"Leitkultur"-Debatte auf österreichisch

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Der verantwortungsvolle Umgang mit der Sprache sollte gerade in der Integrationspolitik zum allgemeinen Gebot werden.

Vor zwei Jahren begann durch eine Aussage des CDU-Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag, Friedrich Merz, eine unsägliche Diskussion über die "deutsche Leitkultur", welche durch alle Parteien getragen wurde, bis der bekannte Liedermacher Wolf Biermann sie als eine Scheindiskussion des "Politikerpacks!" abqualifizierte und ein Ende der Debatte forderte.

Nun startet die ÖVP eine "Light"-Version davon mit dem adaptierten Begriff "Europäische Werte", verabsäumt aber dabei, deren wesentliche Grundelemente wie Demokratie und Partizipation an demokratischen Strukturen, Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit, Glaubens- und politische Freiheiten sowie allgemeine Bürgerrechte zu nennen.

Pluralismus und Meinungsvielfalt können erlernt werden; ausländischen MitbürgerInnen wird hinkünftig die Chance gegeben, an der Gestaltung Wiens aktiv mitzuwirken und gleichzeitig die Spielregeln der Demokratie kennenzulernen. Einbinden statt Ausgrenzen lautet die Devise. In diese Richtung wird nämlich durch das in Wien bevorstehende "Demokratiepaket" ein zukunftsweisender Schritt gesetzt, der in Österreich noch einzigartig ist. So sollen etwa AusländerInnen, die mindestens fünf Jahre in Österreich leben, das aktive und passive Wahlrecht auf Bezirksratsebene erhalten. Wenn man Demokratie fordert, muss man sie auch zumindest auf kommunaler und betrieblicher Ebene zulassen.

Egal ob "Leitkultur" oder "Europäische Werte", stets war die Diskussion von Zuwanderung und Integration mit einem sehr starken islamophoben Unterton verbunden.

Emotional voreingenommen

Es ist nicht sehr lange her, seit Hubert Pirker, Europa-Abgeordneter der ÖVP, im Zuge der Diskussion um Familienzusammenführungen von einem "Harem" sprach, und schon beeilt sich Herr Tschirf, in die gleiche Kerbe zu schlagen. Ohne die Muslime direkt zu nennen, sichtet er in der Debatte um die Vergabe der österreichischen Staatsbürgerschaft "Fundamentalisten" und unterstellt eo ipso, dass die Frau als minderwertig betrachtet werde. Wiederholt bedient man sich Klischees und Vorstellungen, die auf der Grundlage emotionaler Voreingenommenheit Stimmung gegen Menschen muslimischen Glaubens machen. Dabei sollte man, wenn schon besorgt um die Rechte der Frauen, mit guten Beispiel vorangehen. Hier wäre es an der Zeit, ihre berufliche sowie soziale Integration und Emanzipation zu fördern bzw. alle rechtlichen und gesellschaftlichen Hürden zu beseitigen. Es ist für diese Frauen schwer verständlich, weshalb Sie fünf Jahre warten müssen, um einem eigenen Beruf nachgehen zu dürfen, und dass ihr Niederlassungsrecht nur auf Grund ihres Gatten begründet wird. Konzepte müssen geboten werden um die Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe bzw. der Religion zu bekämpfen. Bildung und Qualifikation allein genügen nicht, wenn muslimische Frauen enttäuscht feststellen müssen, dass ihr Kopftuch beim AMS mit Bedauern als "Behinderung" gewertet wird.

Im Rechtsstaat zählen Taten

Allein die Idee als vorausgesetzt angenommene "Werteeinstellungen" zur Qualifikation zu machen und von Beamten bei einem Gespräch schlicht "feststellen" zu lassen, ist wohl mehr als nur problematisch. In einem Rechtsstaat kann es nur auf die Taten und das Verhalten im Einklang mit den Gesetzen und nicht auf die persönliche Einstellung ankommen. Schließlich muss jeder zum Abschluss des Einbürgerungsverfahrens einen Eid auf die Verfassung leisten, in der alle vorher erwähnten Werte enthalten sind.

Integrationspolitik ist ein sensibler aber wichtiger Bereich, der Kreativität und Mut zur Innovation sowie die Anstrengung aller Beteiligten fordert.

Muslime und andere Minderheiten stehen dafür ein, immer wiederkehrende Klischees und Stereotype aus dem Weg zu räumen. Politüberraschungen wie zuletzt sind kontraproduktiv, demoralisieren und erschweren jegliche Anstrengung für ein harmonisches Miteinander. Sensibilität im verantwortungsvollen Umgang mit dem Sprachgebrauch sollte zum allgemeinen Gebot in der Integrationspolitik werden.

Der Autor ist Landtagsabgeordneter der SPÖ in Wien sowie Integrationsbeauftragter der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich.

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