"Langfristiger Plan statt Schnellmaßnahmen“

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Dienstag dieser Woche fand auf Einladung des Unterrichtsministeriums zum ersten Mal ein Experten-Workshop zur Sprachförderung statt, zu dem auch Rudolf de Cillia eingeladen war.

Die Furche: Sie halten die Idee, alle Schüler vor der ersten Klasse auf das gleiche Sprachniveau zu bringen, für falsch. Warum?

Rudolf de Cillia: In dieser Frage stecken viele Vorannahmen. Angefangen damit, dass eine Vorschule alle Kinder auf das gleiche Niveau in Deutsch bringen könnte. Wie viele Kinder eine Vorschule besuchen, ist in den Bundesländern sehr unterschiedlich. In Salzburg sind es 18 Prozent, im Burgenland oder in der Steiermark nur zwei. Das zeigt, dass bei der Einstufung der Schulreife unterschiedliche Maßstäbe angewandt werden. In einem Land, das ein einheitliches Bildungssystem hat, kann das doch nicht sein.

Die Furche: In Wien wird bei der Einschulung das Sprachniveau herbeigezogen. Wie gut muss ein Kind Deutsch können, um in der Schule mitzukommen?

de Cillia: Das entscheidet die Schulleitung, ein wissenschaftliches Diagnoseinstrument gibt es meines Wissens nicht. Es ist auch fraglich, ob das sinnvoll wäre. Man muss die Sache differenziert sehen: Wenn drei Kinder mit einer anderen Erstsprache in einer Klasse sind, sind andere Fördermaßnahmen angebracht, als wenn es 90 Prozent sind. Es macht auch einen Unterschied, wenn Kinder davor zwei Jahre im Kindergarten waren.

Die Furche: Deshalb plädieren Sie für einen Gratiskindergarten ab 3 Jahren.

de Cillia: Unter anderem. Aber das hat nur wenig Sinn, wenn die Zahl der Kinder pro Betreuerin nicht verringert wird. Momentan werden österreichweit 5 Millionen Euro für die Sprachförderung in Kindergärten ausgegeben, 25 Euro pro Kind. Damit hat man keine großen Möglichkeiten. Für die Sprachförderung bräuchte es mehr Geld. Auch die Aus- und Weiterbildung der Pädagoginnen in Bezug auf Sprachförderung muss verbessert werden, und sie muss endlich auf Hochschulniveau stattfinden.

Die Furche: So früh wie möglich anfangen, also. Wann sollte die Sprachförderung denn abgeschlossen sein?

de Cillia: Die Aufgabe der Primarschule war es immer, Kinder zur Bildungssprache zu führen, auch als der Anteil an Kindern mit anderen Muttersprachen nur ein paar wenige Prozent betrug. Natürlich hat die Volksschule auch heute noch die Aufgabe, diesen Grundstock zu legen. Aber Sprachförderung ist ein durchgehendes Thema bis zum Ende der Schulzeit. Und zwar vertikal und horizontal: Auch Physik- oder Turnunterricht ist Sprachunterricht.

Die Furche: Die Experten sollen ein langfristiges Konzept erarbeiten…

de Cillia: Nur das - und keine kurzfristigen Maßnahmen - hat bei einem so wichtigen bildungspolitischen Thema Sinn.

Die Furche: Lässt sich das Problem allein durch Bildungsmaßnahmen lösen?

de Cillia: Nicht nur. Die Bildungsbeteiligung von Kindern mit einer Erstsprache aus dem ehemaligen Jugoslawien oder der Türkei liegt unter, die von slowakisch- oder ungarischsprachigen Kindern dagegen über dem Durchschnitt. Es geht dabei auch um soziale Faktoren, zum Beispiel um die Wohn- und Arbeitssituation der Eltern. Bei diesen Aspekten sind die Möglichkeiten bildungspolitischer Intervention begrenzt. (dol)

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