"Mama, muss ich eh nicht in ein Hochhaus?" ziehen?"

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Kinder brauchen meist länger als die Erwachsenen, um Ereignisse wie den via TV erlebten Terroranschlag von New York zu verkraften. Der Familienberater Jan-Uwe Rogge rät den Eltern, "in die Angst hineinzugehen" und mit den Kindern offen darüber zu reden.

Kevin hat Angst. Er ist erst acht Jahre alt und hat die Katastrophe vom 11. September mit(üb)erlebt. Nicht als amerikanischer Volksschüler, der aus den Fenstern des Schulbusses auf die herabstürzenden Wolkenkratzer blickte. Auch nicht als Sohn eines Brokers, der Stunden um seinen Vater zittern musste. Nein. Kevin hat den Todesflug der Boeing in das WTC "nur" in Österreich, live vor dem Fernseher miterlebt und spielt deshalb jetzt - wie viele seiner Freunde - mit Legosteinen, Holzwürfel oder einem einfachen Papierflieger, wie Flugzeuge in Hochhäuser fliegen und diese dann unter lautem Getöse und Krach in sich zusammenbrechen. "Waren da auch Mamis dabei und die Kinder warten jetzt allein zu Hause?" Mit dieser und ähnlich lautenden Fragen sehen sich Eltern und Pädagogen nach derartig dramatischen Ereignissen konfrontiert. Jan-Uwe Rogge, Kommunikationsexperte und Familienberater in Deutschland empfiehlt: "Rückfragen und bei der Wahrheit bleiben".

"Glaubst du, dass auch Mamis in dem Hochhaus waren?" "Könnt' schon sein", würde Kevin dann wohl meinen. "Ja, könnte schon sein", würde die Antwort Rogges lauten. Der Autor des Bestsellers "Ängste machen Kinder stark" rät vor im furche-Gespräch vor allem, "in die Angst hineinzugehen".

Besonders für Kinder, die immer von furchterregenden Situationen ferngehalten würden, sei diese plötzliche Konfrontation ein harter Schlag. "Kinder können von den Schreckensbildern nicht ferngehalten werden", ist der Medienpädagoge überzeugt. Die Berichterstattung sei ja nicht nur aufs Fernsehen beschränkt - immerhin hatten alle Tageszeitungen Bilder der Terrorattentate auf der Titelseite.

Urängste brechen auf

Die Ereignisse von New York können ebenso wie das Flammeninferno von Kaprun keine Ängste erzeugen - diese Emotionen treten meist entwicklungsbedingt auf. Durch solche Katastrophen werden diese Gefühle jedoch aktiviert, sie brechen auf. Rogge spricht sich in diesem Zusammenhang zwar für einen vorsichtigeren Umgang mit den Medien aus, warnt aber gleichzeitig vor der "Bewahrpädagogik".

"Kinder können fernsehen" von diesem Grundsatz weicht der Medienpädagoge selbst in Grenzsituationen wie dieser nicht ab. Im Gegenteil, er betont sogar: "Kinder können Nachrichten ansehen!" Ein entsprechendes, kindergerechtes Angebot wäre dabei natürlich von Vorteil. Nachrichten an sich würden eben von Erwachsenen für Erwachsene gemacht. "In Sendungen wie ,Logo' werden solche Themen für Kinder nachvollziehbar aufbereitet", ist Rogge überzeugt und spricht damit die Kindernachrichten aus dem deutschen Fernsehen an.

Wie Kinder und Jugendliche auch immer von solchen Katastrophen erfahren, sie sind je nach Alter entwicklungsbedingt unterschiedlich betroffen. Ebenso können die Bilder und Worte rund um Krieg und Tod auch auf unterschiedliche Arten problematisch sein. Bei Kindergartenkindern kommt beispielsweise mit den Bildern der Explosion die Urangst vor dem Feuer hoch. Schulkinder und Pubertierende übertragen die medial verbreiteten Bilder hingegen auf die eigene Realität und werden somit besonders auf emotionaler Ebene getroffen. Der Traum, einmal persönlich die Plattform der Freiheitsstatue zu erobern weicht bald den Sorgen und Ängsten rund um die eigene Person. Die Angst vor Schmerz, Trennung und Tod machen den Anblick der Skyline von Manhattan unerträglich und so wandert das Poster von seinem Platz über dem Bett bald wieder zurück in die Schublade. Und das wahrscheinlich für eine lange Zeit, wenn nicht sogar für immer.

Bilder prägen sich in die Köpfe der Kinder weit tiefer ein als in die Gedankenwelt der Erwachsenen. "Spricht man österreichische Erwachsene beispielsweise auf die große Katastrophe vor einem Jahr an, so wissen sie nicht sofort, dass von Kaprun die Rede ist", berichtet Rogge aus seinem Beratungsalltag. In den Köpfen der Kinder sind die furchtbaren Bilder jedoch noch präsent. "Sie reagieren oft nicht sofort, sondern rücken manchmal erst ein Jahr später mit ihren Sorgen heraus", meint Jan-Uwe Rogge. Während Erwachsene solche Ereignisse also meist verdrängen, gehen derartige emotionale Angriffe bei Kindern tiefer.

So wird Kevin vielleicht noch Monate lang die Stockwerke jenes Hochhauses zählen, an dem er Tag für Tag mit der Straßenbahn vorbeifährt: "22, 23, 24 ..." Meist fährt der Zug bereits ab, bevor der Bub mit dem Zählen fertig ist. Und er ist froh darüber. Denn ganz sicher fühlt er sich nicht, wenn er an den Fensterreihen hinaufblickt. Vielleicht wird er seiner Mama nie davon erzählen, möglicherweise fragt er erst im nächsten Jahr: "Mama, bleiben wir eh immer hier und müssen nie in ein Hochhaus ziehen?"

Info-Tipp

www.jan-uwe-rogge.de

Unter dieser Internet-Adresse ist alles über Jan-Uwe Rogge, seine Bücher, Termine und Vorträge (auch in Österreich) zu finden.

www.flimmo.de

Hier werden aktuelle Medienthemen für Eltern und Pädagogen aufbereitet. Dazu gibt es auch immer wieder Medienerziehungstipps.

www.friedenspaedagogik.de

Auf dieser Seite sind Tipps zum Umgang mit den Medienberichten über die Terroranschläge in New York und Washington zu finden.

www.tivi.zdf.de/logo

Zum Nachlesen: Antworten auf die vielen Fragen von Kindern und Jugendlichen nach der Sendung "Logo" im ZDF.

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