„Lernen, dass wir altern“

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Der Soziologe Anton Amann über die Beständigkeit von „Alterslügen“ sowie Klischees und über die Frage, ob sich die heute Jungen mit dem Altern schwerer tun werden. Das Gespräch führte Regine Bogensberger

Der Soziologe und Sozialgerontologe Anton Amann, emeritierter Professor der Universität Wien, schrieb 2004 ein Buch zu den „großen Alterslügen“. Gemeint waren „Generationenkrieg, Pflegechaos und Fortschrittsbremse“ (Böhlau). Bekannte Themen, die meist auch Begleitmusik sind, wenn etwa diskutiert wird, wie berechtigt Pensionserhöhungen sind.

Die Furche: Herr Professor, bestehen diese von Ihnen aufgezeigten Lügen fort?

Anton Amann: Ja, und wenn man sich die veröffentlichte Diskussion anschaut, dann habe ich den Eindruck, diese Lügen sind noch stärker geworden als sie 2003 bzw. 2004 waren.

Die Furche: Warum?

Amann: Es gibt mittlerweile einen internationalen Diskurs, getragen von Organisationen wie der OECD, der EU oder der Weltbank, die explizit davon sprechen, dass die Zunahme älterer Menschen eine Belastung für die Volkswirtschaft darstellt. Das ist natürlich unter rein fiskalischen Gesichtspunkten richtig, aber völlig falsch, wenn das Urteil generalisiert wird. Damit verkennt man völlig, was ältere Menschen in der Gesellschaft beitragen und beitragen könnten, wenn es ihnen ermöglicht würde, zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt.

Die Furche: Es gibt im Gegenzug immer mehr Bücher, die sich gegen dieses Bild (der Alte als Last) unter dem Motto „Mit uns ist noch zu rechnen, wir starten nochmals durch!“ zur Wehr setzen. Eine gute Sache?

Amann: Diese Bücher leben von einem generellen Altersstereotyp: Das Alter wird weithin negativ bewertet. Diese Bücher leben davon, ein Gegenbild zu konstruieren. Dabei ist nicht alles falsch, was in ihnen geschrieben steht. Aber das Alter ist vielgestaltig: Es gibt im zunehmenden Maße eine Gruppe, die im Vergleich zu früher gesünder, mobiler, höher gebildet ist und sich auch finanziell mehr leisten kann. Diese Gruppe würde tatsächlich dem Bild – wir können, wir wollen, wir tragen bei – entsprechen. Aber der Fokus auf diese Gruppe allein verstellt den Blick auf alle anderen. Die Altersbilder sind ambivalent und widersprüchlich: Auf der einen Seite steht das Bild der Junggebliebenen, auf der anderen Seite ist von einer Republik der Greise und Pflegefälle die Rede – beides ist falsch.

Die Furche: Polarisierende Klischees, der Druck am Arbeitsmarkt und der Jugendwahn – stehen alte Menschen zunehmend unter Druck?

Amann: Sicher haben diese Entwicklungen dazu beigetragen, dass bei älter werdenden und alten Menschen eine Verunsicherung über den eigenen Stellenwert in der Gesellschaft aufgekommen ist. Wenn man immer hört, dass man keinen Wert hat und nicht gebraucht wird, dann glaubt man es irgendwann selber. Dann sieht man noch jene, die mit aller Gewalt jung erscheinen wollen, was aber keinem Menschen gelingt. Wenn Sie an die Schönheitsindustrie denken und an jene, die sie unterstützen, dann haben Sie eine Gruppe, die mit dem Älterwerden nicht fertig wird.

Die Furche: Dabei gibt es seit Jahren eine Gegenströmung gegen den Jugendwahn. Warum greift das nicht?

Amann: Es greift zaghaft. Der Mechanismus ist relativ klar: Immer wenn es in einer Gesellschaft Strömungen gibt, die stark sind und mit aller Macht nach vorne getrieben werden, gibt es automatisch Gegenströmungen. Diese sind einerseits der Versuch, das andere nicht gelten zu lassen. Zweitens scheinen mir diese ein wichtiger Versuch zu sein, Aufklärung darüber zu betreiben, was an der stärkeren Strömung falsch ist. Es ist eine Art Aufklärung, eine Haltung, die der Dichter Gottfried Benn mit dem Satz beschrieben hat: Man muss nach seinen Möglichkeiten leben und nicht nach seinen Parolen. Also mit aller Gewalt jung, dynamisch und schnell zu sein, ist eine Parole. Aber zu sehen, dass sich im Laufe des Lebens Dinge ändern und man seine Möglichkeiten erkennen muss, das entspricht dem ersten Teil des Satzes von Gottfried Benn.

Die Furche: Wagen Sie eine Prognose für die nahe Zukunft: Wird sich diese Tendenz des Jugendwahns in dem Ausmaß fortsetzen?

Amann: Von diesem Hintergrund aus gesehen – den finanziellen und marktbezogenen Interessen –, wird diese Tendenz versuchen, sich weiter auszudehnen. Aber auf der anderen Seite kann man sagen: Je mehr Menschen zur Einsicht gelangen, dass nicht nach Parolen zu leben, sondern nach ihren Möglichkeiten, die bessere Lösung in Hinsicht auf Lebensqualität und Zufriedenheit ist, je mehr sich fragen, was man mit den gegebenen Dingen optimal machen kann anstatt zu fragen, was kann ich maximieren, umso stärker wird im Laufe der Zeit die Gegenbewegung werden. Irgendwann wird – hart formuliert – eine alternde Generation lernen, dass sie altert.

Die Furche: Die aktuell Jüngeren sind in einer Zeit groß geworden, die besonders stark durch den Drang, das Beste aus ihren Leben zu machen, geprägt ist. Werden sich diese nicht noch schwerer tun mit dem Altern?

Amann: Schwer zu sagen. Es ist eine Generation, die größere Chancen hatte, sich vernünftig auf diese Veränderungen einzustellen. Niemand hat vorher soviel an öffentlicher Diskussion mitbekommen wie die jetzt „Mitte-Generation“, die schön langsam ins eigene Altwerden hineinwächst. Die Generation, die jetzt alt ist, hat in ihrer Jugend kaum von diesen Themen gehört, weil es noch kein Thema war.

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