Kulturkampf in der Psychotherapie

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Eine neue Richtlinie sieht vor, dass Psychotherapeuten spirituelle Ansätze nicht mehr erwähnen dürfen. Dadurch werden Therapeuten zur Täuschung der Patienten gezwungen, sagen Kritiker - und plädieren für ein Miteinander von Wissenschaft und Weisheit.

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Eine neue Richtlinie sieht vor, dass Psychotherapeuten spirituelle Ansätze nicht mehr erwähnen dürfen. Dadurch werden Therapeuten zur Täuschung der Patienten gezwungen, sagen Kritiker - und plädieren für ein Miteinander von Wissenschaft und Weisheit.

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Seit Jahrzehnten arbeitet August Thalhamer als Psychotherapeut in freier Praxis. Sein akademischer Hintergrund ist die römisch-katholische Theologie und die Wirtschaftspsychologie. Der Doktor der Theologie hat aber noch eine weitere Berufsbezeichnung: "Stadtschamane" in Linz. "Nachdem ich mein zweites Studium absolviert hatte, interessierte ich mich bald dafür, wie Krankheiten in anderen Kulturen behandelt werden", erzählt Thalhamer. "So erlernte ich zusätzlich zur Psychotherapie-Ausbildung auch spirituelle Heilmethoden und begann über Zusammenhänge und Unterschiede zu forschen". Seit Jahren befasst er sich mit Verbindungen zwischen psychotherapeutischen, christlichen und schamanischen Heiltraditionen. "Das musste ich als Theologe, Psychologe und Schamane schon deshalb tun, um psychischen Konflikten in mir vorzubeugen", sagt er augenzwinkernd.

Dieses Jahr hat Thalhamer an der Sigmund Freud Privatuniversität sowie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien Seminare und Vorlesungen zu diesem Thema gehalten. Und in Graz hat er eine Fortbildungsveranstaltung über die Begegnung von Schamanismus und Psychologie geleitet. "Die Psychologen waren froh darüber, auch einmal etwas über eine spirituelle Dimension zu hören", schildert er seinen durchwegs positiven Eindruck. Der Titel der Veranstaltung aber stieß nicht überall auf Begeisterung. In einem Schreiben des Bundesverbands für Psychotherapie wurde Thalhamer aufgefordert, die "Vermischung" von Psychotherapie mit spirituellen Inhalten fortan zu unterlassen - nicht nur bei der Fortbildung, sondern auch beim Internet-Auftritt seiner Praxis.

Therapeutische Abstinenz

Hintergrund dafür ist die neue "Richtlinie zur Frage der Abgrenzung der Psychotherapie von esoterischen, spirituellen und religiösen Methoden", die im Juni vom Psychotherapie-Beirat des Gesundheitsministeriums fast einhellig abgesegnet wurde. Demnach stehen "religiöse oder esoterische Praktiken" wie zum Beispiel Schamanismus in krassem Widerspruch zum Selbstverständnis der Psychotherapie als wissenschaftlich fundierte Krankenbehandlung. Wie Thalhamer berichtet, wurde ihm schlimmstenfalls sogar der Ausschluss aus der Therapeuten-Liste, also Berufsverbot angedroht: "Es sind leider viele Kollegen betroffen. Mehrere, darunter auch Theologen, die zugleich als Psychotherapeuten arbeiten, haben mir geschrieben, dass sie gemaßregelt wurden oder sogar Strafe zahlen mussten."

Bei seiner Internet-Präsentation hat Thalhamer stets angeführt, dass er als Therapeut und Theologe auch eine schamanische Herangehensweise anbietet. Und die Rat suchenden Klienten konnten sich entscheiden, ob sie zu einem Therapeuten gehen wollen, der auch diesen Hintergrund hat. "Manche kamen genau deswegen nicht", so Thalhamer. Jetzt müssen Psychotherapie und Spiritualität strikt getrennt werden - etwa, wie das Gesundheitsministerium empfiehlt, in Form von zwei separaten Webseiten. Eine Verlinkung ist nicht zulässig. Damit soll laut Schreiben des Psychotherapie-Verbands eine künftige "Irreführung von Konsumenten über psychotherapeutische Angebote" ausgeschlossen werden.

Das Gegenteil sei jedoch der Fall, meint Thalhamer, der nun mangelnde Transparenz beklagt: Auf der psychotherapeutischen Seite müsse man verheimlichen, dass komplementäre Heilmethoden zum Einsatz kommen, und auf der spirituellen Seite dürfe der Psychotherapeut seinen eigentlichen Beruf nicht mehr erwähnen. Vielmehr müsse der Therapeut dort vorgeben, er würde die westliche Wissenschaft geringschätzen, ärgert sich Thalhamer:

"Die Klienten werden somit belogen. Auch spirituell orientierte Psychotherapeuten sind ja Kinder der Aufklärung mit wissenschaftlichem Hintergrund." Psychotherapeutische und spirituelle Verfahren würden sich nicht so leicht trennen lassen, wie die Richtlinie das vorgaukelt, so der Therapeut. Die neue Richtlinie wird auch mit dem "Schutz der psychotherapeutischen Beziehung" begründet: Demnach darf die "persönliche Weltanschauung des Psychotherapeuten wie auch die religiöse Einstellung nicht aktiv und steuernd in den Behandlungsprozess einfließen". Der Therapeut müsse hier strikt abstinent sein, betont Peter Stippl, Vizepräsident des Bundesverbandes für Psychotherapie. Gerade bei psychisch kranken Menschen, die oft hoch suggestibel sind, sei eine besondere berufsethische Verantwortung vorauszusetzen.

Abgrenzung und Ausgrenzung

Und es soll verhindert werden, dass das therapeutische Vorgehen wie mit einem "Heilsbauchladen" erfolge, so Stippl: "Wenn ich zu einer Massage gehe, brauche ich keine Diätberatung; und wenn ich zu einer Diätberatung gehe, erwarte ich dort keine Massage." Stippl, der in seiner therapeutischen Arbeit zuweilen selbst biblische Episoden mit den Klienten durchspielt ("Bibliodrama"), sieht in der neuen Richtlinie keine Geringschätzung komplementärer Heilverfahren, sondern vielmehr die Möglichkeit, "therapeutische Mogelpackungen" zu verhindern. Auch eine Weiterentwicklung der aktuellen Richtlinie ist für ihn gut vorstellbar, etwa wenn es neue Ergebnisse zur Wirksamkeit spiritueller Verfahren gibt.

Es stellt sich freilich die Frage, ob mit der neuen Richtlinie das viel zitierte Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. "Es ist richtig, dass sich die Psychologie und Psychotherapie von Scharlatanen aus der Esoterik-Szene abgrenzen will", wie auch Thalhamer und eine Reihe anderer schamanisch versierter Psychotherapeuten in einer öffentlichen Stellungnahme festhalten. Darin heißt es aber weiters: "Aber kann oder will man seriöse und psychotherapeutisch höchst wirksame Spiritualität nicht unterscheiden zum Beispiel von Scientologen, die abhängig machen und denen es wohl nur ums Geld geht? Es müsste doch möglich sein, eine Richtlinie zu formulieren, die sich von unseriösen Angeboten abgrenzt, ohne pauschal jede spirituelle Behandlung - mit der fragwürdigen Begründung der Unwissenschaftlichkeit - auf eine zweite Website zu verbannen."

Quantenphysik und Wissenschaft

Für Thalhamer geht es hier aber "nicht primär um die vergleichsweise unwichtige Frage der Homepages", sondern generell um einen neu aufgeflammten Kulturkampf zwischen Materialismus gegen Spiritualität, also "zwischen den Vertretern einer rein materialistischen Wissenschaft und jenen, die gemäß den erstaunlichen Erkenntnissen der Quantenphysik eine vom Betrachter unabhängige Wissenschaft in Frage stellen." Demnächst wird er eine "Streitschrift gegen die Reduktion des Menschseins auf naturwissenschaftlich erfassbare Materie" veröffentlichen ,um jene Vision zu verdeutlichen, die auch in der oben zitierten Stellungnahme einiger Psychotherapeuten zum Ausdruck kommt: "Es sollte doch ein respektvolles Neben- und Miteinander möglich sein, wo Wissenschaft und spirituelle Weisheit zusammenarbeiten und sich ergänzen - so wie in aufgeschlosseneren Teilen der Welt."

Dass an der Schnittstelle von Psychotherapie und Spiritualität jedenfalls noch viele Fragen ungeklärt sind, bemerkt der deutsche Psychologe und Psychotherapeut Michael Utsch, zugleich evangelischer Theologe, in Anbetracht der österreichischen Situation: Nimmt man jüngste Studien aus den USA zur Kenntnis, lasse sich die allzu einfache Unterscheidung in spirituelle und wissenschaftliche Methoden nicht halten. Seit 2013 gibt etwa der US-Psychologenverband (APA) eine eigene Fachzeitschrift heraus, um spirituell geprägte klinische Ansätze wissenschaftlich zu untersuchen. Diese Befunde werden in der aktuellen Richtlinie nicht berücksichtigt, so Gutsch: "Es ist zu wünschen, dass bei der Weiterentwicklung der Psychotherapie die Gratwanderung zwischen dem Patientenschutz und der möglichen Nutzung empirisch geprüfter spiritueller Ressourcen gelingt."

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