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So die Parole, die 1957 von der Großversammlung in Sigmundskron ausgegeben worden war - und ein Auftrag an den damals frischgebackenen Parteiobmann der Südtiroler Volkspartei, Silvius Magnago, als dessen Lebenswerk die Autonomie der Provinz Bozen anzusehen ist. Im folgenden Gespräch gibt der heute 88-jährige Alt-Landeshauptmann von Südtirol, zweifellos eine der herausragenden Gestalten der europäischen Politik, Einblicke in die Anfangsphase einer bewegten Geschichte.

Die Furche: Zehn Jahre Streitbeilegung zwischen Österreich und Italien in Sachen Südtirol: Blicken Sie zufrieden auf Ihr Lebenswerk, die Südtiroler Autonomie, zurück?

Silvius Magnago: Wenn man über das Entstehen der Südtiroler Autonomie verständlich sprechen will, muss man schon sagen, dass es eine lange schwere Zeit war, die letzten Endes - ich kann das als großer Paket-Befürworter sagen - gut ausgegangen ist. Sie hat uns eine Autonomie gebracht, die natürlich noch besser, aber auch viel schlechter sein könnte.

Die Furche: Welche waren die entscheidenden Etappen auf diesem Weg?

Magnago: Nach 1948 gehörten wir Südtiroler zu einer Region - die Provinzen Trient und Bozen zusammengelegt - mit präkonstituierter italienischer Mehrheit. Diese Region hatte die Gesetzgebung in vielen wichtigen Materien. Die Provinz Bozen hatte im Wirtschaftsbereich als Zuständigkeit damals beispielsweise nur das Handwerk. Landwirtschaft, Industrie, Fremdenverkehr waren Sache der Region. So hat es die verfassungsgebende Versammlung, die 1947 in Rom stattfand, festgelegt. Wir hatten dort unsere Vorstellungen schriftlich vorgebracht. Damit war für die Italiener der im Pariser Vertrag festgelegten Forderung nach Anhörung der deutschsprachigen Bevölkerung auch schon Genüge getan. Aber man hatte unsere Vorschläge nicht berücksichtigt. Erst nachdem wir die Präfektur in Bozen gestürmt hatten, mit Gewalt in den Amtssitz der Präfekten eingedrungen sind, hat man uns nach Rom eingeladen.

Die Furche: Haben Sie diese Besetzung selbst miterlebt?

Magnago: Ich war damals 1947 auf dem Platz dabei. Wir waren etwa 500 Leute, haben uns hinter der Präfektur versammelt. Die Polizei hat versucht, das große Holztor zu schließen. Der Innerhofer, damals der Bauernführer, hat seinen schwer Genagelten (Schuh, Anm.) zwischen die Flügel getan, die nicht mehr zugegegangen sind. Wir haben sie mit Gewalt aufgedrückt und gut 100 sind hinauf bis ins Zimmer des Präfekten. Ich wär' mit meinen "Stecken" als Einbeiniger erdrückt worden, bin draußen geblieben. Unter dem Druck der Ereignisse hat der Präfekt dann in Rom angerufen. Darauf hin wurde eine Delegation von Südtirolern eingeladen, noch im Jänner nach Rom zu kommen.

Die Furche: Und was haben die dort erreicht?

Magnago: Es war so: Die Verfassunggebende Versammlung musste Ende Jänner 1948 das neue Statut genehmigen. Und die Südtiroler sind von der nach ihrem Vorsitzenden benannten Perassi-Kommission - zuständig für Autonomiefragen - empfangen worden. Es sei schon alles beschlossen, hieß es, aber vielleicht ließe sich das Eine oder Andere hinzufügen. Das Ergebnis: Das Unterland - vorher an Trient angegliedert - sollte wieder der Provinz Bozen zugeschlagen werden. Weiters wurde für Finanzfragen - für sie war die Region zuständig - eine Garantie-Klausel beschlossen: Da sollten beide Landtage getrennt mehrheitlich zustimmen müssen. Bei Nichteinigung sollte das Innenministerium entscheiden. Ich kann Ihnen sagen: Einige Male hat der Südtiroler Landtag gegen dieses Gesetz gestimmt. Und was geschah? Der Innenminister hat den Stempel darauf gegeben - und der Fall war erledigt. Die Klausel hat keine Wirkung gehabt.

Und dann noch der Artikel 14: "In der Regel übt die Region die Verwaltungsbefugnis aus, indem sie diese den Provinzen, Gemeinden und anderen örtlichen Körperschaften überträgt ..." Die Provinz hat also die Verwaltung. Als wir forderten, dass der Artikel 14 angewendet wird, hieß es: "Wir können doch die Region nicht entmannen!" Von Rom gab es die Weisung, ihn nur ja nicht anzuwenden. Da stand auch De Gasperi, den ich zwar schätze, aber der sich in manchen Dingen fragwürdig verhalten hat, dahinter.

Die Furche: Erfolge also nur auf dem Papier?

Magnago: Ja. Als der Artikel 14 nicht angewendet und dann noch eine Durchführungsbestimmung beschlossen wurde, die ein Witz war, sind wir aus der Regierung, die wir 1948 mit der DC gebildet hatten, ausgetreten. Die Strategie der Italiener war nämlich: Wir italianisieren weiter. Und wenn wir dann in der Provinz Bozen die Mehrheit haben, wenden wir auch den Artikel 14 an. So war das - allerdings nie ausgesprochene - Programm.

Die Furche: Können Sie illustrieren, wie die Italianisierung vor sich ging?

Magnago: Der einzige Punkt im alten Autonomie-Statut, der eine politische Bedeutung hatte, hieß Volkswohnbau: Die Provinz Bozen hatte dafür die Zuständigkeit. Das war für die Zuwanderungspolitik bedeutsam. Die italienische Regierung hat aber für diese Kompetenz keine Durchführungsbestimmungen erlassen. Neun Jahre, nachdem diese - wahrscheinlich einzige politisch bedeutungsvolle - Zuständigkeit eingerichtet worden war, bekam der Bürgermeister von Bozen vom Bautenminister ein Telegramm: Die Regierung habe beschlossen, in Bozen eine Satellitenstadt zu bauen. Das haben wir als Provokation angesehen. Damals haben wir gesagt: Jetzt müssen wir aufhören leise zu treten. So kam es 1957 - damals war ich schon Partei-Obmann - zur Großversammlung in Sigmundskron.

Die Furche: Warum Sigmundskron und nicht Bozen?

Magnago: Eigentlich wollten wir die Versammlung in Bozen abhalten. Weil die Neofaschisten aber mit einer Gegendemonstration gedroht haben, wurde dies abgelehnt.

Die Furche: Sigmundskron war für die Verantwortlichen in Ordnung?

Magnago: Als Parteiobmann bin ich zum Regierungskommissar gerufen worden. Man habe Informationen, hieß es, dass von Sigmundskron aus ein Marsch auf Bozen geplant sei. Da habe ich ihm - das ist ja so eine Redensart - gesagt: "Das kann ich Ihnen schriftlich geben, dass da nichts passieren wird." Schriftlich - da hat er ein Papier herausgezogen und ich habe unterschrieben, dass kein Marsch auf Bozen stattfinden würde. Er war selig, für ihn war das mehr wert als ein guter Scheck, und er hat mir darauf gesagt: "Sie haben allerhand Courage, Magnago!" Und so wurde die Kundgebung in Sigmundskron von der Polizei gestattet.

Die Furche: Welche Beschlüsse wurden dort gefasst?

Magnago: Natürlich ist wieder der Ruf nach Selbstbestimmung gekommen. Wenn 35.000 Menschen zusammenkommen, ist das verständlich. Aber ich habe damals beschließen lassen: Los von Trient, also Auflösung der Region und Übertragung der Zuständigkeiten auf die Provinz Bozen. Sollte dies nicht in einer politisch vertretbaren Zeit erfolgen, ersuchen wir jetzt schon Österreich, die internationalen Gremien mit diesen Forderungen zu befassen.

Die Furche: Wie ist die Versammlung in Sigmundskron abgelaufen?

Magnago: Ich habe dort eine furchtbar hitzige Stimmung angetroffen. Es hat gekocht, nicht zuletzt weil ich auf dem Weg hin in einen Stau geraten bin. Gott sei Dank ist ein Bekannter mit dem Motorrad vorbeigefahren. Ich bin also auf das Motorrad und im Slalom an den vielen stehenden Autos vorbei. So bin ich zwar spät hinaufgekommen, aber nicht zu spät. Um die Leute zu beruhigen, habe ich sie bei ihrer Ehre gepackt: "Ich habe mein deutsches Tirolerwort gegeben, dass die Protestkundgebung in Ordnung verläuft. Und so ein Wort muss für uns Gültigkeit haben!" Dann haben ein paar heraufgeschrieen: "Die anderen halten ihr Wort auch nicht!" Und I glei' runtergebrüllt: "Aber wir wollen do' besser sein als die anderen, oder?" Und dann hab' ich die Situation beruhigt. Es wurde das beschlossen, was ich mir vorgenommen hatte. Weil die ganze ausländische Presse den Mut, aber auch die Disziplin gesehen hat, hinterließ das Geschehen einen großen Eindruck.

Die Furche: Wie sehr haben die Attentate beim Zustandekommen des Pakets eine Rolle gespielt?

Magnago: Darüber gehen die Meinungen scharf auseinander.

Die Furche: Und wie sehen Sie das?

Magnago: Zuerst hatten die Südtiroler für die Leute gar nichts über. Wir haben die Hotels - sie wurden requiriert - mit Carabinieri und Polizei besetzt bekommen. Erst als man von den Folterungen gehört hat, haben die Betroffenen alle Sympathien von uns genossen. Was ich 15 Jahre nach den Attentaten im Jahr 1976 zu diesem Punkt bei der Landesversammlung gesagt habe, bleibt für mich auch heute gültig. Politische Probleme dürfen nicht mit Gewalt gelöst werden. Würde man die Anwendung von Gewalt als gültiges Mittel zur Lösung von Auseinandersetzungen anerkennen, könnte die Menschheit nie auf eine bessere Zukunft hoffen.

Die Ursachen für die Attentate sind allerdings ausschließlich in der Politik der damaligen italienischen Regierungen zu suchen. Durch ihre Verzögerungstaktik und die Nichteinhaltung übernommener Pflichten haben sie die Voraussetzungen dafür geschaffen haben. Man darf sich nicht wundern, wenn Südtiroler, die jahrelang zusehen mussten, wie man mit demokratischen Mitteln keinerlei Fortschritte erzielte, das Vertrauen in die Instrumente der Demokratie verloren haben. So ist es menschlich erklärbar, wenn diese Männer nach solchen bitteren Erfahrungen zu anderen Mitteln gegriffen haben in der Überzeugung, unserer Heimat einen guten und notwendigen Dienst zu erweisen. Niemand kann bestreiten, dass jene, soweit sie von dieser echten Überzeugung getragen waren, als Idealisten gehandelt haben. Viele von ihnen haben größte Opfer auf sich genommen im Einsatz für unser Volk. Dies soll auch anerkannt werden, wenn wir einmal vom Strafgesetzbuch absehen wollen.

Die Furche: Haben die Anschläge tatsächlich etwas gebracht?

Magnago: Wenige Tage nach den Anschlägen ist Innenminister Mario Scelba nach Südtirol gekommen. Wir hatten ein Vier-Augen-Gespräch. Er hat gesagt: "Ich erwarte jeden Tag einen kommunistischen Putsch in Italien und da heroben habe ich gar nichts gewusst!" Dann hat er mir gesagt, ich solle mit der Polizei mitarbeiten. Darauf ich: "Wenn ich weiterhin solche Nachrichten bekommen, dass Leute verhaftet und misshandelt werden, schließe ich die Möglichkeit einer Zusammenarbeit aus." Darauf Scelba: "Ich kann auch die Partei auflösen!" Hab ich gesagt: "Das können Sie schon, aber ich möchte Sie erinnern, dass wir eine starke Partei sind." Es war ein hartes Gespräch. Zuletzt hat er mir gesagt: "Ich fahre nach Rom zurück und werde der Regierung die Bildung einer Kommission vorschlagen. In ihr sollen Südtiroler, Trentiner und Regierungsvertreter sein. Sie hat beratenden Charakter und soll alle Probleme Südtirols durchgehen. Macht sie aber einstimmige oder fast einstimmige Vorschläge, werde die Regierung nicht umhin können, diese zu berücksichtigen."

Die Furche: Und als die Vorschläge vorlagen?

Magnago: Die Neunzehner-Kommission ist tatsächlich zu einem Ergebnis gekommen. Es wurde vom Partei-Ausschuss genehmigt und von Österreich, das dann mit Italien Verhandlungen aufnahm, zur Kenntnis genommen. Es kam zu Gesprächen zwischen Saragat und Kreisky. In Jahre währenden Verhandlungen entstand dann das Paket. In seiner Umsetzung sehe ich die Verwirklichung dessen, was wir uns in Sigmundskron gewünscht hatten.

Das Gespräch führte Christof Gaspari.

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