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10 Jahre Lichtermeer: Letztes Glockenläuten

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23. Jänner 1993: Um Punkt 17 Uhr gaben die Kirchenglocken das Signal zum Entzünden Tausender Kerzen. Nicht nur Wien, auch viele andere österreichische Städte wurden in jenen Tagen von einem Lichtermeer erhellt. Anlass war das Ausländer-Volksbegehren der FPÖ. Dieses wurde zwar zu einem veritablen Flop, doch ein konfliktfreies Zusammenleben von In- und Ausländern in Österreich war deswegen noch lange nicht gesichert.

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23. Jänner 1993: Um Punkt 17 Uhr gaben die Kirchenglocken das Signal zum Entzünden Tausender Kerzen. Nicht nur Wien, auch viele andere österreichische Städte wurden in jenen Tagen von einem Lichtermeer erhellt. Anlass war das Ausländer-Volksbegehren der FPÖ. Dieses wurde zwar zu einem veritablen Flop, doch ein konfliktfreies Zusammenleben von In- und Ausländern in Österreich war deswegen noch lange nicht gesichert.

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Nein, Österreichs Zivilgesellschaft ist nicht erst rund um jenen 23. Jänner 1993 herum entstanden, als die größte politische Demonstration der Zweiten Republik stattfand. Wien hatte diesbezüglich schon im Gefolge von 1968 einiges zu bieten gehabt; und nicht zuletzt gab es auch in Österreich beachtliche Ableger der Friedensbewegung, die im westlichen Europa der achtziger Jahre Hunderttausende auf die Straße brachte, um gegen Nato-Rüstung und das Ost-West-"Gleichgewicht des Schreckens" aufzustehen.

Allerdings war das neutrale Österreich bei diesen politischen Auseinandersetzungen bloß ein Zaungast: Man konnte hierzulande - vom Protest gegen österreichische Waffenexporte abgesehen - leicht demonstrieren. Eingelullt in die Sicherheit von Bruno Kreiskys Außenpolitik war solcher Protest für bewegte Christen ebenso wie für Säkulare - von der Mitte bis ganz links angesiedelt - eine einfache Sache, die den Alltag wenig tangierte. Erst mit den Waldheim-Jahren und der darin aufbrechenden Auseinandersetzung mit Österreichs Rolle vor, während und nach der NS-Zeit begann so etwas wie Zivilgesellschaft vis-à-vis und als Korrektiv der offiziellen Politik. Mit der Implosion des Ostblocks war auch Österreichs komfortable Position als unbeteiligter Zuschauer des Kalten Krieges Makulatur: Bei der Migrationsfrage fand sich das Land im Nu mitten in Europas sozialen Auseinandersetzungen. Die erstarkende FPÖ hatte dabei bloß ihr Ohr dem Zeitgeist am nächsten.

Der geschilderte Paradigmenwechsel provozierte als Gegenbewegung jene Zivilgesellschaft, die am 23. Jänner 1993 den sichtbaren Höhepunkt erreichte: Bis zu 500.000 Menschen waren allein in Wien beim Lichtermeer unterwegs. Seither war nichts Vergleichbares mehr möglich.

Dafür gibt es mehrere Gründe:

* Das Volksbegehren der FPÖ "Österreich zuerst", das in der letzten Jännerwoche 1993 zur Unterzeichnung auflag, war erstmals eine politisch relevante Aktion, die sich gegen Menschen richtete (bislang ging es in der politischen Auseinandersetzung um Sachfragen wie Zwentendorf oder um soziale Besserstellungen von Menschen). Das Ausländer-Volksbegehren der FPÖ war also ein Tabu-Bruch, gegen den - kurzfristig - wesentliche Teile von Kirchen, Parteien und anderen Institutionen mobilisiert werden konnten.

* Der Tabu-Bruch des FP-Volksbegehrens zeigte aber Wirkung: In der Ausländerpolitik aller Parteien (mit Ausnahme der Grünen) wurde die von der FPÖ vorgelegte Linie rezipiert und in eigene Positionen integriert.

* Schließlich war das Aufflackern dieser Zivilgesellschaft auch ein Erfolg des Einsatzes der katholischen Kirche, besser gesagt: eines landesweiten Engagements von katholischen Laien - nicht nur aus dem Jugendbereich, sondern vor allem aus der Katholischen Aktion unter ihrer Präsidentin Eva Petrik und ihrer Generalsekretärin Ruth Steiner: Es war nicht zuletzt diesen beiden Protagonistinnen zu verdanken, dass bei den Veranstaltungen am 23. Jänner katholische Stimmen - bis hin zu Bischöfen, darunter Kardinal König - deutlich Stellung nahmen. Steiner gelang es etwa, dass am 23. Jänner auch die meisten Glocken der katholischen Kirchen in Wiens Innenstadt läuteten, obwohl der amtierende Kardinal Hans Hermann Groër die Zustimmung zu einem allgemeinen Aufruf zum Glockenläuten verweigert hatte. Die Katholische Aktion ließ an zwei Sonntagen nach den Gottesdiensten österreichweit 750.000 Exemplare ihres Falters "10 Gegen-Sätze für Menschenfreunde" verteilen, in dem Argumente gegen das FP-Volksbegehren aufgeführt waren. Dieses "katholische" Engagement, das österreichweit bis in die Pfarren reichte, trug substanziell sowohl zur Massenbeteiligung am Lichtermeer als auch zum erhofften, leider nur kurz währenden Misserfolg des FPÖ-Volksbegehrens bei.

Ein Resümee zehn Jahre nach dem Lichtermeer sollte vor Augen haben, dass es diese Verbindung zwischen Österreichs Zivilgesellschaft und dem katholischen Aktivsegment und seinen Mobilisierungsmöglichkeiten nicht mehr gibt. Das ist zum einen durchaus Schuld der Katholiken, die in diesen Jahren gesellschaftspolitisch immer weniger in Erscheinung traten (löbliche Ausnahme: das Engagement der Caritas). Aber gleichermaßen kritisch ist das Desinteresse der Zivilgesellschaft an den Allianzen mit den Katholiken zu sehen.

Dass geschilderte Rolle von Katholikinnen und Katholiken rund ums Lichtermeer heute praktisch vergessen ist, spricht da für sich.

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