Leben "wie die Made im Speck"?

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Noch nie hatten es die Jungen so gut wie heute, glaubt Andreas Khol, Obmann des ÖVP-Seniorenbundes. Elisabeth Grossmann, SP-Jugendsprecherin, und Bernd Lunglmayr, ehemaliger Geschäftsführer der Bundesjugendvertretung, widersprechen ihm heftig.

Die Furche: Herr Khol: Wenn Sie es einrichten könnten - würden Sie gern noch einmal jung sein?

Andreas Khol: Nein - weil jedes Alter seinen Reiz hat.

Die Furche: Also nicht etwa deshalb, weil es die Jungen heutzutage nicht leicht haben ...

Khol: Entschuldigen Sie: Die Jungen hatten es noch nie so gut wie jetzt: So viele Chancen, so viele Möglichkeiten. Ich stimme nicht in die allgemeine Jeremiade ein, dass wir alle an der Armutsgrenze leben. Wenn man sich umschaut, dann leben wir alle eher wie die Made im Speck.

Elisabeth Grossmann: Also es hängt schon sehr von der sozialen Herkunft ab, wie gut es einem geht. Es gibt junge Menschen, denen vom Elternhaus alle Möglichkeiten geboten werden. Es gibt aber auch sehr viele junge Menschen, denen es alles andere als gut geht: Junge Leute, die ohne Perspektive dastehen, ohne Aussicht auf einen Arbeits-oder Lehrplatz. Wir haben auch die Situation, dass Akademikerinnen und Akademiker nach einer langwierigen Ausbildung ohne Jobperspektive dastehen. Es ist also eine sehr eindimensionale Sicht, wenn man pauschal sagt, den Jungen sei es noch nie so gut gegangen wie jetzt.

Bernd Lunglmayr: Ich sehe es auch differenzierter: Es gibt natürlich die Jungen, die insofern privilegiert sind, als sie reiche Eltern haben und es sich deshalb auch leisten können, zur "Generation Praktikum" zu gehören und sich von einem 400-Euro-Praktikum zum nächsten durchzukämpfen. Aber selbst dann ist es herausfordernd, weil wir junge Menschen uns ja auch permanent unsere Identität zusammenbasteln müssen. Was früher geebnete Bahnen waren, ist jetzt weg, weil alles flexibler wird. Aber was gibt uns Sicherheit? Gerade im privaten und familiären Bereich zerbricht vieles. Auch im Sozialstaat frage ich mich, wie es weitergeht: Wenn ich an meine Pension denke, dann werde ich wohl frühestens mit 70 Jahren eine Mindestpension bekommen - wenn überhaupt. Die "Maden im Speck" sind also nur eine kleine, privilegierte Gruppe.

Khol: Es ist schlimm, vom eigenen Schmäh infiziert zu werden und das, was man als Propaganda vorträgt, auch zu glauben. Ich kann nur eines sagen: Wer sich heute gut ausbildet, hat so viele Chancen wie noch nie. Und es kann sich jeder gut ausbilden. 43 Prozent der jungen Leute, die an die Universität kommen, haben ein Stipendium. Andererseits höre ich immer: Wo sind sie, die gut ausgebildeten Jungen? Die Rechtsanwälte beklagen sich, dass sie keine Juristen mehr bekommen. Und ich kenne Distrikte in Österreich, wo man zwei Monatsgehälter Prämie für jeden Lehrling zahlt. Aber wenn jemand kommt mit Tattoos und Lippenpiercing und zehn Minuten zu spät: Welcher Lehrherr nimmt so jemanden? Das Problem ist, dass vielen jungen Menschen das Bewusstsein fehlt, dass sie ihres eigenen Glückes Schmied sind. Ich weiß natürlich, dass es Kranke, Motivationsschwache oder Drogengefährdete gibt. Denen müssen wir helfen. Es gibt auch kein Land, das hier so viel tut wie Österreich. Aber derjenige, der den normalen Instinkt hat und sagt "Ich will!", der kann in diesem Land ungeheuer landen.

Die Furche: Sie, Herr Khol, haben sich zuletzt "mit Zähnen und Klauen" gegen den SP-Vorschlag einer "Solidarabgabe" von ASVG-Höchstpensionisten für Mindestpensionisten gewehrt. Wie schaut es aber mit der Solidarität zwischen Alt und Jung aus, was die Sicherheit der Pensionen betrifft?

Khol: Die letzte Regierung hat den Generationenvertrag verbürgt! Wir haben längeres Arbeiten, niedrigere Pensionen und höhere Beitragsleistungen beschlossen. Wer profitiert davon? Die Jungen. Dass die österreichische Regierung diese Verantwortung genützt hat, ist übrigens mit ein Grund, dass sie abgewählt worden ist. Aber das genau ist der Generationenvertrag. Und zum SPÖ-Vorschlag der Solidarabgabe: Wer einmal eine Pension mit Bescheid zuerkannt bekommen hat, der hat ein Eigentumsrecht, das nicht enteignet werden kann. Und das verteidige ich mit Zähnen und Klauen. Alles andere wäre Pensionsraub. Junge Leute haben ja noch die Möglichkeit, ihr Einkommen zu verbessern. Menschen, die schon in Pension sind, haben diese Möglichkeit nicht mehr.

Grossmann: Also was Sie als "Pensionsraub" bezeichnen, bezeichne ich als sinnvollen Solidarbeitrag, weil es eben gewisse privilegierte Pensionisten-und Pensionistinnengruppen gibt. Das wurde auch innerhalb der sozialdemokratischen Organisationen auf einer breiten Basis diskutiert.

Khol: Karl Blecha und Rudolf Edlinger sind beides Sozialdemokraten - und sind mir sofort zur Seite gestanden, als ich gesagt habe, dass das ein Pensionsraub ist. Jene, die höhere Pensionen haben, haben sie ja nicht in der Lotterie gewonnen, sondern Beiträge geleistet und im öffentlichen Dienst niedrigere Gehälter in Kauf genommen. Und diesen Leuten haben wir - durchaus meine Regierung - in den letzten sieben Jahren 15 Prozent weniger Wertsicherung gewährt als den Beziehern niedrigerer Pensionen. Das heißt, der Solidarbeitrag ist von dieser Generation bereits geleistet worden.

Grossmann: Tatsache ist, dass die von der bisherigen Regierung beschlossene Verlängerung des Durchrechnungszeitraumes vor allem Menschen betrifft, die derzeit noch im Erwerbsleben stehen und nun später in Pension gehen dürfen - und vor allem jene, die nicht das Glück haben, durchgängige Erwerbszeiten erreichen zu können, etwa weil sie sich der Kinderbetreuung gewidmet haben oder danach nicht mehr im selben Status einsteigen konnten. Dadurch verliert man natürlich auch Beitragshöhen. Und was den Generationenvertrag betrifft, so ist der für mich viel umfassender zu sehen. Er umfasst auch das gesamte Bildungssystem und die Arbeitsmarktpolitik. Es können nur dann Menschen den Generationenvertrag erfüllen, indem sie Beiträge leisten, wenn sie auch eine Arbeit haben. Die wohl beste Form der Pensionssicherung ist also eine gute Arbeitsmarktpolitik und eine gute Bildungspolitik.

Khol: Wir haben eine großartige Arbeitsmarktpolitik, wir haben einen Beschäftigungsboom und wir sind auch in der Ausbildung hervorragend. PISA ist ja in meinen Augen ein großer Schwindel: Da glaube ich nichts mehr. Wobei ich Ihnen zustimme: Unsere große Chance ist die Bildung. Ich sehe den Generationenvertrag auch umfassend: Er bedeutet, dass die alten Leuten nicht das aufessen sollen, was die jungen brauchen, um sich in Position zu bringen. Aber alle statistischen Ziffern zeigen, dass 70 Prozent der älteren Generation die Jüngeren unterstützen. Ich weiß das, ich habe sechs Enkelkinder. Auch der kleinste Pensionist mit 900 Euro im Monat hat zwei unabänderliche Festpunkte: das eigene Begräbnis und die Enkelkinder.

Lunglmayr: Also ich glaube auch, dass es diese Solidarität zwischen Alt und Jung gibt. Aber ...

Khol: Nicht Solidarität - Liebe zwischen Alten und Enkeln. Es gibt nichts Lieberes als ein Enkelkind ...

Lunglmayr: Gut, nennen wir es Liebe. Dass ein Großvater dem Enkerl Geld gibt, kann aber nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Jedenfalls glaube ich als Dreißigjähriger nicht, dass das die letzte Pensionsreform war. Und ich glaube auch nicht, dass der Generationenvertrag halten wird, bis wir alt sind. Als Junger hier zu applaudieren fällt mir schwer. Die Statistik sagt etwa, dass zwischen den 55-und 64-Jährigen momentan nur mehr jeder Dritte erwerbstätig ist. Was sind das für Zustände im Vergleich dazu, wie es uns gehen wird? Ich bin auch der Letzte, der Österreich schlechtreden möchte, nur sehe ich auch Dinge, die geändert gehören. Und das Bildungssystem in Österreich ist nicht toll. Das fängt damit an, dass schon in den Volksschulen zu wenig Kreativität gefördert wird und die Leute zu wenig zur Eigenständigkeit erzogen werden. Das geht weiter bei der Universität, wo ein Studium immer noch als Vollzeitstudium angelegt ist, was überhaupt nicht mehr den Bedürfnissen der Studierenden entspricht. Und wenn Sie von Liebe zwischen den Generationen gesprochen haben: Was mir vor allem fehlt, ist ein Dialog. Vielleicht wäre auch ein wirklicher Konflikt einmal gut. Derzeit lebt man aber eher aneinander vorbei. Die Alten genießen ihr Leben, was ihnen zusteht, und die Jungen versuchen, ihr Leben auf die Reihe zu bekommen. Aber Visionen, wie es mit unserer Gesellschaft weitergeht, sehe ich momentan nicht.

Die Furche: In welchen Bereichen wären Visionen nötig?

Lunglmayr: Für mich ist die wesentliche Frage, wie es für junge Menschen so etwas wie soziale Sicherheit gibt. Das Thema eines Grundeinkommens oder einer Grundsicherung ist gerade in der Berufseinstiegsphase ganz wichtig. Zweitens gibt es zwar sicher Firmen oder Rechtsanwälte, denen Mitarbeiter oder Fachkräfte fehlen. Nur was mache ich, wenn ich nun einmal keine Juristin oder kein Juristin, aber trotzdem gut ausgebildet bin und es für mich keinen Arbeitsplatz gibt? Außerdem möchte ich aus Unternehmersicht auch keine Jungen haben, die gezwungen werden, etwas zu machen, was sie gar nicht machen wollen. Da geht es auch um die Qualität von Arbeit. Und wenn es heißt, den Kranken und Drogenabhängigen werde geholfen: Ich kenne viele, die nicht krank sind und die sich trotzdem schwertun.

Khol: Die zeigen Sie mir. Die müssen nur bereit sind, 50 Kilometer am Tag mobil zu sein.

Lunglmayr: Das glaube ich nicht.

Grossmann: Ich habe als ehrenamtliche Geschäftsführerin einer Frauenorganisation in der Weststeiermark eine Sekretariatsstelle ausgeschrieben und es haben sich 123 Frauen beworben, davon zwei Drittel Akademikerinnen. Dann habe ich eine Stelle als Reinigungskraft ausgeschrieben. Da haben sich knapp 30 Frauen beworben, davon viele mit Matura. Auch bei bester Ausbildung gelingt es also vielen nicht, am Arbeitsplatz Fuß zu fassen - weil die Situation so prekär ist.

Die Furche: Apropos prekär: Die Zahl atypisch Beschäftigter steigt - gerade unter den Jungen. Was sagen Sie zu diesem Befund?

Lunglmayr: Der heikle Punkt ist der Berufseinstieg. Schaffe ich es nach dem Studium, oder nach zwei Zusatzausbildungen, in einen Beruf einzusteigen, der dieses ganze Rundherum bietet? Wenn nicht, kann es sein, dass ich mich von einer Teilzeitanstellung zum nächsten Dienstvertrag bewege. Die Frage ist für mich: Wie können hier Politik und Wirtschaft einen Beitrag leisten? Denkbar wären eben Grundsicherungsmodelle. Andererseits vermisse ich in Österreich, etwa von der Wirtschaftskammer, immer noch die Ermutigung an junge Leute, in die Selbstständigkeit zu gehen.

Khol: In Wahrheit will die Wirtschaftskammer alles, was von Ihrer Seite als Sonderrecht von Arbeitern und Angestellten gesehen wird, auch zu den Selbstständigen hinüberschaffen: Abfertigung, Kündigung, Arbeitslosengeld. Das geht nicht! Entweder man ist ein Arbeitnehmer, dann ist man nicht frei, sondern im Druck des Arbeitsverhältnisses, oder man hat die wilde Frische des Unternehmers mit dem Risiko.

Lunglmayr: Aber diese scharfe Trennung gibt es nicht mehr...

Grossmann: Und dazu wurden schon unzählige Prozesse geführt.

Khol: Ich glaube, dass man des Lebens reiche Fülle nicht in wenigen Gesetzen einfangen kann. Es gibt unglaublich viele private Lebensentwürfe. Und freie Dienstnehmer und Werkverträge sind alles Freiheitselemente. Natürlich gibt es mit der Freiheit ein gewisses Risiko.

Grossmann: Also ich weiß, dass der Großteil dieser Beschäftigungsverhältnisse nicht freiwillig angenommen wird, sondern nur, weil es keine anderen Angebote gibt. Das sind Arbeitskräfte auf Abruf, das sind Verkäuferinnen, die dann zum Einsatz kommen, wenn Kundenfrequenz da ist. Die sind in ihrer Freizeit ständig im Auto, fahren hin und her und müssen schauen, wie sie die Kinderbetreuung organisieren. Das kann keine Form von Freiwilligkeit sein.

Die Furche: Was noch freiwillig ist, ist die Teilnahme an einer Wahl - wobei Urnengänge immer stärker von den Älteren entschieden werden. Bei den letzten Nationalratswahlen waren ein Drittel der Wahlberechtigten Pensionisten, fast 40 Prozent der ausgezählten Stimmen stammten von ihnen. Um dem gegenzusteuern, wird von manchen ein Elternwahlrecht gefordert, bei dem Eltern Stimmen für ihre Kinder erhalten. Andere plädieren für eine Wahlaltersenkung. Wofür wären Sie?

Lunglmayr: Also ich halte eine Wahlaltersenkung auf 16 Jahre für sinnvoll. Das würde mehr Gerechtigkeit schaffen. Es zählen für mich auch die ideologischen Argumente nicht: Früher hat es geheißen, die Jungen wählen alle links, aber das gilt nicht mehr. Von einem Elternwahlrecht halte ich dagegen weniger. Es sollte die persönliche Sache jedes Menschen sein, wen er wählen will. Kindermitbestimmung ist für mich ein ganz anderes Thema: Man sollte etwa schon in Kindergärten mehr Partizipationsmöglichkeiten schaffen und so früh wie möglich die Jungen darauf vorbereiten, was es heißt, mitzubestimmen. Die andere Frage ist, inwieweit die Jungen in den politischen Parteien mitreden können. Mein Eindruck ist, dass es schwer ist, sich hier wirklich machtvoll einmischen zu können.

Grossmann: Ich meine, dass ein Elternwahlrecht so ziemlich allen Prinzipien des Verfassungsrechts widerspricht und deshalb strikt abzulehnen ist. Es führt auch nicht dazu, dass die Jungen verstärkt von der Politik gehört werden. Das wäre am ehesten durch eine Wahlaltersenkung gewährleistet. Man hat das in Ländern und Gemeinden gesehen, wo das aktive Wahlalter auf 16 gesenkt wurde: Dort wurden plötzlich vermehrt Aktivitäten für junge Menschen gesetzt, einfach weil sie politisches Gewicht bekommen haben. Junge Menschen müssen ja schon mit 15 Jahren viele Entscheidungen von erheblicher Tragweite treffen: etwa ihren weiteren Ausbildungs-und Berufsweg. Sie sind auch schon mit 14 Jahren begrenzt strafmündig. Nur die Mitgestaltung der politischen Zukunft wird ihnen vorenthalten - gerade auf Bundesebene, wo die wesentlichen Dinge beschlossen werden, die sie betreffen. Das sehe ich nicht ein.

Khol: Gegenüber einer Wahlaltersenkung bin ich neutral eingestellt. Das ist für mich keine Fahnenfrage. Das Elternwahlrecht halte ich hingegen für einen Holler, das ist eine uraltkonservative Forderung, der ich mich nicht anschließe. Insgesamt ist zum Thema politische Mitbestimmung zu sagen: "The proof of the pudding is in the eating" - ob ein Pudding schmeckt, merkt man beim Essen. Wo sind die jungen Leute in den Fraktionen? Bei den Grünen gibt es keinen unter 30, bei den Freiheitlichen und beim BZÖ auch nicht, bei den Sozialdemokraten weiß ich es nicht so genau. Nur bei der ÖVP haben wir eine 25-jährige Silvia Fuhrmann - mit der ich mich zum Thema Generationenvertrag regelmäßig matche. Aber das ist OK. Die Frage ist: Welche Partei schickt junge Leute ins Parlament?

Grossmann: Wir haben den 29-jährigen Christian Füller im Parlament - und mehrere Jugendorganisationen, die natürlich in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Die mindestens so wesentliche Frage ist aber, welche Politik gemacht wird: für Junge oder gegen Junge?

Khol: Jede Partei sagt, dass sie Politik für die Jungen macht. Darüber kann man trefflich streiten.

Das Gespräch moderierte Doris Helmberger.

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