen pro Jahr finanzieren", freut sich Werner Bauer vom Verein CBM Österreich über die Wirksamkeit der Dachorganisation - und das österreichische Spendenaufkommen des Jahres 1999 von 38 Millionen Schilling. Schwerpunkt ist und bleibt die Star-Operation: "Im Gegensatz zu unserer Situation ist der Graue Star in der so genannten Dritten Welt keine Alters-krankheit, sondern wird oft ausgelöst durch Unfälle oder schlechte Lebensbedingungen," stellt Bauer klar. Die Folgen sind katastrophal: 90 Prozent aller Blinden leben in den ärmsten Gebieten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Ein bis zwei Augenärzte auf eine Million Menschen - diese Situation ist etwa in Afrika gang und gäbe. Nur in rund zwei Prozent aller Fälle ist Blindheit angeboren, bei insgesamt 20 Prozent der Betroffenen unheilbar: Demnach könnten acht von zehn Blinden bei entsprechender Therapie wieder sehend werden.

Die Prognosen versprechen indes nichts Gutes: Werden keine Maßnahmen ergriffen, so könnte die Zahl der Blinden weltweit von jetzt 45 Millionen bis 2020 auf mehr als 70 Millionen wachsen. Die von der Christoffel-Blindenmission angeregte und von der Weltgesundheitsorganisation getragene Kampagne "Vision 2020 - The Right to sight" hat es sich zum Ziel gemacht, bis zu diesem Zeitpunkt vermeidbare Blindheit auszumerzen. Zwar sei dieses Vorhaben "unrealistisch", weiß Werner Bauer, doch konnte man erst kürzlich per Internet die viermillionste Katarakt-Operation mitverfolgen (www.4millioneyes.at). Immerhin ein Anfang.

Die düsteren Prognosen sind umso schmerzlicher, als der Schritt zum Sehen ein kleiner ist. Der Eingriff ist denkbar simpel, erklärt Augenarzt Karl Rigal. Anders als noch bei seinem ersten Operations-Marathon im Jahr 1996 wurde in seinen nächsten drei Einsätzen - November 1999 und 2000 in Pakistan und im Juni dieses Jahres in Uganda - nach Entfernung der geschädigten Linse keine Brille mehr verordnet, sondern ein modernerer Operationsmodus angewandt: "Unter Lokalanästhesie wird die getrübte Linse herausgenommen, die Kapsel gereinigt und schließlich eine Kunststoff-Linse samt Kapselsack hineingelegt." Ein solcher Eingriff dauert ganze 15 Minuten - Komplikationen sind selten. Mit kostengünstigen, qualitativ hochwertigen Linsen aus Indien sowie dem für die Operation benötigen Mikroskop belaufen sich die Kosten auf umgerechnet 350 Schilling. Zum wahren Spottpreis sind auch die anderen Augenkrankheiten heil- oder vermeidbar: Vitamin-A-Kapseln und ein Medikament gegen die Flussblindheit um zehn Schilling oder eine Augensalbe gegen Trachom um 40 Schilling.

High-Tech-Chirurgie Anders präsentieren sich die Operationsmethoden und -preise freilich in Rigals Heimstätte, dem Wiener Hanusch-Krankenhaus: Ein grauer Star wird hier seit den 80er Jahren mit modernster Ultraschall-Technik operiert. Kostenpunkt: 20.000 Schilling. Und zwei Tage stationärer Aufenthalt. Mittels Ultraschall wird die Linse verflüssigt; der Schnitt im Auge bleibt so mit drei Millimetern vergleichbar kurz. In der Folge wird die künstliche Linse gefaltet und durch die kleine Öffnung im Auge platziert. Auch der ideale Zeitpunkt der Operation wird anders als früher bestimmt: Eingegriffen wird nicht erst dann, wenn der Star "reif" und der Patient faktisch erblindet ist, sondern zu jenem Zeitpunkt, an dem der Patient seine nachlassende Sehkraft als störend empfindet. Die Zahl der Katarakt-Operationen nimmt daher stetig zu: 2.500 Patienten erhalten jährlich im Hanusch-Krankenhaus ihre Sehkraft zurück. Angesichts der guten Operationsmöglichkeiten und verglichen mit seinem grünen "Zwilling" (Glaukom) erweist sich der Graue Star als relativ harmlos. "Beim Grünen Star merkt man dagegen nichts. Spätestens mit 40 Jahren soll man also zur jährlichen Augendruck-Kontrolle."

Fernab der Wiener High-Tech-Chirurgie galt es bei Rigals jüngstem Einsatz, die Einrichtung einer Augenabteilung in einem öffentlichen Krankenhaus in Pakistan zu evaluieren. "Wenn das funktioniert, könnte sich der Gedanke übers Land verbreiten. Doch das geht nur in kleinen Schritten: Pakistan hat 140 Millionen Einwohner." Viele Patienten kämen aus einem Umkreis von 100 Kilometern zu Fuß zur Operation. "Und nach dem Eingriff gehen sie mit einem Flascherl Tropfen nach Hause." Dass grundsätzlich mehr Männer als Frauen operiert werden, führt Rigal auf alte Stammessitten zurück: "Frauen werden erst dann geschickt, wenn sie nicht mehr arbeiten können."

Christoffel-Blinden-Mission Tel: 01/810 13 00, Internet: www.cbm.at Spendenkonto: P.S.K.: 92.011.650

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