Das unzumutbare Urteil des Obersten Gerichtshofs, ein Arzt hafte für ein behindert zur Welt gekommenes Kind, hat den Wunsch nach öffentlicher Debatte über den Schutz menschlichen Lebens wach werden lassen. Auch der Konflikt um Stammzellenforschung ruft danach. Aber dann sollte auch das kirchliche Lehramt einmal in letzten Tiefen schürfen und den Diskurs mit nachvollziehbaren Argumenten bestreiten.
Menschliches Leben beginnt mit der Verschmelzung von Ei-und Samenzelle: unbestritten. Aber ist das Ergebnis schon eine Person mit Menschenwürde? Sind Judentum und Islam unmenschlich, die das erst ab dem 40. bzw. 60. Tag danach annehmen? Manchen Forschern gilt ein achtzelliges Wesen als mögliche Grenze. Woher bezieht die Kirche die Gewissheit, bessere Antworten als die Wissenschaft zu haben?
Die Präimplantationsdiagnostik (PID) untersucht Embryonen vor der Einpflanzung in einen Mutterleib auf mögliche Defekte. Gegner der PID argumentieren, damit werde der Eindruck gefördert, jede Mutter habe ein Recht auf ein gesundes Kind. Natürlich nicht. Aber beantwortet das schon die Gegenfrage: Gibt es eine Mutterpflicht, ein schwer geschädigtes Kind zur Welt zu bringen? Warum sind bei geborenem Leben Notwehr und Nothilfe vom Mordverbot ausgenommen? Gibt es kein Notwehrrecht einer verzweifelten werdenden Mutter? Für künstliche Befruchtungsversuche werden viele Embryonen erzeugt, überzählige vernichtet. Warum soll das weniger unsittlich sein als das Forschen an ihnen? Was macht jedes ungeborene Menschenleben schutzwürdig? Dass Gott mit jedem etwas vor hat? Was hat Gott dann mit den Millionen vor, die ohne Zutun abgehen?
Die Hauptfrage aber bleibt: Warum gilt ein Nein zur Tötung ungeborenen Lebens als Nagelprobe für Katholisch-Sein, ein Nein zu Kriegsmord aber nicht?
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