Lanzarote: Ganz nah bei der Schöpfung

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Wie eine vor 260 Jahren unter Lavamassen begrabene Landschaft wiederbesiedelt wird - von Pflanzen und Menschen ...

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Wie eine vor 260 Jahren unter Lavamassen begrabene Landschaft wiederbesiedelt wird - von Pflanzen und Menschen ...

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Am 1. September 1730, zwischen neun und zehn Uhr abends, öffnete sich plötzlich die Erde bei Timanfaya, zwei Wegstunden von Yaiza. Ein gewaltiger Berg bildete sich bereits in der ersten Nacht und Flammen schossen aus seinem Gipfel, die 19 Tage lang weiterbrannten. Wenige Tage später brach ein neuer Schlund auf und der Lavastrom ergoß sich über Timanfaya, Rodeo und einen Teil der Bancha Blanca.

Die Lava floß nach Norden, anfangs wie sprudelndes Wasser, später zähflüssig wie Honig. Doch am 7. September stieg mit unheilvollem Donnern ein riesiger Fels aus der Tiefe und zwang die Lava dazu, ihren Fluß nach Westen und Nordwesten zu wenden. Dort zerstörte sie die Orte Maretas und Santa Catalina."

Von 1730 bis 1736 brach auf Lanzarote die Erde immer wieder auf. Ein Viertel der Kanareninsel, das fruchtbarste, wurde während dieser größten Vulkankatastrophe in geschichtlicher Zeit verschüttet.

Viele Bewohner flohen auf die Nachbarinseln Fuerteventura, Teneriffa und Gran Canaria. Einer, der am längsten ausharrte, war der Pfarrer von Yaiza, Don Andres Lorenz Curbelo. Ihm ist der einzige, oben zitierte schriftliche Augenzeugenbericht zu verdanken. Während seine dramatische Schilderung in gedämpfter Lautstärke auf spanisch, deutsch und englisch aus dem Lautsprecher des Busses ertönt, zieht vor den Augen der gebannten Zuschauer eine Mondlandschaft vorüber: Der Nationalpark Timanfaya, 51 qkm groß, darf nicht auf eigene Faust im Mietauto erkundet werden. Jeder Schritt ist gefährlich, der Boden weitgehend unterhöhlt. Immer wieder gähnen gefährliche Spalten in der Lava. Die Besucher schweigen, während zwischen dem vorgetragenen Text Joseph Haydns Oratorium "Die Schöpfung" erklingt.

Was sich ihren Augen bietet, sind leuchtend rostrote, völlig kahle Hänge, schwarz gähnende Kraterlöcher in allen Formen und Größen, von kleinen, spitzen Kegeln bis zu gewaltigen Kratern mit mehreren hundert Metern Durchmesser. Überall krümmt sich scharfkantige Lava, unter der sich riesige Blasen und Tunnel bildeten. "Mondlandschaft": Das ist der richtige Vergleich. Tatsächlich hat das Gebiet große Ähnlichkeit mit der von Vulkanen durchsetzten Oberfläche des Erdtrabanten.

Filmkulisse für Science-fiction Vor den Apollo-Flügen der US-Astronauten wurden hier die später auf dem Mond eingesetzten Fahrzeuge getestet. Auch Science-fiction-Filme, die auf fremden Welten spielen, fanden auf Lanzarote eine perfekte Filmkulisse. Nicht zufällig haben die Verantwortlichen des Nationalparks Haydns "Schöpfung" als musikalische Begleitung gewählt: Hier gewinnt selbst der Laie Erkenntnisse darüber, wie die Entstehung von Leben abläuft, denn Lava gilt als quasi keimfreier Raum und Nullpunkt der Vegetation.

In dem chaotisch aufgeschütteten Lavameer können jetzt, nach über 250 Jahren, die ersten, nur zentimeterhohen Flechten gedeihen, eine symbiotische Lebensform aus Algen und Pilzen. Ihre Funktion ist wichtig: In einem jahrhundertelangen Prozeß zersetzen sie die Lava zu fruchtbarem Erdboden und ermöglichen höheren Pflanzenwuchs. Herumtrampelnde Touristen würden die empfindlichen Flechtenkulturen zerstören, auch das ein Grund, weshalb man den Bus nicht verlassen darf.

Der Besucher hat auf der interessanten der sechs Kanareninseln aber nicht nur die Möglichkeit, die Schöpfung in ihrem Werden zu beobachten. Ein großartig schöpferischer Mensch, auf Lanzarote geboren, hat seine Heimat in ein Gesamtkunstwerk verwandelt: Cesar Manrique, geboren 1919. Als junger Mann verließ er die Insel, um an der Kunsthochschule in Madrid zu studieren. Dort entdeckte er für sich die abstrakte Kunst, Picasso und Matisse.

Rasch stellte sich der Erfolg ein: Gleich zweimal, 1955 und 1959, durfte er sein Land auf der Biennale von Venedig vertreten Doch 1968, nach dem frühen Tod seiner Frau, kehrte er Spanien den Rücken, ging nach New York, wo er mit seinen ausdrucksstarken, von Farben sprühenden Bildern den internationalen Durchbruch schaffte. Auf dem Höhepunkt des Ruhmes, 1968, zog es ihn auf die Heimatinsel zurück. Eine Sternstunde: Der Gouverneur von Lanzarote war sein Jugendfreund. Gemeinsam entwarfen die beiden Pläne, wie das Zubetonieren, das die Nachbarinseln durch den Druck des Massentourismus bereits verschandelt hatte, zu verhindern wäre.

Sie legten selbst Hand an. In einer Nacht- und Nebelaktion transportierten sie alle die riesigen Reklameschilder, die die Landschaft verschandelten, mit Lastautos ab. Strenge Bauvorschriften zwangen die Bewohner und die betuchten Ausländer, den traditionellen Baustil der weißen kubischen Häuser beizubehalten.

Aus einer Lavahöhle ein Konzertsaal Doch mit der Vorschrift, alle Türen und Fensterläden müßten, wie es die Bauern eh und je getan hatten, grün angestrichen werden, hatte Manrique kein Glück. Der Maler, Architekt, Restaurateur und Landschaftsgärtner gestaltete Ferienanlagen, errichtete haushohe Monumente, machte aus einer Lavahöhle einen Konzertsaal, aus einer anderen einen Swimmingpool, ein Restaurant. Er gestaltete "miradores", das sind Aussichtspunkte, einen Kakteengarten, richtete Museen ein, restaurierte halbverfallene Windmühlen, Landhäuser, Kirchen. In den Feuerbergen des Timanfaya-Nationalparks richtete er einen geothermischen Grill ein.

Sein erstes Wohnhaus in der Nähe von Tahiche, mitten in einem Lavafeld, großzügig, lichtdurchflutet, nützt fünf unterirdische große Lavablasen, die aufgebrochen sind und den Blick auf den Himmel freigeben. In die schwarzen Felsen fügte er harmonisch weiße Sitzecken ein, pflanzte üppige Feigenbäume und Kakteen. Sein Credo lautete: "lch gestalte aus der Harmonie mit der Natur, die uns umgibt." Sein Schaffen orientierte sich an der Symbiose zwischen Kunst und Natur. Dabei lag es nahe, den vulkanischen Charakter Lanzarotes hervorzuheben. Dieser Mann, der mit seiner Begeisterung und Durchschlagskraft "seine" Insel zu einer Perle auch der Architektur machte, starb vor fünf Jahren durch einen tragischen Autounfall auf Lanzarote. Doch seinen Werken kann man überall auf den Kanaren begegnen: Haydns "Schöpfung" mit anderen Mitteln.

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