Krankengeschichten auf Abruf

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E-Medikation heißt die erste Anwendung der elektronischen Gesundheitsakte: Medikamente und Verordnungen werden auf der E-Card gespeichert.

Ein paar Mausklicks und der behandelnde Arzt weiß alles über seinen Patienten: dass er vorige Woche Vitamintabletten gekauft hat, letzten Winter an Grippe erkrankt ist und vor drei Jahren eine Bandscheibenoperation hinter sich gebracht hat. Dass die Verfügbarkeit aller medizinischen Informationen in Sekundenbruchteilen einen Riesenvorteil für den Arzt und damit für den Patienten darstellt, ist die Idee hinter der Elektronischen Gesundheitsakte, kurz ELGA genannt. Vergleichbar mit einer Internet-Suchmaschine sollen Befunde, Röntgenbilder oder Entlassungsdokumente, die in Krankenhäusern oder bei niedergelassenen Ärzten gespeichert sind, von dazu Berechtigten jederzeit abgerufen werden können. Doktor Allwissend ist bald kein Grimm’sches Märchen mehr, sondern Wirklichkeit.

Elektronische Gesundheitsakte

Seit einigen Jahren schon wird – von der Öffentlichkeit so gut wie unbemerkt – an der Realisierung von ELGA gearbeitet. „ELGA wird mit jedem Schritt irreversibler“, freut sich Clemens Martin Auer, zuständiger Sektionschef im Gesundheitsministerium und eine der treibenden Kräfte hinter der Elektronischen Gesundheitsakte. Zu Jahresbeginn ist das staatliche Gesundheitsportal www.gesundheit.gv.at online gegangen, das in Zukunft als Eingangstür zu ELGA dienen soll. Die erste ELGA-Anwendung, die kommen wird, ist die sogenannte e-Medikation: Medikamente werden künftig nicht mehr auf einem Rezept, sondern auf elektronischem Weg verschrieben. Die Verordnungen werden gespeichert und sollen in Krankenhäusern, Ordinationen und Apotheken abrufbar sein. Automatische Prüfvorgänge während der Verschreibung bzw. beim Kauf sollen Wechselwirkungen und Mehrfachverschreibungen rechtzeitig erkennen und verhindern. Der Testbetrieb startet mit Beginn des nächsten Jahres.

„Datenschutz und Patientenautonomie müssen gewahrt werden“, betont Susanne Herbek, Geschäftsführerin der mit der Errichtung beauftragten ELGA-GmbH. So ist derzeit geplant, den Bürgern die Möglichkeit einzuräumen, dem ELGA-System den Zugriff zu seinen Gesundheitsdaten zu verweigern. Es soll aber auch möglich sein, nur einzelne Daten unzugänglich zu machen, etwa heikle Dokumente über den Aufenthalt in psychiatrischen Einrichtungen oder über stigmatisierende Erkrankungen. „Die Zugriffe werden an ein Behandlungsverhältnis gebunden sein“, stellt Herbek klar. Dass Betriebsärzte im Auftrag von Arbeitgebern auf die Gesundheitsdaten zugreifen können, schließt sie aus. Auch private Krankenversicherungen sollen keinen Zugang zu ELGA erhalten. Vom einzelnen Bürger einsehbare Zugriffsprotokolle darüber, wer wann auf welche Daten zugegriffen hat, sollen Missbrauch vorbeugen. Die missbräuchliche Verwendung der elektronischen Gesundheitsakte soll schwere strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Trotzdem bereitet die Elektronische Gesundheitsakte so manchem Kopfzerbrechen. Insbesondere Datenschützer und niedergelassene Ärzte sind es, die ELGA für eine große Gefahr halten. Ein elektronisches System, befürchten die Kritiker, biete die Voraussetzung für Missbrauch in bislang unbekannten Dimensionen. „Es macht einen Unterschied, ob der Befund eines Einzelnen in falsche Hände gerät, oder die Krankengeschichten von Hunderttausenden“, erklärt Christian Euler, Präsident des Österreichischen Hausärzteverbandes.

Doch nicht nur die gesetzeswidrige Verwendung von Gesundheitsdaten treibt die Kritiker um: „Ich fürchte nicht den Datenmissbrauch, sondern den ganz normalen Datengebrauch“, bekennt der burgenländische Allgemeinmediziner. Auch wenn bei Einführung von ELGA der Einblick in die Krankengeschichte noch streng an ein Behandlungsverhältnis gebunden sein mag – Zugangsbeschränkungen lassen sich jederzeit per Gesetz lockern. Euler: „Die Politik wird immer einen Weg finden, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die Verwendung bestimmter Daten notwendig ist.“

ELGA wirft jedoch noch eine Reihe weiterer Probleme auf. Ärzte befürchten zum Beispiel, dass sich die Fülle von elektronischen Daten über einen Patienten nicht in angemessener Zeit analysieren lässt und sie dafür haftbar gemacht werden können, wenn sie eine unter Hunderten von Dokumenten versteckte Information übersehen. Doch auch die Möglichkeit, dass Patienten bestimmte Daten unzugänglich machen können, stellt die Ärzte vor ein Problem: „Bruchstückhaftes Wissen kann schnell aufs Glatteis führen“, warnt Otto Pjeta, Allgemeinmediziner in Oberösterreich und hochrangiger Ärztekammerfunktionär. Ein echtes Dilemma.

Informationsstau

„Dass Gesundheitsdaten, so wie bisher, unsystematisch verloren gehen, ist eine ziemlich effiziente Form des Datenschutzes“, erklärt Hans G. Zeger, Obmann der ARGE Daten. Krankengeschichten, die in Kellern oder Archiven abgelegt werden, geraten mit den Jahren in Vergessenheit. Ein elektronisches System wie ELGA hingegen vergisst nichts. Das gilt auch für falsche Befunde oder Verdachtsdiagnosen, die sich später als falsch erweisen. „Eine falsche Information ist kaum noch aus dem System wegzubringen“, weiß der Datenschützer. Im schlimmsten Fall kann eine solche Diagnose eine Existenz ruinieren (siehe unten). Häufiger aber wird sie dazu führen, dass aufgrund von Widersprüchen in einer Krankenakte neuerliche Untersuchungen angeordnet werden. „Eines der am häufigsten genannten Argumente für ELGA ist die Vermeidung von Doppelbefunden. Aber die absurde Konsequenz der Elektronischen Gesundheitsakte ist, dass sie in Wahrheit mehr Befunde produziert.“

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