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Was macht die Erziehung von Buben so schwierig? Wo liegen die Herausforderungen in der vaterlosen Gesellschaft? In seinem neuen Buch sucht Jan-Uwe Rogge nach Antworten.

In Werbespots ist noch alles beim alten. Brav gescheitelte, kleine Mädchen mit langen Haaren werben für sanftes Haarschampoo, während kleine Buben ihre Hosen und T-Shirts bei Sport und Spiel verdrecken und damit glaubhafte Werbeträger für das allerbeste Waschmittel abgeben. Die sanftere Variante davon ist der kleine Tollpatsch, der sich und seine Kleidung mit Essen bekleckert. Auch er entlockt den Konsumenten ein Lächeln: "Typisch Buben!"

Ist "typisch Jungs" wild, ungestüm, rücksichtslos, aggressiv? Oder ist "typisch Jungs" ein wenig linkisch, schüchtern und in der Entwicklung hinter den gleichaltrigen Mädchen zurückgeblieben? Diese Fragen beschäftigen die Eltern von Buben, zumal sie das herkömmliche Bild vom "richtigen Buben" schon längst von der Wand genommen haben. Ihr Indianer darf Schmerz kennen - und zeigen. Warum aber muss er immer so "wild" sein, seine Kleider, seine Fußbälle und Fahrräder immer so "hernehmen", sprich ruinieren? Geht's nicht behutsamer? Fragen wie diesen begegnet der Familien- und Gesprächstherapeut Jan-Uwe Rogge in all seinen Seminaren. Sie sind auch einer der Gründe, warum der Pädagoge seine Antworten rund um das Phänomen der "starken Buben" in einem neu erschienen, gut lesbaren Buch zusammenfasst. "Mütter deuteten immer wieder an, sie hätten Schwierigkeiten mit Jungen, sie hätten zwei, drei Mädchen großgezogen, aber das sei viel einfacher gewesen", fokussiert er die anfragende Klientel. Auch Kindergartenpädagoginnen und Lehrerinnen gehören dazu. Besonders Mütter äußern sich über Buben in einer Mischung aus Selbstzweifeln und Ohnmacht: "Mein Sohn provoziert und fordert mich, wo er nur kann!"

Zu Beginn besteht ein große Nähe zwischen Müttern und Söhnen. Je älter die Söhne werden, desto stärker wird jedoch bei den Müttern das Gefühl: "Ich mache fast gar nichts mit ihm gemeinsam, früher war das anders!" Früher las die Mutter vor, bastelte und spielte drinnen mit dem Buben. Eine Mutter erinnert sich: "Bis zum Alter von zwei Jahren ließ sich mein Sohn Paul noch Puppen schenken. Bis zu diesem Alter haben sich alle so verhalten, ob Paul, Selina oder Klaus. Alle wollten mitkochen, mitbacken, Wäsche aufhängen. Alles, was Mama machte, war interessant. Doch noch vor dem Kindergarten fingen sie an, sich andere Spielsachen auszusuchen. Die Mädchen blieben weiterhin in dieser Rolle - ob Puppen oder Stofftiere, irgend etwas wurde versorgt. Und die Jungen hatten gar kein Spielzeug mehr. Die kämpften."

Getrennte Welten

Rivalisieren und Kräftemessen stehen bei den Buben hoch im Kurs. Konflikte scheinen selbstverständlich zu sein, dort, wo Mütter einen Streit wittern, existiert für ihre Söhne oft gar keiner. Jan-Uwe Rogge nimmt hier besonders die Mütter in die Pflicht: Warum werten sie von Vornherein die Streitigkeiten der Jungen als unsinnig ab? Im Gespräch mit der furche konkretisiert er dieses Harmoniebedürfnis: "Es ist auffällig, dass Mütter, die in der eigenen Kindheit mit Brüdern groß geworden sind, sehr häufig mit sogenannten ,Jungenanteilen' wie Aggressionen, Wut und Zorn wesentlich gelassener umgehen als Mütter, die mehr oder minder ,nur' eine weibliche Sozialisation haben."

Mit der engen Gemeinsamkeit der Geschlechter - zusammen in der Koch- und Puppenecke im Kindergarten zu werken, in der Sandkiste zu graben - ist ab einem bestimmten Alter vorerst vorbei. Bereits Vorschulkinder spielen nach Geschlechtern "sortiert", eine Tendenz, die zum Leidwesen der Eltern manche Pädagogen unterstützen. Neben den unterschiedlichen Interessen von Mädchen und Jungen spielt auch der Gruppendruck eine wichtige Rolle bei der Geschlechtertrennung. Cheryl Benard und Edit Schlaffer sprechen hier vom Phänomen "Geschlechterpolizei": "Es sind die dominanten Jungen, die vorgeben, was die anderen Jungen tun dürfen und was nicht. Die Geschlechterpolizei ist es, die dafür sorgt, dass Jungen und Mädchen im Grundschulalter und auch noch einige Jahre danach in zwei getrennten Welten aufwachsen, obwohl sie viel Jahre viele Stunden täglich miteinander im Klassenraum sitzen und sich auch in der Pause sehen."

Zwar bekamen viele dieser Buben von zu Hause die Botschaft mit "Konflikte müssen mit Worten gelöst werden", in der Gruppe ist das "Gequatsche" aber nicht gefragt. Konflikte werden handfest ausgetragen. Rogge plädiert hier für Differenzierung: "Erstens gehören Aggressionen zum Leben, zweitens gibt es konstruktive und destruktive Aggressionen. Drittens kann man zerstörerische Aggressionen so zivilisieren, dass sie nicht mehr eine Gefahr für andere Menschen werden: Sport, Raufen und Rangeln. Jungen spüren aber: Man kann Aggressionen wesentlich besser mit dem Vater ausleben als mit der Mutter. Väter müssen sich dieser Verantwortung bewusst sein, indem sie Buben zeigen, dass Aggressionen in Grenzen ausgelebt werden müssen, weil sie sonst ihre menschenverachtende Seite entfalten."

Keine Macho-Rollen

Die nichttraditionellen Haushalte lassen die Macho-Rolle nicht weiterleben. Söhne, die ihren allein erziehenden Vater beim Führen des Haushalts erleben, stellen neben die Aussagen der Gruppe auch das Erlebte daheim: "Denn sie lernen, dass Männer auch all das tun können, was in fast allen anderen Familien die Frauen leis-ten", erklärt Rogge. Daneben verändert sich auch in traditionell strukturierten Familien die Verteilung der Hausarbeit, sie ist nicht länger Mädchen- und Frauenarbeit. Hier räumen manche Frauen sehr ungern ihr "angestammtes Terrain".

Dass manche Frauen lange Zeit ihre fürsorgende Rolle nicht an die Väter delegieren wollten, zeigten die Erfahrungen von Bildungshäusern mit "Vater-Kinder-Tagen". Nach anfänglichen erbosten Anfragen von Müttern, die sich ausgeschlossen fühlten, sind solche Tage mittlerweile etabliert. Jan-Uwe Rogge, selbst Vater eines Sohnes, plädiert jedenfalls für die Präsenz des Vaters von Anfang an. "Der Vater ist in allen Entwicklungsstadien der Jungen wichtig, Er kann schon im Säuglingsalter des Kindes eine nährende Funktion einnehmen, kann sie über das Kindergartenalter hinweg fortführen, um sich in der Pubertät als Identifikationsfigur oder als Reibefläche zur Verfügung zu stellen", erklärt Rogge. "Wenn man die Familienerziehung in den ersten Jahren immer wieder ausschließlich den Müttern überlässt, wird es schwierig, sich im Laufe der Entwicklung einzuklinken."

Gene oder Erziehung?

Buben hinken in ihrer körperlichen Entwicklung hinter den Mädchen her. Sie haben häufiger eine schlechtere Selbstkontrolle, Entwicklungs- und Lernstörungen. Rogge verweist auf die Zahlen der Bundesrepublik Deutschland, wo 64 Prozent der Sonder- und 56 Prozent der Hauptschüler Jungen sind. Doppelt so viele Jungen wie Mädchen müssen eine Klasse wiederholen. Zudem steht das enorme Bewegungsbedürfnis der Buben im krassen Gegensatz zum belohnten Ruhigarbeiten und Stillsitzen.

Pädagogisches Handeln ist in jedem Fall durch Zuschreibungen geprägt: "Fürsorglichkeit, soziales Interesse, Furcht und Schüchternheit" gelten als typische Mädcheneigenschaften. Anderseits heißt es "Ein Junge ist stark". Rogge sieht die Weitung des Blicks auf das, was Jungen und Mädchen noch sein können, als hilfreich an. Dem "starken Jungen" steht jedenfalls ein großes Repertoire an Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung: Fußballspielen, weil es Spaß macht, nicht weil die anderen es wollen. Lesen, auch wenn die anderen lachen. Der "starke Junge" vereine eine ganze Palette von Eigenschaften in sich, sowohl traditionell den Männern zugeschriebene wie Stärke, Ausdauer und Gefühlsbeherrschung, als auch traditionell mit dem Weiblichen verbundene wie Empathie, Gefühlsbetontheit, Hilfs- und Kooperationsbereitschaft, meint Rogge.

Wie dann wohl die Werbespots der Zukunft aussehen müssten?

Tipps

Jan-Uwe Rogge; Bettina Mähler: Lauter starke Jungen. Ein Buch für Eltern. Rowohlt 2002. e 15,40

Vortrag von Dr. Jan-Uwe Rogge und Präsentation des Buches am Mittwoch, 22. Mai, 19 Uhr 30 im Bildungshaus St. Virgil, Ernst-Grein-Straße 14, 5026 Salzburg-Aigen. Informationen und Anmeldungen unter (0662) 65 901-0.

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