"Lieben, laufen, lernen"

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Georg Wick im Gespräch mit Elisabeth Nöstlinger über zweierlei Arten von Intelligenz, den Punchingball in seinem Büro und seine Gelassenheit gegenüber dem Tod.

Das Motto, das Georg Wick predigt, lebt er auch. Die vergangenen zweieinhalb Jahre hat er den Spagat gemacht: Er forschte in Innsbruck und war Präsident des Österreichischen Wissenschaftsfonds (fwf). Bis September wird er das auch bleiben. Doch das neue Leben hat für den 66-jährigen Alternsforscher, Biomediziner und Pathophysiologen schon begonnen. Er will sich wieder ganz der Grundlagenforschung widmen, Vorträge in Amerika halten, Konferenzen in Australien besuchen, Sport betreiben und sich gesund ernähren. Für Georg Wick die besten Voraussetzungen für "erfolgreiches Altern".

Georg Wick: Dass im Alter alles besser wird, ist Schönfärberei. Ich teile diese Meinung nicht. Der einzige Vorteil, den ich sehe, ist, dass man nicht mehr beliebt sein muss. Man kann viel mehr aus sich herausgehen. Körperlich und geistig gibt es kein Fortschreiten. Man muss daher versuchen, sein Potenzial auszuschöpfen und zu kompensieren. Arthur Rubinstein, der ja bis ins hohe Alter konzertierte, spielte vor den schnellen schwierigen Passagen ein wenig langsamer um die mangelnde Fingerfertigkeit zu kompensieren. Mit Erfolg.

Die Furche: Wie wörtlich ist Ihr Slogan "lieben, laufen, lernen" zu verstehen?

Wick: Unter lieben verstehe ich nicht nur Partnerschaft oder Sex bis ins hohe Alter. Ich verstehe darunter alle sozial wertvollen Kontakte. Es ist wichtig, sich in einem Freundes- und Familienkreis eingebunden zu fühlen. Ich habe eine wunderbare Frau, fünf Kinder und viele Enkelkinder. Das bedeutet mir sehr viel. Auch gute Gespräche sind sehr wichtig, um zu sehen, dass es auch andere Lebensweisen gibt als die eigene. Insbesondere von nahestehenden Personen kann man im Alter viel lernen. Das versuche ich. Unter laufen sollen ältere Menschen nicht nur joggen verstehen. Auf dem Asphalt ist das für die Gelenke sogar ungesund. Laufen, das heißt auf den Körper schauen - täglich etwas Sport betreiben und sich mediterran ernähren. Das bedeutet mit Olivenöl kochen, nicht täglich Fleisch essen, aber Obst und Gemüse. Ich halte mich daran.

Die Furche: Vor Ihrem Schreibtisch, im Wiener Büro des fwf, ist ein Punchingball fixiert. Ein ästhetischer Anblick, der die Möglichkeit bietet sich abzureagieren - und sportliche Ertüchtigung zugleich.

Wick: Das ist ein Geschenk von meinen Mitarbeitern zum 65. Geburtstag aus dem Museum für Angewandte Kunst. Es ist also mehr Kunstwerk als Sportgerät. Wenn man draufhaut, leuchtet der Ball rot. Ich hau' in der Früh immer ein paar Mal drauf, um mich mental in Form zu bringen.

Die Furche: Wie halten Sie sich körperlich in Form?

Wick: Ich betreibe täglich Sport. Ich fahre zum Beispiel in Innsbruck mit dem Fahrrad auf den halben Patscherkofel und ruhe mich in der Hütte aus. In Wien bin ich Mitglied in einem Fitness-Club. Und meine große Leidenschaft ist das Rudern. In meinem Ruderboot am Abend auf dem Millstätter See gegen Westen zu fahren, dann in der Mitte des Sees umzudrehen, das ist sehr romantisch. Das baut mich auf. Man sollte sich jeden Tag eine halbe Stunde Zeit nehmen, um Sport zu betreiben. Wenn es geht, auch länger.

Die Furche: Sie haben mit Ihrem Team bahnbrechende Ergebnisse in der Grundlagenforschung vorgelegt. Sie haben weltweit die ersten Antikörper produziert. Das ist Jahre her. Nun beschäftigen Sie sich damit, wie Arteriosklerose entsteht, Sie untersuchen, wie das Immunsystem auf Silikon-Implantate reagiert - über Ihre Forschungsergebnisse wird weltweit berichtet. Oft wird behauptet, Wissenschafter seien vor allem in jungen Jahren kreativ. Was bleibt im Alter? Wo sehen Sie künftig Ihre Aufgaben?

Wick: Wissenschafter unterscheiden zwei Arten von Intelligenz: die fluide und die kristalline. Erstere hängt mit der Fähigkeit des täglichen Lernens zusammen. Man könnte auch sagen, das ist die Software. Zweitere ist die Lebenserfahrung. Forschungen zeigen nun, dass man im Alter mehr Intelligenz haben kann als in jungen Jahren, weil sehr viel kristalline Intelligenz da ist.

Ich war jetzt zweieinhalb Jahre Präsident des fwf. Das war eine große Auszeichnung. Immerhin ist es die Organisation, von der die wichtigsten Impulse für die österreichische Forschung kommen. Ich verdanke meine Karriere dem fwf, ich wurde sehr unterstützt - dafür bin ich dankbar. Als Präsident habe ich nur angewandte Forschung betrieben, um in keinen Interessenkonflikt zu kommen.

Die Entscheidung, ob ich weiter machen, mich bewerben soll, ist mir nicht leicht gefallen. Es war aber eine Lebensentscheidung. Ich will wieder mehr Grundlagenforschung betreiben, ich will mehr über Alterskrankheiten wissen, welche molekularen und genetischen Ursachen sie haben; und ich will nicht nach Wien übersiedeln. Das wäre notwendig geworden, um mich ganz dem Amt widmen zu können.

Die Furche: Hängt das mit Ihrem Alter zusammen? Wollen Sie keine anstrengenden Veränderungen mehr?

Wick: Ich fühle mich nicht müde. Aber meine Kinder sagen, ich sei milder geworden. Das bereitet mir etwas Sorge.

Die Furche: Sie sagen das mit einem Lächeln. Profitieren Ihre Mitarbeiter von dieser Milde?

Wick: Junge, gute Mitarbeiter gehen viel unbefangener an Probleme heran. Falsche Altersweisheit kann hier kontraproduktiv sein. Aber manchmal sind auf Grund der Erfahrung die Ideen der Älteren doch besser. Wichtig ist die Mischung von Jungen und Älteren in einem Team. Die Älteren müssen zuhören können und lernfähig sein.

Die Furche: Sie sind im dritten Lebensalter. Denken Sie manchmal an das Lebensende?

Wick: Ich habe ein wunderbares Leben gehabt. Wenn es aus ist, ist es aus. Ich sehe diesem Moment gelassen entgegen.

Das Buch zur Sendereihe wird im Oktober im Styria-Verlag erscheinen.

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