Letzter Hilfsanker in der Prozessflut

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Ob sich die Probleme nun um Steuerschulden, Besuchsrecht oder Baurecht drehen: Beim Sprechtag der Volksanwältin Gertrude Brinek in der Wiener Singerstraße liegen Verzweiflung und Hoffnung dicht beieinander. So leidvoll manche Konflikte im Leben dieser Menschen auch sind: Nicht immer kann die Volksanwaltschaft helfen.

Als Mutter Marija B. (Namen von der Redaktion geändert) und ihre erwachsene Tochter das Büro von Volksanwältin Gertrude Brinek betreten, sind sie am Tiefpunkt angelangt. Lange, konfliktreiche Jahre liegen hinter ihnen - die merkbar an ihnen gezehrt haben. Marija B. muss Tabletten nehmen, die ihr ihr Psychiater verschrieben hat, "damit ich ruhig bleibe, sonst würde ich das nicht durchstehen", erklärt sie mit brüchiger Stimme. Bei ihrer Tochter diagnostizierte der Arzt 2006 eine posttraumatische Belastungsstörung - denn der Familienstreit, gekoppelt an Gewalt, haben sie in ihre unschöne Kindheit zurückversetzt. Emotional ergriffen kommt die Tochter dann zur Sache: "Ein Wahnsinn, was sich bei uns im Burgenland abspielt. Das ist ein reiner Männerverein da unten." Sabine B. ist aufgebracht, spricht schnell, Brinek muss sie bremsen. Aus Sabine B. sprudelt eine lange Vorgeschichte hervor - eine Geschichte des Prozessierens gegen den eigenen Vater über landwirtschaftlichen Besitz, die die nunmehr geschiedenen Ehepartner bis zum Obersten Gerichtshof ausgefochten haben.

Ländliche Strukturen

Vater und Sohn würden sich gegenseitig decken und gegen die inzwischen finanziell sehr geschwächte Mutter vorgehen - in einer ländlichen, patriarchal geprägten Gesellschaft, in der die Mutter ziemlich alleine dasteht. Zeugen, "Du-Freunde" des Vaters, darunter ein Bankdirektor, würden Fakten einfach unter den Tisch fallen lassen und die Mutter daran hindern, "Recht" zu bekommen. Mittlerweile lebt Mutter Marija B. von der knappen Sozialhilfe und ist nicht nur finanziell am Ende.

Gertrude Brinek hört aufmerksam zu, dann muss sie aber als Volksanwältin konkret eingreifen: "In welchem Punkt kann die Volksanwaltschaft etwas für Sie tun?" Um einen Erlagschein über 3900 Euro geht es, den die Mutter zugeschickt bekommen hat, nachdem sie einen Antrag auf Bewilligung einer Verfahrenshilfe gestellt hatte. Sowohl im Zivil- als auch im Strafverfahren besteht für Personen, die die Kosten eines Rechtsanwaltes nicht tragen können, die Möglichkeit, einen Rechtsanwalt beigestellt zu bekommen. Frau B. bekam keine Verfahrenshilfe genehmigt - und dann flatterte ihr ein Erlagschein ins Haus. Auch nach Telefonaten mit der behördlichen Verrechnungsstelle kam es zu keiner zufriedenstellenden Klärung: Marija B. muss zahlen, scheinbar alleine deswegen, weil sie klagen wollte.

Eine zufriedenstellende Spontanlösung hat Brinek nicht parat. Entgegen der Hoffnung vieler Beschwerdeführer muss sie erst Unterlagen kopieren, um mit der Behörde schriftlich in Kontakt zu treten zu können. Auszuharren aber sind Mutter und Tochter B. schon gewohnt. Und sie wollen gerichtlich weiterkämpfen. Im Familienkonflikt kann Brinek aber nicht helfen, einen guten Rat gibt sie trotzdem: "Sie haben eine schwere Zeit hinter sich, aber überlegen Sie sich, wie sehr Sie sich selbst schädigen. Seien Sie maßvoll mit Ihrer Kraft."

Dass menschliches Leid die Beschwerdeführer eint, auch wenn ihre Probleme unterschiedlicher nicht sein könnten, wird klar, als Ismail K. und Ayse K. das Büro der Volksanwältin betreten. Der Ehemann von Ayse und Bruder von Ismail K. sitzt in der Strafanstalt Sonnberg. Der Häftling hat vier Kinder, die ihren Vater öfter sehen möchten. Die Anreise nach Sonnberg ist für die Simmeringer Familie zu kostspielig, sie wünscht sich, dass der Häftling in eine Haftanstalt nach Wien überstellt wird. Und noch ein Anliegen bringen sie vor: Im Gefängnis erhält der Bruder eine Psychotherapie auf Deutsch, die er nicht versteht. Da er die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, sahen die Behörden keine Notwendigkeit einer türkischen Therapie. Brinek muss mit den Behörden in Verbindung treten, geht aber davon aus, dass eine Verlegung möglich sein wird. So können sich Ismail und Ayse K. immerhin mit der intakten Hoffnung verabschieden, mit der schon gekommen sind; sie müssen weiter abwarten.

Quälender Streit unter Nachbarn

Bei der nächsten Beschwerdeführerin, Pensionistin Anna D., ist die starke persönliche Ergriffenheit deutlich merkbar. Ihre Stimme wird immer dünner, sie weiß nicht mehr weiter und ist des Prozessierens müde. Diesmal ist das Problem eine Grundstücksmauer, die Anna D. sämtliche Kräfte und Ersparnisse raubt. Sie kommt aus einem niederösterreichischen Dorf. "Der Nachbar von unserem Grundstück, das wir verpachtet haben, sagt, da wächst Gras an seiner Mauer, das wird von uns schlampig gemäht und macht seinen Gartenzaun kaputt." Später hätte ihr der Nachbar vorgeworfen, Aufschüttungen an der Mauer zu tätigen, was aber nicht wahr sei. "Dann war wieder Ruhe, bis der Nachbar gemeint hat, Wasser fließe von uns auf seinen Grund ab." Schließlich kam es zum Prozess, bei dem man sich auf einen Vergleich einigte - jeder zahlte seine eigenen Anwaltskosten. So weit, so gut. Bis D. beim Studieren der Grundstückspläne bemerkte, dass die Mauer des Nachbarn auf Grund falscher Einzeichnungen eigentlich auf ihrem Grundstück stehe. Im Grunde hätte sie so ein Druckmittel gegen den Nachbarn in der Hand, sollte er sich wieder über Mauerprobleme beschweren. Die Pensionistin, die sich in rechtlichen Fragen sehr unsicher fühlt, zerbricht sich aber über andere Fragen den Kopf. Sie will nicht mehr vor Gericht und weiß nicht, wie und ob sie weiter gegen den Nachbarn vorgehen soll. "Der Bürgermeister hat gemeint, er darf mir nicht sagen, wo die Mauer wirklich steht, weil ich sonst klagen muss." Brinek erklärt zu D.s Erleichterung, dass diese natürlich nicht klagen müsse, sieht aber keinen Ansatz, bei dem die Volksanwaltschaft eingreifen kann, denn ein Versagen von Seiten des Bürgermeisters sei nicht zu erkennen.

Unbehebbare Fehler

Sie rät: "Wenn Sie klagen, geht der Zirkus von vorne los. Wir könnten aber den Bürgermeister anschreiben, ob die Mauer tatsächlich an der falschen Stelle steht." Zufriedenstellend ist die Antwort für die Pensionistin nicht, möchte sie doch nur endlich Ruhe haben. Da die Neuberechnung der Pläne aber in Gang ist und noch keine Ergebnisse feststehen, kann Anna D. letztendlich nur für die rein rechtliche Auskunft danken.

Wie sich die Fälle des Sprechtags weiterentwickeln oder ob sie geklärt werden können, wird sich mit der Zeit weisen. Nicht immer kann die Volksanwaltschaft eine zufriedenstellende Lösung anbieten. Brineks Geschäftsbereichsleiter Michael Mauerer erklärt: "Manchmal ist ein Fehler von Seiten der Behörde passiert, der sich nicht mehr beheben lässt." Dennoch gebe es noch zwei andere Möglichkeiten einer Lösung: "Viele Menschen haben eine Lösung, wenn sie nach der Durchsicht verstehen, warum eine Behörde so handeln musste, wie sie gehandelt hat."

Der dritte Bereich umfasse all jene Missstände, wo die Behörde ihren Fehler schließlich beheben kann. "Das ist die glücklichste Gruppe, wenn man so will", erklärt Mauerer, "auch wenn sich das nicht immer in großer Dankbarkeit zeigt." Denn am Ende eines Konflikts sind viele Menschen nur mehr ausgelaugt.

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