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Schlagen, raufen, hänseln: Wie ist die Brutalität im Klassenzimmer zu bremsen?

Zwei Halbwüchsige haben sich in das gleiche Mädchen verschaut - und tragen diese kleine Unvereinbarkeit in der Pause mit den Fäusten aus. "Früher", meint Gökhan, "hätten wir alle nur zugeschaut oder gar gejubelt. Aber heute würden wir den Lehrer holen gehen." Mit der modischen Gelfrisur und dem schwarz-goldenen Adidas-Shirt sieht der 14-jährige Gökhan nicht gerade wie ein klassischer Streber aus. Doch auch ihm gingen die Eskalationen in seiner Klasse schön langsam zu weit: "Wir wollen ja in Frieden leben", meint er, "und nicht zum Streiten in die Schule kommen."

Von Anfang an galt die 3A-Klasse der Kooperativen Mittelschule Koppstraße im 16. Wiener Gemeindebezirk als besonders "schwierig". Dass heute ein gewisses Maß an Konfliktkultur herrscht, ist dem Engagement und der Flexibilität von Klassenvorstand und Direktor zu verdanken. Regelmäßig werden Mathematik-Stunden oder Einheiten zur Interessens- und Begabungs-Förderung geopfert, um das Vorgefallene zu thematisieren. "Früher wurden solche Anlässe in Klassenvorstands-Stunden besprochen", erzählt Judith Hazdra, die an der KMS Koppstraße unterrichtet und sich seit Jahren mit dem Thema Aggression und Gewalt in der Schule beschäftigt. "Doch diese Ressourcen wurden den Schulen durch die Sparpakete gestrichen."

Wöchentlich Schläge

Eine fataler Schritt - umso mehr, als immer mehr Schulpartner von Gewalterfahrungen berichten: In einer Online-Befragung des Vereins "Neustart" von 5454 Lehrkräften, 4509 Müttern und Vätern sowie 864 Schülervertretern stuften rund 80 Prozent Gewalt in der Schule als sehr großes bzw. großes Problem ein. Immerhin 30 Prozent gaben an, täglich bis wöchentlich mit Gewaltproblemen konfrontiert zu sein. Die meisten Auseinandersetzungen gibt es demnach in Sonder- und polytechnischen Schulen, wo 90 Prozent der Lehrenden von Schwierigkeiten berichten. An den Hauptschulen klagen 87 Prozent der Lehrer, an den AHS 75 Prozent der Pädagogen. "Nur" 52 Prozent sind es in den Berufsschulen.

Einhellig bemängelt wird das Fehlen von ausreichenden Präventionsmaßnahmen, etwa von ständig anwesenden Sozialarbeitern an den Schulen oder Konfliktregelungs-Angeboten für Schüler. Genauere Anregungen und Wünsche sammelt der Verein "Neustart" auf seiner Homepage, um daraus ein passgenaues Gewalt-Präventions-Programm zu zimmern. Bereits jetzt seien mehr als 11.000 Rückmeldungen eingegangen, erklärt Andreas Zembaty von "Neustart". Ab Herbst dieses Jahres soll den österreichischen Schulen ein entsprechendes Angebot zur Verfügung stehen - und auch wissenschaftlich evaluiert werden (vgl. Interview unten).

Schulpsychologen standby

Die Initiative ist ganz Sinn von Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SP). Bereits vor drei Wochen hat sie die Initiative "Weiße Feder" präsentiert, die unter anderem Verhaltensvereinbarungen in den Schulen vorsieht. Am Randes des "Schulgipfels", der sich Montag dieser Woche mit dem Thema "Lebensraum Schule - Arbeitsplatz Schule" befasste, präsentierte die Ministerin zudem eine neue IFES-Umfrage unter 800 Personen zum Thema Gewalt in der Schule. Demnach wünschen sich die Befragten vor allem eine intensivere Zusammenarbeit von Eltern, Lehrern und Kindern bei der Konfliktbewältigung, das Lernen von gewaltfreier Konfliktaustragung an den Schulen sowie eine gezielte Ausbildung der Lehrer auf diesem Gebiet. Auch der Einsatz von älteren Schülern als Vermittler bei Konflikten sowie der verstärkte Einsatz von Psychologen wird befürwortet. Ein Wunsch, den Schmied postwendend mit dem Vorhaben aufgriff, die Zahl der Schulpsychologen von 150 auf 180 zu erhöhen. Eine gute Absicht - aber für Andreas Zembaty von "Neustart" nicht genug: "Es braucht für Lehrer und Eltern die grundsätzliche Möglichkeit zum Vieraugen-Gespräch mit Expertinnen und Experten - und zwar standby."

Verpflichtende Fortbildung

Zumindest an drei Tagen in der Woche ist diese Stand-by-Beratung an der KMS Koppstraße Realität. Statt im Konfliktfall erst einen Termin bei einer Schulpsychologischen Beratungsstelle vereinbaren zu müssen, ist eine speziell ausgebildete Beratungslehrerin vor Ort und steht für Einzelgespräche zur Verfügung.

Judith Hazdra würde sich freilich noch mehr wünschen: "Es gibt etwa in der Lehrerfortbildung viele gute Angebote - aber die sind nur freiwillig", kritisiert sie. Hazdra selbst hat beim Wiener Verein "B.A.S.I.S." (Verein zur Vernetzung psychosozialer Berufsgruppen) ein Praktikum zum "Lehrer Peer" durchlaufen. Seit Jänner bietet sie nun gemeinsam mit einer Kollegin in der 2C-Klasse ein Gewaltpräventionsprogramm an. In einem Zwei-Stunden-Block pro Woche sollen die drei Mädchen und 24 (!) Burschen spielerisch lernen, mit ihren Gefühlen und Konflikten in der Gruppe kreativ umzugehen. Schon jetzt trägt das Konzept Früchte. "Wenn wir früher im Hof Fußball gespielt haben und jemand ein Tor nicht anerkannt hat, dann gab es immer eine Rauferei", erzählt der 12-jährige Kevin. "Wenn wir uns heute nicht einigen können, dann entscheiden wir das einfach mit Elfmeter."

Nähere Infos unter

www.vereinbasis.com

www.neustart.at

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