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Reportage • Ob suchende Singles oder langjährige Partner: Die Imago-Therapie will durch ritualisierte Dialoge die Beziehungsfähigkeit erhöhen.

Es sind zehn Frauen und zwei Männer, die an diesem Samstagmorgen erwartungsvoll im Sessel-Halbkreis sitzen. Ihr Alter reicht von Mitte 20 bis Mitte 60, ihre Bildung ist gehoben - und ihr Anliegen groß: Nichts Geringeres als die eigene Beziehungsfähigkeit steht im Zentrum jenes "Single-Imago Workshops“, für den die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus allen Ecken des Landes ins Wiener Neustädter Bildunghaus St. Bernhard gekommen sind.

"Die Liebe, die du suchst“, lautet der Titel des Kurses, den der erfahrende Paartherapeut Erwin Jäggle leitet. Wer hinter diesem Namen eine Version der schrulligen TV-Kuppelshow "Liebesg’schichten und Heiratssachen“ vermutet, liegt freilich gänzlich falsch. "Hier ist sicher niemand dabei, der den Workshop als Veranstaltung versteht, auf der man einen Partner finden kann“, stellt Jäggle klar. Auch mit dem alten Vorurteil, wonach nur Eigenbrötler oder Lebensuntüchtige therapeutische Nachhilfe in Lebens- und Beziehungsfragen in Anspruch nehmen, liegt man hier falsch. Persönlichkeitsentwicklung und Selbsterfahrung unter kundiger Anleitung - das ist es eher, worum es den meisten Workshop-Teilnehmenden geht.

Vom "Wir“ zum "Du“ und "Ich“

So mag es wenig verwundern, dass hier auch Nicht-Singles Anregungen für ihre Partnerschaft suchen. "Ich möchte in der Beziehung ein ‚Wir‘ schaffen, in dem es auch ein ‚Du‘ und ein ‚Ich‘ gibt“, verrät einer aus der Gruppe. Andere wollen beziehungsfähiger werden, sich dem Partner gegenüber ausdrücken lernen, gemeinsam Schwieriges bestehen können, von den Erfahrungen anderer lernen oder sich überhaupt erst darüber im Klaren werden, was sie von einer Beziehung erwarten können. "Ich möchte wissen, dass ich bei meinem Partner die Nummer eins bin, wissen, dass er mich meint“, überlegt eine Workshop-Teilnehmerin.

"Du hörst mir nicht zu!“, "Du nimmst mich nicht ernst!“, "Du lässt mich nicht gelten!“ und "Du schätzt mich nicht wert!“: Würden typische Vorwürfe in Beziehungen wie Bücher in einem Regal gesammelt werden, dann wären diese vier wohl die dicksten und bekanntesten Klassiker. Wobei diese Wälzer - zumindest nach Überzeugung von Anhängern der Imago-Therapie - meist von frühen Kindheitsverletzungen handeln: "Wer als Kind von den Eltern nicht gehört, gesehen, verstanden oder zu wenig wertgeschätzt worden ist, erwartet sich in einer Partnerschaft insgeheim, dass der andere diese alten Verletzungen heilt,“ erklärt Erwin Jäggle, selbst zertifizierter Imago-Paar-Therapeut und Mitbegründer sowie Obmann der Imago-Gesellschaft Österreich. Stattdessen aber flamme der Schmerz in Konflikten immer wieder auf, es komme zu hitzigen Reaktionen, die für den jeweils anderen Part oft nicht nachvollziehbar seien. "Dabei werden plötzlich archaische Gefühle aktiviert, die wir von früher gut kennen“, erklärt Jäggle. "Und wir machen unsere Partner verantwortlich dafür, dass sie unsere Defizite nicht erkennen und ausgleichen.“

Therapeutische Ebenbildfunktion

Die Imago-Therapie selbst ist ein Ansatz, der sich aus tiefenpsychologischen, psychoanalytischen, gestalttherapeutischen, systemischen und weiteren Elementen zusammensetzt. Der lateinische Begriff "Imago“ steht dabei für ein eingeprägtes "Bild“ von wichtigen frühen Bezugspersonen wie den eigenen Eltern, das alle künftigen Beziehungen beeinflussen soll. Ein Mann mit einer emotional eher kühleren Mutter könnte sich beispielsweise eher zu einer kühlen Partnerin hingezogen fühlen - obwohl eine warmherzigere Frau auf seine Bedürfnisse vermutlich besser eingehen könnte. Durch die Ebenbildfunktion aber haben die gewählten Partner trotzdem die Fähigkeit, alte Verletzungen im psychotherapeutischen Sinne zu heilen, so die Annahme.

Spezielle Imago-Workshops sollen helfen, dieses kindliche Erbe und den Konnex zur Partnerschaft besser zu durchleuchten, erklärt Erwin Jäggle. Wobei es sich zumeist auszahle, in eine angeschlagene Partnerschaft zu investieren. Denn eine der Imago-Grundthesen lautet: "Wir wurden in der Beziehung verletzt - wir können nur in der Beziehung geheilt werden.“ Konkret gehe es darum, angelernte, destruktive Schutzmuster, mit denen Menschen auf Bedrohungen reagieren, abzubauen und durch neue Muster zu ersetzen. "Man kann sich ja nichts ersparen, wenn man einfach die Beziehung wechselt“, warnt Jäggle, "denn die Probleme nimmt man in die nächste mit.“

Imagotherapeuten setzen in ihren Stunden deshalb auf einen ritualisierten Dialog. Er soll es dem Paar ermöglichen, in die Welt des anderen einzutauchen und über die eigenen Gefühle sprechen zu können. Entschuldigungen und Rechtfertigungen haben beim Formulieren keinen Platz, auch Vorwürfe und Beschimpfungen sind tabu. "Hinter jedem Vorwurf steckt schließlich ein Wunsch“, weiß der Therapeut. "Daher sollte man gleich den Wunsch formulieren, auf den der Partner reagieren kann.“ Ein solcher Dialog bestehe aus fixen Schritten: die Worte des Gesprächspartners spiegeln, also möglichst wortgenau wiederholen; das Gespräch zusammenfassen; die Botschaften des anderen gelten lassen - ohne seinen eigenen Senf dazu abzugeben; und sich schließlich in den Partner einfühlen.

Auch im Wiener Neustädter Single-Workshop werden solche Dialoge mit Alltagsthemen geübt: Eine junge Frau und ein Mann sitzen sich etwa in nächster Nähe gegenüber und sollen miteinander kommunizieren, Erwin Jäggle überwacht als Quasi-Schiedsrichter das - denkbar simple - Gespräch. "Ich bin heute mit dem Zug nach Wiener Neustadt gekommen,“ sagt die Frau, woraufhin ihr männliches Vis-à-Vis das Gesagte spiegelt: "Ich höre, du sagst, du bist heute mit dem Zug nach Wiener Neustadt gekommen. Habe ich dich gehört?“. Als die Frau nickt und lächelt, fordert er sie auf: "Erzähl mir mehr!“ Die Senderin präzisiert sodann "Ich bin vom Bahnhof aus zu Fuß ins Bildungszentrum gegangen“ - und der Empfänger wiederholt das Gehörte abermals. Als er bei einer Aussage nachhakt, weist ihn Erwin Jäggle prompt zurecht: Nur Spiegeln sei erlaubt. Wenn Botschaften nicht vollständig wiedergegeben werden können und sich der Sender nicht ganz "gehört“ fühlt, bittet der Empfänger: "Hilf mir, den Rest auch zu verstehen!“

Kritiker der Imago-Therapie bezweifeln, dass solche Dialoge tatsächlich beziehungserhaltend wirken. Manche betrachten diese Art künstlicher Kommunikation eher als "kindisch“ oder "schmachvoll“. Die Workshop-Teilnehmer geben hingegen positives Feedback: Irrationale Konflikte könnten leichter entschärft werden, wenn die Partner den Standpunkt des jeweils anderen richtig wahrnehmen und dessen Gültigkeit anerkennen würden, berichten sie. "Es geht nicht darum, ob dieser Standpunkt, richtig‘ oder, falsch‘ ist, sondern lediglich darum, dass er für den anderen, wahr‘ ist“, heißt es.

Geprägt seit Kindheitstagen

Manchmal bringt ein solcher Dialog sogar Ungeahntes zum Vorschein: Jäggle erzählt von einem Paar, das in seinem Workshop einen vorbildlichen Dialog hingelegt habe. "Auf meine Frage, wie sie sich dabei gefühlt haben, hat der Mann zur Verwunderung aller geantwortet: ‚Sie hat mir nicht zugehört.‘ Erst dann hat er begriffen, dass dieses ‚Du hörst mir nicht zu!‘ sein ständiger Begleiter seit Kindheitstagen ist - und imaginär.“

So sehr Erwin Jäggle als Imago-Therapeut seine Aufgabe darin sieht, beziehungserhaltend zu arbeiten: Auch er kennt verfahrende Situationen, in denen nur mehr Wunder helfen. "Manchmal sind die Ängste und die innere Verachtung schon so groß, dass man sich eigentlich nicht mehr sehen kann“, erklärt er in der Mittagspause seines Single-Workshops. "Einer der Partner geht dann nur mehr pro forma mit in die Paartherapie. Dann ist es zu spät.“

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