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"Entwurf: Lebenszeit - Wird uns die Zeit zu knapp?": Die alternative Wirtschaftstheoretikerin adelheid biesecker, Bremen, und der Schweizer Jesuit und Psychotherapeut bruno lautenschlager sprachen darüber im Benediktinerstift Admont: Wo ist die erfüllte Mitte in Arbeitszeit-Freizeit-Lebenszeit? Was versäume ich in meiner knappen Zeit?

Adelheid Biesecker: Ich habe ein Jahr ein "Sabbatical" gemacht, individuellen Zeitruhestand, und habe gesehen, dass ich anfange, Menschen und Natur wieder wahrzunehmen. Wenn ich unter Zeitdruck stehe, bemerke ich gar nicht, dass es im Garten schon blüht, nehme ich die Nachbarn nicht wahr, auf der Autobahn nehme ich alle anderen als Hindernisse wahr... Ich habe angefangen Bahn zu fahren und mein Auto verkauft, und habe angefangen, die Menschen wahrzunehmen in der Stadt. Nun wollte ich mit den Freunden endlich einmal viel Zeit verbringen, aber die hatten keine Zeit. Denn nur ich hatte meine Arbeitszeit verkürzt...

Wird uns die Zeit zu knapp? Knappheit ist ein typischer Begriff einer Ökonomie, die ich eigentlich kritisiere. Die ökonomische Theorie herkömmlicher Art - sie wird jetzt durch die Globalisierung in die Welt getragen - sieht uns als Homo oeconomicus, als ökonomischen Menschen, der unendliche Bedürfnisse hat und diese mit knappen Mitteln befriedigt. Die Bedürfnisse sind sozusagen nie befriedigt, und wir sind eigennützig und haben nichts weiter im Kopf, als mit Mitteln - also meistens Geld oder auch Zeit - unsere individuellen Bedürfnisse zu befriedigen.

Soziale Konstruktion Zeit

Adelheid Biesecker: Ich lege mich gern zwischen eins und drei eine halbe Stunde hin. Es war furchtbar laut. Ich ging hinaus, da hat jemand gewerkelt mit diesen fürchterlichen Gartengeräten, die wir heute alle haben, und ich sagte, ob er nicht wisse, dass Mittagsruhe ist. Er antwortete: Wir sind ein Unternehmen, wir dürfen das. Offensichtlich gibt es also wertvolle und wertlose Zeit, und offensichtlich gibt es Akteure, die ihre Zeitrhythmen anderen aufherrschen können.

Die Zeit, die wir hier diskutieren, ist nicht ausschließlich eine physikalische Größe, sie ist sozial konstruiert. Im Mittelpunkt dieser sozialen Konstruktion stand in den letzten 250 Jahren in Westeuropa, in den USA, zunehmend auch in anderen Ländern, die Herausbildung von etwas, das wir die autonome Marktökonomie nennen. Es entstanden Märkte, die sich loslösten aus Lebenszusammenhängen und von natürlichen Prozessen, und heute als in sich selbst funktionierend angesehen werden.

Mensch braucht Eigenzeit

Bruno Lautenschlager: Heute werden besonders durch die Medien gesellschaftliche Standards diktiert und Bedürfnisse stimuliert, welche den Einzelnen unter großen inneren Druck setzen. Er gerät unter das strenge Diktat von kollektiven Erwartungen, bei deren Nichterfüllung sich Frustrationsgefühle mit kompensatorischen Reaktionen einstellen: Lebensgier, Eifersucht, Gefühle von Frustrationen, destruktives Verhalten...

Denn Menschen verändern sich nicht nur körperlich, sondern auch seelisch während ihrer ganzen Lebenszeit. Doch dieser Prozess folgt eigenen Rhythmen, braucht Eigenzeit - und die wird durch den Terminkalender empfindlich gestört. Die Lebenszeit ist manchmal zu knapp, das hat Folgen für die psychische Gesundheit eines Menschen...

Die Kinder erscheinen uns in vieler Hinsicht noch viel reicher und weniger eingeengt als die Erwachsenen; wenn man erwachsen oder jugendlich erwachsen wird, muss man auf vieles verzichten, was in der Kindheit noch möglich war. Man schränkt sich ein auf seine Ausbildung, Lehre, das Studium. Dadurch gehen viele Möglichkeiten, die in mir auch angelegt sind, zumindest scheinbar ein Stück weit verloren.

Der Zug des Lebensalters

Bruno Lautenschlager: Die Psychotherapeutin Ingrid Riedel erzählt in einem ihrer Bücher den Traum einer 61-jährigen Frau: "In allerletzter Minute gelingt es mir, einen ICE-Zug zu erreichen. Ich springe auf, wie ich in meiner Jugend oft auf Trittbretter der eben angefahrenen Züge aufgesprungen bin. Doch bei diesen modernen Zügen schließen sich die Türen automatisch. So klebe ich draußen am Zug, als er eben anfährt, halte mich krampfhaft fest und bin bange, wie lange ich mich wohl werde festhalten können."

Der Traum besagt, dass dieser Zug für die Träumerin eigentlich schon abgefahren ist. Auf was sie aufspringt, ist nicht mehr der Zug ihrer Jugend mit Trittbrettern und Plattform. Sie muss am Traum erkennen, dass die Zeit für sie fortgeschritten ist. Sie ist 61 Jahre alt. Lebenszüge, die heutzutage weite Strecken befahren, sind von anderer Konstruktion und superschnell. Hier noch aufzuspringen ist es zu spät, ja wäre lebensgefährlich...

Das ungenutzte Lebenspotenzial sollte nicht vorschnell abgeschrieben werden. Es gilt, kreativ nach Möglichkeiten zu suchen, es in angepasster Form doch noch zu aktivieren.

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