Kräftemessen auf dem Gesundheitsmarkt

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Gesundheit ist Thema, Trend und ein Milliardenmarkt. Der Ministerrat beschloss diese Woche den Gesetzesentwurf für Ärztegesellschaften. Expertisen des Instituts für Höhere Studien (IHS) im Auftrag der Ärztekammer belegen die ökonomische Bedeutung des Gesundheitswesens.

D er Protest folgte prompt dem Beschluss. Zuerst hatte der Ministerrat am Dienstag der abgelaufenen Woche den von Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Schaffung von Ärztegesellschaften angenommen. Wenige Stunden später langte die Kritik aus der Wirtschaftskammer ein. Der Vorgang ist ein Zeichen für das Tauziehen auf dem Gesundheitsmarkt, dessen Wertschöpfungseffekt vom IHS mit 22,5 Milliarden Euro beziffert wird und der 445.000 Vollzeitarbeitsplätze generiert.

Der Gesetzesentwurf für Ärztegesellschaften geht damit als Regierungsvorlage an das Parlament. Ärzte sollen die Möglichkeit erhalten, in unterschiedlichen Modellen zu kooperieren. Stöger zeigte sich erfreut, denn dieses Gesetz „bringt wesentliche Verbesserungen im ambulanten Bereich“ Konkret würden es die Ärzte-GmbHs möglich machen, die Versorgung besser abzustimmen, vor allem im ländlichen Bereich. Diese bedeute einerseits eine Entlastung von Spitalsambulanzen, andererseits bessere – gemeint sind längere, den Pendlern angepasste – Öffnungszeiten der Praxen. Doch was die Spitalsambulanzen entlastet, erfreut die privaten Ambulanzen keineswegs.

Fachverband droht mit Klagen

Die Kritik formulierte Julian Hadschieff, Obmann des Fachverbandes der Gesundheitsbetriebe in der Wirtschaftskammer. Seine Branche könne es nicht akzeptieren, dass Ärzte künftig Gruppenpraxen von unbeschränkter Größe ohne jene Auflagen, die für Ambulatorien vorgesehen seien, errichten. Sollte die Regierungsvorlage vom Parlament beschlossen werden, dann werde der Fachverband sämtliche Möglichkeiten des Widerstandes ausschöpfen, auch den Weg zu Höchstgerichten beschreiten, kündigte Hadschieff an.

Ob sich die Interessenvertretung der rund 755 selbständigen Ambulatorien tatsächlich politisch und juristisch so heftig zur Wehr setzen wird, ist offen: Bei den Verhandlungen zwischen Wirtschaftskammer und Ärztekammer über den neuen Honorarvertrag für die SVA hat die Wirtschaft zugesagt, ihren Widerstand gegen die Ärztegesellschaft aufzugeben.

In den möglichen Gruppenpraxen sieht Hadschieff jedenfalls eine „existenzielle Bedrohung“ für die Ambulatorien. Die Auswirkungen für den Bestand der Spitäler zeigen sich erst. Während Spitalsambulanzen entlastet werden, sind die Standorte der Krankenhäuser noch nicht grundsätzlich infrage gestellt. Stöger beendete die von seiner Partei geführte Debatte über mögliche Sperren kleiner Spitäler oder deren Umwandlung in Pflegeheime mit einem einfachen Votum: „Ich stehe zu allen Standorten in Österreich.“ Das Gesundheitssystem brauche „Buntheit“.

Größe und Bedeutung des Gesundheitswesens als Wirtschaftszweig belegen jüngste Expertisen des Institutes für Höhere Studien (IHS), erstellt im Auftrag der Ärztekammer.

Die 2006 getätigten Gesundheitsausgaben lösten in Österreich einen Wertschöpfungseffekt von 22,5 Milliarden Euro aus. Das ist die Summe aus laufenden Ausgaben, Investitionen und Exporten. Sie entspricht einen Anteil von 9,7 Prozent an der gesamtösterreichischen Wertschöpfung von 2006. Die damit generierten 445.000 Arbeitsplätze (umgerechnet in Vollzeit) entsprechen 12,5 Prozent der gesamten vollzeitäquivalenten Beschäftigung. Zudem flossen 10,4 Milliarden Euro in Form von Steuern und Abgaben an die öffentliche Hand zurück, was einem Anteil von 9,3 Prozent der gesamten öffentlichen Einnahmen an Steuern und Sozialbeiträgen entspricht.

Die IHS-Studien zeigen die einzelnen Bereiche und die Verflechtungen zugleich detailiert auf.

So betragen die laufenden Ausgaben des Gesundheitswesens – also die Kosten des laufenden Betriebs im stationären, ambulanten und niedergelassenen Bereich – 25 Milliarden Euro. Das bedeutet 21 Milliarden Euro Wertschöpfung, 423.000 Vollzeitarbeitsplätze und 9,6 Milliarden Euro an öffentlichen Einnahmen.

Investitionen von 1,3 Mrd. Euro

Die Investitionsausgaben, also die Ausgaben für medizinische Geräte oder die Ausstattung von Praxen, betrugen 2006 rund 1,3 Milliarden Euro, in etwa je zur Hälfte aus öffentlicher und aus privater Hand finanziert. Die Investitionen bewirken in Österreich eine Wertschöpfung von 780 Millionen Euro, 12.000 Vollzeitarbeitsplätze und 550 Millionen Euro an öffentlichen Einnahmen.

Als Drittes nach den laufenden und den investiven Ausgaben kommen laut IHS noch die Exporte hinzu, die allerdings nicht in ihrer Gesamtheit erfasst werden konnten. Die erhebbare Summe exportierter Gesundheitsdienstleistungen, Pharmazeutika und medizinischer Geräte erreicht den Wert von 1,2 Milliarden Euro. Wiederum umgelegt ergeben sich daraus 830 Millionen Euro Wertschöpfung, 10.500 Vollzeitarbeitsplätze und 250 Millionen Euro an öffentlichen Einnahmen.

Zu diesen direkten Beiträgen des Gesundheitswesens zu Wertschöpfung, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung kommen die indirekten: Durch die Anhebung des Gesundheitsniveaus wird die Produktivität des Faktors Arbeit erhöht.

Mit dem Humankapital-Ansatz erhoben die IHS-Experten, inwieweit die Wirtschaft an Produktivkraft verlöre, lägen heute die Gesundheitsverhältnisse der Jahre 1980, 1990 und 2000 vor.

Die Krankenstände und die Sterblichkeit des Jahres 1980 angenommen, läge heute das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 5,2 Prozent niedriger als es tatsächlich ist. Bezogen auf 1990 ergäbe sich eine Minderung um 3,2 Prozent, bezogen auf 2000 eine um 1,8 Prozent.

Diese „positiven Impulse“ des Gesundheitswesens würden jedenfalls, wie Ärztekammerpräsident Walter Dorner bei der Präsentation der Studien vorige Woche betonte, „die einseitigen Aussagen über Spar- und Effizienspotenziale relativieren“. Genau um diese Sparmöglichkeiten war es in einem Expertenbericht gegangen, der heftige Debatten auslöst hatte.

Im Rahmen der Verwaltungsreform hatte die Regierung einen Expertenbericht über Ineffizienz im Gesundheitssystem erhalten. Der Bericht konstatiert eine „Überversorgung“ mit teuren „Akutbetten“.

Erhebliche Mehrkosten

Mit seinen diesbezüglichen Zahlen läge Österreich gut 70 Prozent über dem Durchschnitt der Europäischen Union. Zudem hätten 81 von 130 öffentlichen Spitälern weniger als 300 Betten, was gegen-über größeren Häusern zu Kostennachteilen führe.

Dies bedeute jedenfalls Mehrkosten von 2,9 Milliarden Euro. Dieses Geld sollte nach Expertenansicht in die günstigere Versorgung der Bevölkerung durch niedergelassene Ärzte und in die Schaffung von Pflegeplätzen umgeschichtet werden.

Trotz der politischen Entwarnung durch Gesundheitsminister Stöger warnte auch Rechnungshofpräsident Josef Moser nach den internen Reformgesprächen davor, die Debatte auf die Schließung von Spitalsstandorten zu reduzieren. Dies würde dazu führen, dass man eine „verkürzte Diskussion führt“ und damit die Gesundheitsreform „im Keim erstickt“. Vor einem sachlich falschen Ansatz in der Gesundheitsdebatte warnte denn auch Ärztekammer-Chef Dorner.

Manche Beiträge würden den Eindruck erzeugen, im Gesundheitssystem würden vorsätzlich oder grob fahrlässig gewaltige Summen verspekuliert, wie das bei den Banken geschehen sei. Das sei unzutreffend. Und während die Finanzinstitute zur Sanierung selbstverschuldeter Pleiten erhebliche Summen erhalten hätten, bekämen die Krankenkassen zur Sanierung der vom Staat verschuldeten Engpässe nur einen Bruchteil. Auch deswegen sei an die ökonomische Bedeutung des Gesundheitswesens zu erinnern.

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