Köln und die "Krise des Mannes"

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Die Silvestervorfälle in Köln beherrschen zwar nicht mehr die Medien in Deutschland, haben das gesellschaftliche Klima aber spürbar verändert. In einigen Feuilletons gab es dazu auch eine etwas skurrile Debatte über den "deutschen Mann". Ein Gastkommentar.

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Die Silvestervorfälle in Köln beherrschen zwar nicht mehr die Medien in Deutschland, haben das gesellschaftliche Klima aber spürbar verändert. In einigen Feuilletons gab es dazu auch eine etwas skurrile Debatte über den "deutschen Mann". Ein Gastkommentar.

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Die Kölner Silvestervorfälle haben Deutschland verändert und lassen das Land immer noch nicht los. In der Silvesternacht war es bekanntlich zu massiven sexuellen und sonstigen Übergriffen von Männern mit Migrationshintergrund gekommen. Die "Ermittlungsgruppe Neujahr" arbeitet unterdessen die Vorfälle auf und versucht, die Täter zu ermitteln. Seit Köln wird einerseits etwas offener als bisher über Ausländergewalt berichtet. Dies mag man positiv werten. Andererseits hat sich der Staat in der Silvesternacht nicht nur unweit des Kölner Doms, sondern auch in vielen anderen deutschen Städten als erschreckend schwach erwiesen. Politiker reagieren in der Regel reflexhaft auf solche Vorkommnisse. Sie sondern Plattitüden ab. Der Staat werde sich als wehrhaft erweisen, gegen die Täter werde mit aller Härte des Gesetzes vorgegangen etc.

Auch die Debatte in den deutschsprachigen Feuilletons hat seit Köln einen anderen Tonfall bekommen. Bereits am 7. Jänner dieses Jahres lieferte der Schriftsteller Thor Kunkel bei der neurechten Sezession im Netz eine ziemlich brachiale Deutung. Auf einmal standen die "deutschen Männer" im Fokus. Kunkel zufolge hat sich "der" deutsche Mann in der Nacht vom 31. Dezember auf den 1. Jänner nämlich als großer Waschlappen erwiesen. Er sei zwar auch auf dem Bahnhofsvorplatz anwesend gewesen, habe aber nur schlichten wollen oder ansonsten die "Hasenfuß-Nummer" gemacht.

"Zivilgesellschaftliche Feuerprobe"

Fast schon bedauernd über die ausgebliebene Blutschlacht stellte Kunkel fest: "Jede Wette: Würden sich an die tausend Deutsche auf einem öffentlichen Platz in einer arabischen oder türkischen Stadt zusammenrotten, um Frauen sexuell zu belästigen, es hätte ganz sicher - und vor dem Eingreifen der Polizei - Tote gegeben. Ja, ganz ohne Frage." Zum einen ist es erstaunlich, wie sich der Autor nur wenige Tage nach den Vorfällen ein Pauschalurteil über das Verhalten sämtlicher deutscher Männer machen konnte. War er dabei gewesen? Hatte er sämtliche Bildaufnahmen der Ereignisse ausgewertet? Waren unter den "deutschen" Männern nicht vielleicht auch ein paar mit "Migrationshintergrund"? Wäre das Geschehen besser gewesen, wenn es Tote gegeben hätte?

Dass die Sezession solche vollmundigen Töne aus der Sicherheit des Schreibtisches heraus spuckt, verwundert eventuell nicht. Doch einen Monat später legte Eckhard Fuhr in Welt nach. Fuhr, ein gemütlicher Schnauzbartträger jenseits der 60, der das Springer-Blatt regelmäßig mit der Fachpostille Jagd und Hund verwechselt und über seine Jagdleidenschaft schreibt, war nun auf einmal gar nicht mehr so barock-gemütlich zumute. "Der moderne Mann hat in Köln versagt", so sein Diktum. Holzschnittartig stellte er den konventionellen, also testosterongesteuerten, gewaltbereiten und sexistischen (ausländischen) Mann der deutschen Memme gegenüber. Der deutsche Mann habe die "zivilgesellschaftliche Feuerprobe unter verschärften Migrationsbedingungen nicht bestanden". Setzen, sechs. Der postkonventionelle Mann habe in Köln weder Mut noch Heldentum, Beschützerinstinkt und Fürsorglichkeit gezeigt. Er sei "ohne Polizeischutz" auch nicht ansatzweise in der Lage gewesen, die zivilgesellschaftlichen Regeln des Zusammenlebens zu verteidigen.

Dies mag im einzelnen durchaus zutreffen. Doch kann man dies wirklich im Detail beurteilen, wenn man selbst nicht dabei war? Claudius Seidl berichtete im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung denn auch von einem Bericht im Deutschlandfunk. Dort habe ein Paar von den schrecklichen Ereignissen in der Rheinmetropole berichtet. Sie seien beide überrumpelt worden, "und während die Frau begrapscht wurde, wehrte sich der Mann gegen andere Männer, die ihn bedrängten, versuchte gleichzeitig die völlig verschreckten Kinder im Auge zu behalten, und als er sich befreit hatte, kümmerte er sich um Frau und Kinder und schaute, dass sie alle herauskamen aus dem Gewühl".

Der gegenderte Mann

Es liegt eine gewisse Ungerechtigkeit in der Argumentation der feuilletonistischen Maulhelden. Man kann den "deutschen Mann" und den "deutschen Jungen" eben nicht täglich in Kita, Schule, Uni und Beruf "entmännlichen" und "gendern" oder gar behaupten, das biologische Geschlecht sei nur eine Zuschreibung, und dann bei der nächsten Gelegenheit von ihm erwarten, dass er "dem Nordafrikaner" eine ordentliche Tracht Prügel verabreicht.

Bedenkenswerter als die Analysen von Kunkel und Fuhr sind die Ausführungen der Publizistin Cora Stephan in der Neuen Zürcher Zeitung. Köln habe uns die Augen geöffnet. Es gelte, sich auf härtere Zeiten einzustellen. Bezogen auf die gesamte Bevölkerungszahl stelle millionenfache Einwanderung vielleicht noch kein Problem dar. "Bezogen auf die entsprechende Alterskohorte der 17-bis 30-jährigen Männer sieht das schon anders aus. Kritisch wird es insbesondere, wenn man das bisher ausgewogene Verhältnis zwischen jungen Männern und jungen Frauen betrachtet."

Zu Recht macht die Autorin deutlich, dass es nun darum geht, unseren modernen Lebensstil und unsere Freiheiten zu verteidigen. Die Bürger Europas hätten längst begriffen, was gerade die Bundesregierung noch nicht einsehe: "Massenhafte Einwanderung von Menschen mit gegensätzlichem kulturellem Hintergrund ist heute und auf längere Sicht gesellschaftlicher Sprengstoff."

Im Schnitt weder Chefärzte noch Kriminelle

Dies ist die Kernfrage, die immer noch nicht in der gebotenen Offenheit diskutiert wird. Auf diese Herausforderung muss der Staat reagieren. Zum Beispiel mit mehr Polizei und besseren Konzepten für Sicherheit und Integration. Dieser großen Debatte wollen Journalisten wie Eckhard Fuhr ausweichen, wenn sie den Eindruck erwecken, die Dinge kämen schon wieder ins Lot, wenn im Schatten des Kölner Doms der eine oder andere Nordafrikaner "ordentlich eine aufs Maul" bekommen hätte.

Und auch wenn es zurzeit kaum einer hören möchte: Deutschland ist langfristig auf Zuwanderung angewiesen. Die Flüchtlingsdebatte überlagert momentan nur leider alles. Deutschland hat in der letzten Zeit seine Balance verloren. Zumindest die veröffentlichte Meinung zeigt das Bild eines zerrissenen Landes, das zwischen den Extremen schwankt. Zunächst wurde eine schon fast rauschhafte Willkommenskultur gefeiert. Zuwanderung als Party, als Sommermärchen. Relativ schnell trat die Ernüchterung ein. Auf den Rausch folgte der Kater. Momentan dominiert bei vielen eine sehr negative Sichtweise. Doch eines ist klar: Der durchschnittliche Asylbewerber, der nach Deutschland kommt, ist weder ein syrischer Chefarzt noch ein Krimineller. Und der Untergang des Abendlandes steht auch nicht vor der Tür, wie die Rechtspopulisten unken. Es ist höchste Zeit für eine vernünftige Diskussion.

Der Autor ist Fraktionsgeschäftsführer der CDU in der nordrhein-westfälischen Stadt Remscheid und lebt und arbeitet als freier Publizist in Bonn

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