6602164-1953_47_01.jpg
Digital In Arbeit

Laienrichter auf der Schulbank?

Werbung
Werbung
Werbung

Die österreichische Bundesverfassung hat im Artikel 91 die Mitwirkung des Volkes an der Rechtsprechung festgesetzt. Bei den mit schweren Strafen bedrohten Verbrechen, die das Gesetz zu bezeichnen hat, sowie bei allen politischen Verbrechen und Vergehen entscheiden Geschworne über die Schuld des Angeklagten. Im Strafverfahren wegen anderer strafbarer Handlungen nehmen Schöffen an der Rechtsprechung teil, wenn die Strafe ein bestimmtes Mindestmaß überschreitet. Damit ist die Laiengerichtsbarkeit für das Strafverfahren verfassungsmäßig festgelegt.

Schöffen unterscheiden sich von Geschwor-nen durch den Entscheidungsumfang und die Entscheidungsgewalt. Vor die Geschwornen-gerichte gehören unter anderem Hochverrat, Störung der öffentlichen Ruhe, Aufstand und Aufruhr n. dgl. sowie alle anderen Verbrechen, die mit einer strengeren Strafe als zehnjähriger Kerkerstrafe bedroht sind. Die Sdiöffengerichtsbarkeit erstreckt sich auf alle anderen Verbrechen oder Vergehen, die im Gesetz mit mindestens fünfjähriger Kerkerstrafe oder einer strengeren Strafe bedroht sind bzw. auf Jugendsachen. Damit ist der Entscheidungsumfang der Geschwornen- und Schöffengerichte, ohne auf Einzelheiten einzugehen, abgegrenzt.

Bedeutsamer ist die verschiedene Entscheidungsgewalt. Acht Geschworne entscheiden a Ii e i n, also ohne Berufsrichter, über die Schuld, über die Strafe hingegen gemeinsam mit dem aus drei Berufsrichtern bestehenden Schwurgerichtshof. Beim Schöffengericht bilden zwei Schöffen mit zwei Berufsrichtern ein einheitliches Kollegium, das zusammen sowohl über die Schuld als auch über die Strafe urteilt.

Die Vorbereitung von Geschwornen und Schöffen für die Ausübung ihres Amtes besorgen bei den Schöffen Berufsrichter durch eine Belehrung über die Pflichten und Rechte vor der Verhandlung, durch die Ausnützung des Fragerechtes während der Hauptverhandlung und die eingehende Unterrichtung durch den Vorsitzenden und allenfalls durch den zweiten Berufsrichter bei der Beratung. Dabei ist es vor allem Aufgabe des Vorsitzenden, den Schöffen an Hand des Beweisergebnisses (Zeugen, Sachverständige und Urkunden) und der Vernehmung des Beschuldigten, die Feststellung des Sachverhaltes zu erleichtern. Die einzelnen Beweismittel werden auf ihre Glaubwürdigkeit geprüft. Hierauf wird der Fall rechtlich beurteilt. Der Sachverhalt wird in der Richtung untersucht, ob er einen strafrechtlichen Tatbestand unterstellt werden kann. Auch hier wird eine eingehende Belehrung über die Bestimmungen des Strafgesetzes, der Rechtsprechung und des Schrifttums durch den Vorsitzenden notwendig sein. Schließlich wird, wenn der Angeklagte eines Vergehens oder Verbrechens schuldig erkannt wird, das Erkenntnis über Art und Ausmaß der Strafe folgen, wobei die erschwerenden tmd mildernden Umstände zu berücksichtigen sind.

Schwieriger gestaltet sich die Urteilsfällung beim Geschwornengericht, weil die Geschwornen den Schuldspruch selbständig fällen. Hier hat die Strafprozeßordnung folgendes angeordnet: Im Anschluß an die Rcchtsbelehrung bespricht der Vorsitzende mit den Geschwornen die einzelnen Fragen; er führt die Merkmale der strafbaren Handlung auf den Sachverhalt zurück, hebt die für die Beantwortung der Frage entsdieidenden Tatsachen hervor, verweist auf die Verantwortung des Angeklagten und auf die in der Hauptverhandlung durchgeführten Beweise, ohne sich in eine Würdigung der Beweismittel einzulassen — dies ist nämlich Aufgabe der Geschwornen — und gibt die von den Geschwornen etwa begehrten Aufklärungen. Er belehrt ferner den Obmann der Geschwornen über seine Aufgaben, insbesondere über den Vorgang bei der Abstimmung und Aufzeichnung ihres Ergebnisses.

Am Schlüsse seines Vortrages überzeugt sich der Vorsitzende,“ ob seine Belehrung von den Geschwornen verstanden worden ist, und ergänzt sie, wenn es zur Behebung von Zweifeln erforderlich ist. Er übergibt sodann dem Obmann der Geschwornen die Niederschrift der Rechtsbelehrung und des allfälligen Anhanges zu ihr.

Ferner sieht das Gesetz vor, daß der Schwurgerichtshof, wenn es zur besseren Aufklärung schwieriger Tat- oder Rechtsfragen zweckmäßig ist — sofern sich nicht die Mehrheit der Geschwornen dagegen ausspricht —, auch an der Beratung der Geschwornen ganz oder teilweise teilnimmt.

Ist - diese Unterrichtung der Geschwornen bzw. Schöffen ausreichend? Oder bedarf es — was in letzter Zeit vereinzelt behauptet wird — darüber hinaus noch eigener .,Schulen“ für die Laienrichter?

Eine eigene allgemeine Schulung ist durchaus entbehrlich. Zweckmäßig bleibt die Rechtsbelehrung bei der Behandlung des einzelnen Falles, weil dabei die Laienrichter über einen kleinen Ausschnitt des Strafgesetzes belehrt werden. Das kann auch für den besonderen Fall genau und, auf das Bildungsniveau der einzelnen Laienrichter eingehend, am besten durch den Vorsitzenden geschehen. Es hat auch den Vorteil, daß der Laienrichter an Hand eines ihm praktisch vorgeführten Falles Rechtsnormen leichter in seiner Anwendung erfaßt, als dies bei allgemein auf die systematische Ausbildung abgestellten Schöffen- oder Geschwornenschulen der Fall ist. Die für das Geschwornengericht vorgesehene Beiziehung des Schwurgerichtshofes und damit der Berufsrichter zu den Beratungen der Geschwornen soll doch gerade die Möglichkeit für eine eingehende Belehrung der Geschwornen geben.

Dies ist vor allem deshalb für die Rechtsprechung förderlich, weil die allgemeine Schulung der Laienrichter bezüglich der B e-weisführung überaus schwierig, wenn nicht ausgeschlossen ist. Die Abwicklung des Prozeßverfahrens, die eigene Wahrnehmung und der unmittelbare Eindruck sind im Einzelfall so entscheidend, daß diese Tatsachen gerade bei Personen verschiedenen Bildungsganges durch noch so volkstümliche allgemeine Vorträge nicht ersetzt werden können

Den Schöffen- oder Geschwornonchnlen bliebe • daher keine Aufgabe, es wäre denn.man hielte eine parteipolitische Schulung einer gewissen Gruppe von Schöffen oder Geschwornen für notwendig. Damit aber würde man in die Ausübung der Rechtsprechung gerade etwas tragen, was von ihr ferngehalten werden soll: Parteipolitik and damit einseitigfe Einstellung zur Entscheidung im Strafverfahren. Es wäre falsch, von vornherein eine Einstellung der Laienrichter zu erzeugen, das heißt ihre rechtliche Beurteilung unabhängig von dem Sachverhalt des einzelnen Prozesses festzulegen. Gerade das soll — aus welchen Motiven immer es auch erfolgt — vermieden werden. Berufs- und Laienrichter dürfen an eine Entscheidung niemals mit einer vorgefaßten Meinung, nicht mit einer vorzeitig gewonnenen Ueberzeugung von der Schuld — oder auch Unschuld — des Angeklagten herantreten. Wenn nun die Schöffen- oder Geschwornenschufcn vielleicht sogar den Zweck verfolgen sollten, die Anwendung bestimmter Teile des Strafgesetzes, etwa des 144 StG., wenn notwendig, sogar in der Regel auszuschließen, sei es auf dem Wege der rechtlichen Beurteilung, sei es sogar über den Umweg der Beweiswürdigung, so würde dies die Entscheidungsgewalt der Schöffen über die ihnen vom Ge-“ setz festgelegte Grenze hinausführen. Der Rechtsprechung in einer g e w a 11 e n t e i-1 e n d e n Republik — ob sie nun vom Berufsrichter oder vom Laienrichter ausgeübt wird — obliegt es, die Gesetze zu vollziehen, somit sie strengstens zu beachten, und keineswegs, sich über sie hinwegzusetzen.

Oder mißtraut man etwa den Berufsrichtern? Berufsrichter sind auf Grund ihres Rechtsstudiums und ihrer Erfahrung sowie wegen der Berufung, die sie gerade für die unparteiische Ausübung ihres Amtes in sich tragen, bestrebt, das Gesetz nach bestem Wissen und Gewissen anzuwenden und keineswegs die Schöffen und Geschwornen zu Entscheidungen zu überreden, die nicht der Rechts- und Sachlage entsprechen. Rechtsfremde Erwägungen liegen Be-rufsrichtern an sich ferner als Schöffen oder Geschwornen. Das bisherige Verhalten der österreichischen Berufsrichter rechtfertigt kein Mißtrauen und schuf keine Justizkrise. Ihre Wirksamkeit ist im Gegenteil immer eine Garantie für das klaglose Funktionieren der österreichischen Justiz gewesen.

Eine Notwendigkeit für die Aenderung der gegenwärtigen Praxis und vor allem für die Einführung von Schöffen- und Geschwor-nenschulen ist daher nicht gegeben. Sie sind nicht nur unzweckmäßig, sondern sogar der objektiven Rechtsfindung abträglich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung