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Lebensplanung. Dieses Wort ist besonders aus den Mündern junger, aufstrebender Männer - und nicht nur zum Jahreswechsel - zu hören: "Jetzt muss ich das noch erreichen, und dann will ich jenes haben, und als nächstes strebe ich einen Karrieresprung an."

Wunderbar, was für zielstrebige Leute. Wenn man sich die Ziele genauer überlegt, gehen sie in der Überzahl in Richtung "haben". Natürlich. Warum soll der Mensch nicht ein schönes Zuhause haben, ein gutes Auto, Fernreisen, vorzügliches Essen, die beste Stereo-Anlage, die auf dem Markt erhältlich ist?

Warum mir die Stereo-Anlage einfällt? Ein Freund erzählte mir kürzlich, er sei bei einem wirklich erfolgreichen österreichischen Anwalt eingeladen gewesen. Als er das Wohnzimmer betrat, ertönte Musik. Der Anwalt fragte, was der Besucher höre. Mein Freund, ein musikbegeisterter Mensch, dachte nach. Der Rechtsanwalt wiederholte seine Frage, mein Freund dachte noch immer nach. Da sagte der Rechtsanwalt: "Du hörst 95.000 Schilling. So viel hat mich dieses Ding gekostet ..."

Vom russischen Romancier Leo Tolstoj (1828-1910) gibt es eine Novelle, die man an einem Abend lesen kann. Sie heißt "Der Tod des Iwan Iljitsch". Den eifrigen Lebensplanern sei sie warm empfohlen, und auch jenen, die ihr Leben mit "haben wollen" ausfüllen:

Der hoch angesehene Richter Iwan Iljitsch Golowin (von "golow'a", Kopf) ist, 45-jährig, gestorben:",was sagt man dazu, er ist gestorben, und ich bin nicht gestorben.' Dies dachte oder fühlte wohl ein jeder. Außerdem aber dachten die näheren Bekannten, das heißt die sogenannten Freunde Iwan Iljitschs, unwillkürlich noch daran, dass sie jetzt die langweiligen Anstandspflichten erfüllen und sich sowohl zur Seelenmesse wie auch mit einer Kondolenzvisite zur Witwe begeben müssten."

Diesem zynischen Prolog lässt Tolstoj eine Lebensgeschichte folgen, die er mit den Worten einleitet: "Iwan Iljitschs Leben war in seinem Verlauf einfach, gewöhnlich und gleichzeitig überaus entsetzlich gewesen." Einer behüteten Kindheit folgte das Jusstudium; der junge Mann verdient sich die ersten Berufslorbeeren, heiratet, gründet eine Familie. Als die ersten Streitereien mit seiner Frau ausbrechen, denkt er nur an eines: wie er sich sein Leben trotz ihrer Ausfälle so angenehm wie möglich machen könne. Beruflich will er "anständig" sein, was so viel heißt wie: das tun, was man von ihm erwartet. Ein Opportunist bis ins Mark. Trotz einiger Rückschläge fährt er mit dieser Lebensmaxime prächtig. Bis er eines Tages einen dumpfen Schmerz an einer Stelle verspürt, die er sich beim Sturz von einer Leiter gequetscht hatte. Iwan Iljitsch verdrängt den Schmerz.

Die letzte Erkenntnis

Als er schließlich Ärzte aufsucht und erlebt, dass sie sich ihm gegenüber verhalten, wie er Bittsteller abwimmelte, also kalt und arrogant, da dämmert ihm: das ist nichts Vorübergehendes, das ist die Krankheit, die in den Tod führt. Sein bisheriges Leben läuft vor seinem inneren Auge ab. Angenehm war es, anständig hat er gelebt. Sinnlos war es, sagt die innere Stimme, und jetzt ist es zu spät. Seine Frau will die Wahrheit nicht sehen, seine Tochter empfindet die Krankheit des Vaters als Störung. Während der Krebs in seinem Leib wütet, ist die Einsicht der vertanen Chance, die Lüge nicht länger wegzuschieben. Mitleid und Stütze bekommt der Kranke nur von einem Diener, einem einfachen Bauernburschen, und von seinem kleinen Sohn. Den anderen möchte er entgegenschreien: "Hört auf zu lügen! Ihr wisst es, und ich weiß es ebensogut, dass ich sterben muss, so hört doch wenigstens zu lügen auf!" Er hat nicht die Kraft dazu.

In den letzten Lebenstagen bedrängt ihn in seiner entsetzlichen Einsamkeit die Vision, eine unsichtbare, unüberwindliche Macht presse ihn in einen schwarzen, tiefen Sack. Drei Tage und drei Nächte schreit er wie ein Tier. Und dann sieht er ein Licht: "Und um diese nämliche Zeit geschah es, dass Iwan Iljitsch sich abstürzen fühlte und das Licht sah und ihm klar wurde, dass sein Leben nicht das Wahre gewesen, das es hätte sein sollen." Sein Blick fällt auf seine Hand, die sein kleiner Sohn an die Lippen presst. Er begreift, dass er gehen muss, auch um die Seinen von seiner Qual zu befreien. Der Schmerz verlässt ihn. Er stirbt.

Und heute? Wir haben den Tod verdrängt. Wir haben keine Sprache mehr für Sterbende. Auf der Touristen-Insel Mallorca dürfen die Einheimischen ihre Toten nur nachts begraben, um die gute Laune der Gäste nicht zu verderben durch einbrechende Gedanken an die Endlichkeit.

Lebensplanung: gut. Wenn nur das unausbleibliche Finale mitgedacht und die Möglichkeit in Betracht gezogen würde, dass der Lebensplan durchkreuzt wird, der Faden frühzeitig abgeschnitten wird. Was dann?

Als Tolstoj diese Novelle um 1880 schrieb, war er schon berühmt. Der Ruhm löste in ihm nicht Stolz, sondern eine tiefe Krise aus. Er erkannte, dass wirklich große Literatur sich existenziellen Fragen stellen müsse. Welches Ziel des Lebens, so fragte er sich, wird durch den Tod nicht vernichtet? Das "Haben-Ziel" auf jeden Fall. Das Karrierestreben ebenso.

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