Lieschen Müller und der Kampf ums richtige Wort

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Bimbos, Nafris, Ösis - und dazu noch Donald Trump: Gedanken über die Klüfte zwischen sprachlicher Aggression und verschwurbelter Abgehobenheit - und eine Politik, die als Turbo dieser Fehlentwicklung agiert, statt Vorbild zu sein.

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Bimbos, Nafris, Ösis - und dazu noch Donald Trump: Gedanken über die Klüfte zwischen sprachlicher Aggression und verschwurbelter Abgehobenheit - und eine Politik, die als Turbo dieser Fehlentwicklung agiert, statt Vorbild zu sein.

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Am Anfang stehen Hass, Wut, Zorn. Dann wird Unsägliches verschriftlicht. Billige Effektheischerei ersetzt aufwändige Wahrheitssuche, das Ressentiment verdrängt die Recherche, Teilen kommt vor Prüfen. Dieser Wortwahnsinn macht sprachlos: Die angeblich sozialen Netzwerke bescheren der verbalen Auseinandersetzung eine neue Dimension von Gedankenlosigkeit bis Bösartigkeit. Das sichert ihnen auch zwei Seiten im "Plan A" von Bundeskanzler Christian Kern. Er will Facebook &Co. an die Kandare des Medienrechts nehmen, denn anders als Zeitungen sind sie bisher nicht für Aussagen zu belangen, die sie transportieren. Daneben steht viel über die Ausbildung "digitaler Zivilcourage-Messenger", aber nichts über Europa oder den Begriff "Vorbild". Doch alle Vorstöße sind Placebos, so lange Politik nicht insgesamt als positives Vorbild, sondern als Nutznießer bis Turbo der Fehlentwicklung agiert.

Babylonische Sprachverwirrung

Wobei der Fisch vom Kopf zu stinken beginnt - beim neuen US-Präsidenten. "Megyn Kelly als Bimbo zu bezeichnen wäre politisch nicht korrekt. Stattdessen werde ich sie nur eine leichtgewichtige Reporterin nennen!" schrieb Donald Trump am 27. Jänner 2016 via Twitter. Die Sätze sind ein gutes Beispiel für die von Digitalisierung und Globalisierung beförderte babylonische Sprachverwirrung. Doch Erklärungen benötigen mehr Platz als die höchstens 140 Zeichen eines Tweets, von denen Trump bisher 34.000 für seine 20 Millionen Follower abgesetzt hat. Erstens sehen Leichtgewichte anders aus als Megyn Kelly. Diese ist erst kürzlich zu NBC gewechselt - nach 13 Jahren beim rechtslastigen Sender Fox News, dessen Chef im Sommer 2016 zurücktreten musste, nachdem ihm seine Starmoderatorin sexuelle Belästigung vorgeworfen hatte. Auch Trumps Bimbo verwirrt angesichts der weißen Blondine: Hierzulande eher als rassistische Bezeichnung für dunkelhäutige Dienstboten bekannt, ist das Wort im Englischen gebräuchlicher zur Herabwürdigung attraktiver, aber im geistigen Sinne nicht besonders heller junger Frauen. Früher galt diese Kurzform des italienischen Bambino übrigens dem Schimpf auf verweichlichte Männer.

Die Bedeutung der Worte verändert sich also - wie auch die Grenzen des Sagbaren: Der bis heute meistverkaufte Krimi hieß 1939 in Großbritannien "Ten Little Niggers", aber in den USA bereits 1940 aus Rücksicht "And Then There Were None". 1944 noch als "Letztes Weekend" auf Deutsch erstveröffentlicht, wirkt es wie ein Hohn auf die Kindertage der politischen Korrektheit, dass Agatha Christies Bestseller ab 1985 wieder als "Zehn kleine Negerlein" verkauft wurde. Mittlerweile ist er zu "Und dann gabs keines mehr" umgetauft.

Nichts wirkt so trennend wie eine gemeinsame Sprache: Diese Abwandlung eines geflügelten Wortes über das Verhältnis von Deutschen und Österreichern birgt viel Erklärungspotenzial für die heute hilflos thematisierten Klüfte in unserer Gesellschaft: Erst die Piefkes, dann die Ösis, jetzt die Nafris. Die derart verkürzten Nordafrikaner können sich mit den nachbarlich zugeworfenen Schmähworten in ihren Gaststaaten trösten. Diesen droht längst ein Führungskräftemangel, weil sie - seit dem Gröfaz jegliche Hitlerei vermeidend - eher nach Leadership streben. Bei Otto Normalverbraucher (Nachkriegsbegriff?) ist solch rhetorische Sorgsamkeit jedoch so wenig angekommen wie bei Lieschen Müller das Gender-Problem. Nicht zuletzt der auf Wortknappheit getrimmte Journalismus prägt den Kampf ums richtige Wort zum elitären Zeitvertreib. Das Binnen-I der WissenschaftlerInnen bleibt Max Mustermann so fremd wie Paula Probefrau die Geschlechtsvermeidung Studierende.

Wenn Bildungsministerin Sonja Hammerschmid "Digitale Kompetenz" in den Lehrplan reklamiert, ignoriert sie die wachsende analoge Kluft in der Gesellschaft. Dass das Establishment über die Verrohung der Sprache erschrickt, ist vor allem dem erstmaligen Hinhören geschuldet. Jetzt kann sich der Stammtisch, den vermeintlich volksnahe Intellektuelle seit jeher bemühen, via Facebook nicht nur Gehör verschaffen, sondern sich sogar verschriftlichen. Was der Bildungsbürger von Charles Bukowskis "Notes Of A Dirty Old Man" bis zu Peter Turrinis "Rozznjogd" als Kulturgenuss verbuchen konnte, holt ihn jetzt auf den angeblich sozialen Medien ein. Da schreiben alle, wie sie reden, wie sie denken. Ja, dürfen s'denn des? Die Demokratie frisst ihre Kinder.

Logorrhoe gewordener Hass

Es fehlt weniger an digitaler Kompetenz als an kommunikativer Qualifikation und demokratischer Befähigung. Wutbürgertum und der Logorrhoe gewordene Hass von Sprachlosen sind letztlich nur Stilblüten der Hilflosigkeit. Es verschafft sich bloß Publikum, wer bisher keines hatte. Während die deutsche wissenschaftliche Sprache mit Verschwurbelungen Elfenbeintürme der Abgehobenheit betoniert, zelebrieren Politik und Medien die Annäherung an breitere Zielgruppen. Diese verschaffen sich über Asylanten wie Nafris in Tiraden Luft und werden als Stimmvieh genutzt, statt per Argumentation befriedet.

The real, der echte Donald Trump, wie er sich auf Twitter nennt, spielt indes auf dem Klavier der Verständlichkeit. Seine Tweets sind so derb wie jenes Leben, das die privilegierten einstigen Pförtner des öffentlichen Diskurses nie zur gemeinschaftlichen Wahrnehmung geadelt haben. Doch Digitalisierung und Globalisierung haben diese Büchse der Pandora geöffnet, die der mächtigste Mann der Welt nicht schließen wird. Er hat schon vor fünf Jahren in sein Smartphone getippt: "Mein Twitter ist so mächtig geworden, dass ich sogar meine Feinde dazu bringe, die Wahrheit zu sagen."

Der Autor ist Medienberater und Politikanalyst

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