Kind - © Foto: iStock/Imgorthand

Leibovici-Mühlbergers Erziehungsbuch: Die Pandemie als Weckruf nützen

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Martina Leibovici-Mühlbergers neues Buch „Wie wir unsere Kinder retten. Und die Welt dazu“ hat das Zeug zu einem Bestseller. Auch wenn nicht allen gefallen wird, was die Gynäkologin und Erziehungsberaterin zur Ursache vieler gegenwärtiger Probleme zu sagen hat.

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Martina Leibovici-Mühlbergers neues Buch „Wie wir unsere Kinder retten. Und die Welt dazu“ hat das Zeug zu einem Bestseller. Auch wenn nicht allen gefallen wird, was die Gynäkologin und Erziehungsberaterin zur Ursache vieler gegenwärtiger Probleme zu sagen hat.

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Zwei kleine Buben rangeln im Park im Sandkasten um Küberl und Schauferl, die dem größeren Kind gehören. Als dessen Mutter das bemerkt, fordert sie lautstark „Abstand halten!“ und reiht die andere Mutter unter die „verantwortungslosen Corona-Leugnerinnen“ ein. Gründlich desinfiziert sie das Spielzeug, ehe ihr Sohn es wieder angreifen darf. Was nehmen wohl die Kinder von diesem Disput mit?

Ein anderer Fall: Der kleine Konstantin, zuvor nicht „verhaltensauffällig“, hört von der Corona-Erkrankung seiner geliebten Großmutter. Er bekommt Schuldgefühle, hat er doch eine Zeichnung für die Oma angefertigt, auf der könnten ja diese „Tierchen“, die in seinem Verständnis Corona auslösen, zu ihr gelangt sein. Er entwickelt ein zwanghaftes Waschverhalten, will nicht mehr in den Kindergarten, plagt die Familie mit einem wahren „Desinfektionsterror“.

Essstörungen nehmen heute erschreckend zu. Die 13-jährige Gymnasiastin Selina, eine gute Schülerin, versäumt coronabedingt einige Wochen Unterricht und flüchtet dann in ein dauerhaftes Home-Schooling. Die wahre Ursache für ihre Abschottung liegt, wie sich herausstellt, in der anbrechenden Pubertät und der Unzufriedenheit mit ihrem „Body“. Dessen Aussehen kann mit dem Schönheitsideal, das heute von – oft manipulierten – Internetbildern geprägt wird, bei weitem nicht mithalten, weshalb sich Selina in ihrer Klasse „einfach out“ fühlt.

Keine Toleranz für Frustration

Um die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kinder und Jugendliche geht es in dem aktuellen Buch „Wie wir unsere Kinder retten und die Welt dazu“. Die Autorin, Martina Leibovici-Mühlberger, Gynäkologin, Psychotherapeutin und Erziehungsberaterin, könnte damit einen Bestseller landen, wobei sie sich mit ihren bisherigen Büchern nicht nur beliebt gemacht hat. Heftig hat sie kritisiert, dass Eltern, die ihren Kindern fast alles erlauben, statt ihnen altersadäquat Grenzen zu setzen, eine Generation von „Tyrannenkindern“ heranwachsen lassen, die keine Frustrationstoleranz lernen. Sie macht dafür nicht die jungen Menschen, sondern die Erziehungsberechtigten verantwortlich.

Ohne Frustrationstoleranz tut man sich natürlich in Krisenzeiten, wo plötzlich neue, strenge Regeln gelten (Abstand, Hygiene, Masken, regelmäßige Tests, Lockdown), besonders schwer. Corona hat unseren Kindern viel angetan, konstatiert Leibovici. Sie wurden verhaltensauffälliger, aggressiver und gewaltbereiter. Dazu kommen Bildungsdefizite, gefährdete Zukunftschancen und Ängste vor einer „verlorenen Generation“. Die Sorge, im Leben zu scheitern, greift um sich. „Rettet diese Generation!“, wird der Appell eines Lehrers zitiert, der bei Jugendlichen zunehmend psychische Probleme bis hin zu Suizidgedanken ortet.

Das Buch übt viel Kritik am Umgang mit dem Virus, an den oft nicht schlüssigen Maßnahmen der Regierung und an jenen Stimmen, die vorschnell die „partywütige Jugend“ der Ausbreitung von Covid-19 bezichtigten. Leibovici-Mühlberger nennt eine Studie, wonach 75 Prozent der jungen Menschen vorbildlich agiert haben, um ihre Eltern und Großeltern vor einer Ansteckung zu schützen.

Wenn die Autorin zur Pandemie pauschal schreibt, „am meisten haben unsere Kinder und Jugendlichen gelitten, denn in ihrem Lebensabschnitt geht es um Erfahrungen, die das Weltbild formen“, hat das viel für sich. Es sollte aber nicht unter den Tisch fallen, dass schon an die 20.000 – vorwiegend ältere – Menschen an oder mit Covid-19 gestorben sind und dass viele Menschen, vor allem in Altenheimen, einsam und allein die Krise bewältigen mussten.

Leibovici nimmt zwar ständig auf die Pandemie Bezug, aber viele ihrer Aussagen sind allgemein lesenswert. Dabei geht sie von Ratschlägen zur Erziehung zu großen Gegenwartsproblemen über, klug, doch mitunter ihre Kompetenz überschreitend. Aber sie will ja nicht nur die Kinder, sondern auch die ganze Welt retten. Richtig ist, dass die Bewältigung der Probleme stark von der Bildung der nächsten Generation abhängt, und dabei nicht nur von der Anhäufung von Wissen, sondern auch von der Formung des Charakters.

Direkter Kontakt mit Gleichaltrigen ist in der Jugend immens wichtig, nicht nur in einer Pandemie, in der er, so Leibovici, besonders gefehlt hat: „Husch, husch ins Körbchen, hat es für unsere Teenager geheißen, anstatt sich mit ihrer Peergroup im großen Trainingslabor sozialer Interaktion an der Schwelle zur Erwachsenengesellschaft austauschen zu können.“

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