Lernen an der Realitätsgrenze

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Das Internet ist aus der Welt des Lernens nicht mehr wegzudenken. Schüler und Lehrer sind durch die virtuelle Revolution gleichermaßen gefordert. Was aber ist das Neue am E-Learning? Welche Auswirkungen hat es auf die Pädagogik? Und: Wo bilden sich heute die IT-Experten von morgen? Das furche-Dossier gibt darauf Antworten.

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Das Internet ist aus der Welt des Lernens nicht mehr wegzudenken. Schüler und Lehrer sind durch die virtuelle Revolution gleichermaßen gefordert. Was aber ist das Neue am E-Learning? Welche Auswirkungen hat es auf die Pädagogik? Und: Wo bilden sich heute die IT-Experten von morgen? Das furche-Dossier gibt darauf Antworten.

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Was macht ein Neunjähriger im Informatikunterricht? X-beliebige Tasten drücken? Rücksichtlos die Maus malträtieren? Falsch. Der neunjährige Jakob will per E-Mail im Internet Tickets bestellen - zur großen Verwunderung seiner Lehrerin Dina David. "Wie bezahlst du denn die?" lautet ihre ungläubige Frage. "Du bist eben noch nicht volljährig", steht ihm sein Kompagnon Moritz bei, während er am Nachbar-PC an seinem virtuellen Buch mit dem Titel "Praktische Ratschläge fürs Leben" tippt. Nicht in Zehnfingertechnik, versteht sich: "Freestyle" ist angesagt, wie es sich für Cyber-Knirpse gehört.

Wenn es um den Computer geht, ist die 3C-Klasse der Ganztages-Volksschule Aspernallee im zweiten Wiener Gemeindebezirk ihren Alterskollegen um mehrere Nasenlängen voraus. Seit der ersten Schulstufe ist die Klasse an den Umgang mit Diskette, Scanner, und CD-ROM gewöhnt. E-Mails von der Lehrerin sind den 26 Kindern ebenso alltäglich wie die regelmäßige Aktualisierung der Klassen-Homepage. Zwei Stunden pro Woche verbringen die Kleinen im Computerraum, schreiben Texte und illustrieren sie mit gescannten, eigenen Zeichnungen. "Die Lehrerin kann ein Computer natürlich niemals ersetzen", schränkt Dina David ein. Es gelte lediglich, schon in der Grundschule den Umgang mit dem PC als vierte Kulturtechnik zu trainieren. Für das eigenständige Recherchieren im Internet stehen spezielle Kindersuchmaschinen zur Verfügung (etwa www.blindekuh.de). "Die Kinder suchen sich selber die Themen aus, das reicht vom alten Rom bis zum 30-jährigen Krieg."

Weniger martialisch geht es an der Handelsakademie Tamsweg zu. "Alle Lehrer der Schihandelsschule Schladming haben sich entschlossen, den Europäischen Computerführerschein zu machen und werden von uns aus trainiert", erklärt Schuldirektor Johann Weilharter den einzigartigen Online-Kurs. Auch im Physikunterricht haben man erfolgreich erste E-Learning-Schritte gewagt. "Wenn ein Schüler einen Experimentablauf festigen will, kann er sich unter www.zum.de Lernmaterial besorgen."

Geht es um die Pläne der Europäischen Union, dann sollen die Vorzeigeprojekte aus Wien und Tamsweg bald in ganz Europa Schule machen. Im Rahmen der dieswöchigen Aktion "eSchola" will man den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien im Unterricht fördern. Allein in Österreich nehmen 80 Schulen an der Initiative teil. Noch diese Woche, am 10. und 11. Mai trifft sich die europäische Riege in Brüssel um am 1. E-Learning-Gipfel Strategien für die Zukunft zu entwickeln.

Bereits im Juni vergangenen Jahres hatte der EU-Rat in Feira eine groß angelegte Weboffensive beschlossen. Kostenpunkt der Initiative: rund 300 Millionen Euro. Das Ziel war und ist hoch gesteckt: Bis Ende 2002 sollen alle Schulen im Netz vertreten sein. (Noch sind es hierzulande erst zwei Drittel, wobei bei den Volksschulen mit nur 50 Prozent der größte Nachholbedarf besteht.) Bis zum gleichen Zeitpunkt soll ein Großteil der Lehrenden zumindest über die Kenntnisse des Europäischen Computerführerscheins (siehe S. 15) verfügen. Lebenslanges Lernen steht also Österreichs Lehrerschaft bevor - zumal die Perspektiven, die sich durch die neuen Medien im Unterricht eröffnen, verlockend sind. E-Learning, also multimediales, interaktives Selbsttraining, ermöglicht ein Lernen unabhängig von Ort, Zeit und individueller Lerngeschwindigkeit. Auch die Angst, dumme Fragen zu stellen, gehört damit der Vergangenheit an.

Um den neuen Lernformen den Weg in die Klassenzimmer zu bahnen, hat das Bildungsministerium die Kampagne "e-fit" ins Leben gerufen. Durch eine Animations-CD-ROM samt Gratis-Internatanschluss werden vor allem hartnäckige Internet-Verweigerer angesprochen. Und die gebe es nach wie vor, weiß Professor Johann Günther von der Donau-Universität Krems: "Ein Drittel sind Pioniere, ein Drittel Mitläufer und ein Drittel jene, die wirklich nicht wollen." Werde jedoch der anfängliche Widerstand gebrochen, so nimmt die Ausbildungskette ihren Lauf. Kursangebote wie die bewährte e-LISA-Sommerakademie der österreichischen Schulbuchverlage, sollten die Lehrer dort abholen, wo sie stehen. In weiterer Folge werden vergünstigte PCs sowie vertiefende Kurse an den Pädagogischen Instituten und der Donau-Universität Krems angeboten.

Das Ausbildungsziel ist manches mal nicht höher gesteckt, als den Lehrer für das Wissen seiner Schüler zu wappnen. Eine kuriose Situation, diagnostiziert Marco Jirasko, Assistenzprofessor am Institut für Psychologie an der Universität Wien: "Früher haben die Pädagogen ein gewisses Informationsmonopol gehabt. Heute müssen sie sich gefallen lassen, dass der Schüler mehr weiß." Hat Jirasko beim Einsatz des E-Learnings keine pädagogischen Bedenken, so zeigt sich Johann Günther durchaus kritisch. "Für uns ist es klar, wo die reale Welt beginnt und wo die virtuelle endet. Für ein Kind ist es das nicht. Der Lehrer muss ihm dabei helfen."

Nicht nur für die Schule, auch für die Universitäten führt am interaktiven Lernen kein Weg vorbei. Experten gehen davon aus, dass die Unis ab 2010 grundsätzlich "ohne Wände" existieren. Bislang ist die deutsche Fernuniversität Hagen noch die einzige virtuelle Universität im deutschsprachigen Raum. Auch für die Unternehmen wird E-Learning zunehmend interessant: So rechnet man durch Online-Weiterbildung bei der Mitarbeiterschulung mit Kosteneinsparungen von bis zu 60 Prozent.

Um auch den Lehrern Zeit und Nerven zu sparen, arbeitet man im Bildungsministerium emsig an einem Online-Portal, das den gesamten Bildungsbereich mit multimedialen Inhalten versorgen soll. Auch Nachhilfe- und Fernkurse sollen auf der Plattform zu finden sein. Bis allen Institutionen jedoch der schnelle, gezielte Zugriff auf Lehr- und Lernmaterialen möglich ist, geht die bisweilen chaostheoretische Suche nach dem richtigen Kurs im Cyberspace weiter. Recherchieren will also gelernt sein. Die 26 Kinder in der Wiener Aspernallee - blindekuh-gestählt - haben in dieser Hinsicht nichts zu befürchten.

Links www.eun.org bzw. http://eschola.eun.org www.eduhi.at www.donau-uni.ac.at www.e-lisa.at www.lehrerweb.at

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