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Ein Alzheimer-Medikament wäre ein Milliarden Euro Molekül. Eine kleine Wiener Biotechfirma hofft, diesen medizinischen Jackpot zu knacken.

Über 26 Millionen Menschen leiden weltweit an Alzheimer. Bis zum Jahr 2050 soll die Zahl der Betroffenen aufgrund der demografischen Entwicklung gar auf mehr als 106 Millionen ansteigen. Die Medikamente, die derzeit zur Verfügung stehen, können lediglich die Symptome etwas lindern und einen kurzen Aufschub bewirken, stoppen oder gar heilen können sie den Gedächtnisverfall nicht.

Abgesehen von der enormen gesundheitspolitischen Herausforderung ist Alzheimer eine Krankheit, mit der sich viel Geld verdienen lässt. Der Markt für medizinische Produkte zur Alzheimerbehandlung beträgt bereits heute etwa 4,5 Milliarden Euro. Das Marktvolumen für einen Stoff, der gegen das Fortschreiten der Krankheit wirken könnte, wird sogar auf satte 15 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Kein Wunder also, dass fast alle einschlägigen Pharma- und viele Biotechunternehmen weltweit an Medikamenten forschen und einige dabei auf die Impfung setzen.

Hoffen auf den Durchbruch

Große Aufmerksamkeit widmen die Impfstrategien den genannten Beta-Amyloiden, die für die meisten Experten die Hauptschuldigen für den Gedächtnisverfall sind. Diese winzigen Proteinteilchen sind zwar auch bei Gesunden nachweisbar, im Gehirn von Alzheimerpatienten kommen sie aber vermehrt und als Verklumpungen vor.

Auch kleine Unternehmen hoffen auf einen Durchbruch. Zum Beispiel die österreichische Biotechfirma Affiris, ein Unternehmen mit rund 30 Mitarbeitern, das im Campus Vienna Biocenter im 3. Wiener Bezirk angesiedelt ist. Zwei Vakzine der Firma - AD01 und AD02 - werden derzeit in der klinischen Phase I jeweils an 24 Patienten getestet, nachdem präklinische Studien an Mäusen zeigten, dass das Fortschreitens der Beta-Amyloid-Bildung aufgehalten werden kann. In dieser ersten klinischen Phase geht es noch nicht um den Nachweis der Wirksamkeit am Menschen, sondern um Verträglichkeit und Nebenwirkungen. "Wenn alles optimal läuft, kann mit einer Zulassung eines Impfstoffes in sechs bis acht Jahren gerechnet werden", sagt Walter Schmidt, Geschäftsführer von Affiris. Die Betonung muss hier auf wenn liegen. Denn bis zum großen Durchbruch ist es noch ein weiter Weg, auf dem allerlei schiefgehen kann: Nebenwirkungen könnten auftreten oder es könnte sich - in der nächsten Studienphase - herausstellen, dass der Impfstoff keine signifikante Wirkung beim Menschen zeigt.

Allgemein ist man heute weniger euphorisch. Nicht zuletzt, weil man das Scheitern bereits erlebt hat. Als das irische Pharmaunternehmen Elan im Jahr 2000 auf dem Alzheimer-Weltkongresses in Washington erste Ergebnisse einer Impfstudie präsentierte, war von einer Sensation und von der unmittelbar bevorstehenden Immunisierung gegen das Beta-Amyloid die Rede. Die Patienten hatten eine Variante des Beta-Amyloids gespritzt bekommen, welches bei Mäusen eine Immunreaktion gegen Amyloid-Ablagerungen bewirkt hatte und somit die Anlagerungen verringern konnte. In einer späteren Studienphase entwickelte aber ein Teil der geimpften Personen eine Gehirnentzündung, mehrere starben daran. Die Studie musste abgebrochen werden.

Scheitern birgt Chancen

Doch obwohl der Traum einer einfachen Impfung damit vorerst geplatzt war, barg das Scheitern von Elan auch Chancen. "Zum Beispiel war es der Anstoß, Affiris zu gründen", erzählt Schmidt. Bei einem Bier nach der Arbeit unterhielten sich Schmidt und sein Kollege Frank Mattner, damals beide als Forscher im Bereich Infektionskrankheiten beim Biotechunternehmen Intercell tätig, über den Fall Elan. "Wir kritzelten auf einem Bierdeckel herum und uns war sofort klar, warum das Ganze schiefgehen hatte müssen." Man hatte einfach übersehen, dass bei einem Impfstoff, der dem körpereigenen Amyloid haargenau identisch ist, Autoimmunreaktionen auftreten können. "Wir nahmen an, dass sich bald weltweit dazu Wissenschaftler äußern würden", sagt Schmidt. Als das nicht der Fall war, beschlossen die beiden Forscher 2003, Affiris zu gründen. "Die Herausforderung war also, die Antigene so zu konzipieren, dass die von ihnen ausgelöste Immunantwort nicht auf die Gehirnzellen losgeht", erklärt Schmidt. "Unsere Affitope werden chemisch hergestellt und ahmen bestimmte Strukturen natürlicher Epitope - also jene Bereiche des Antigens, gegen die das Immunsystem Antikörper bildet - nach und sind in der Lage, therapeutische Antikörperreaktionen hervorzurufen." Da sie aber nicht direkt aus Bestandteilen des Antigens bestehen, sollen Autoimmunreaktionen verhindert werden. Und damit die Konkurrenz nicht auf die Idee kommt, Ähnliches zu versuchen, hat Affiris die Technologie schützen lassen. "Ich denke, wir haben mit unserem Patent keine Lücke offen gelassen", sagt Schmidt.

Er glaubt fest daran, dass mindestens einer der beiden Impfstoffe, die zurzeit getestet werden, erfolgreich sein wird. Und das hoffen auch die vielen kleinen Privatanleger, die ihr Geld als Risikokapital in den MIG-Fond stecken, über den Affiris großteils finanziert wird.

Das Rennen ist offen

Natürlich weiß Schmidt, dass die Projekte jederzeit scheitern können. "Klinische Studien stürzen laufend ab", stellt Schmidt nüchtern fest. "Auch wenn alles für den Erfolg unserer Impfstoffe spricht, können wir keine Garantie abgeben, dass es klappen wird." Daher setzt Affiris auf Risikominimierung. "Wir schicken mehrere Pferde ins Rennen", erklärt Schmidt die Unternehmensstrategie. Das Unternehmen forscht daher nicht nur an Alzheimerimpfstoffen, sondern auch an Mitteln gegen Arteriosklerose und Parkinson und gegen vier weitere chronische Krankheiten, die Schmidt zum aktuellen Zeitpunkt nicht verraten will: "Es handelt sich aber bei allen um attraktive Märkte."

Der Geschäftsführer ist auch überzeugt, dass die meisten Biotechunternehmen nicht aufgrund der wissenschaftlichen Leistungen scheitern, sondern wegen eines schlechten Managements. "Und dass wir in dem Bereich gut sind, haben wir ja bereits bewiesen", betont er. In der Anfangsphase seien sie öfters belächelt worden - heute würden die ersten Patienten mit ihrem Impfstoff geimpft - allein das sei ein großer Erfolg.

Übrigens: Auch Elan arbeitet längst wieder an der Entwicklung eines neuen Alzheimer-Impfstoffes. Wer den Wettlauf schließlich gewinnen wird, respektive ob die Idee, dem Vergessen mit einer Immunisierung beizukommen, nicht vielleicht überhaupt zum Scheitern verurteilt ist, ist heute aber im Grunde völlig offen.

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