"Man hat sich ein Stück auseinandergelebt"

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Arno Kompatscher will solidarisch mit dem Gesamtstaat Italien sein, aber angesichts zentralistischer Bestrebungen "verlorene Kompetenzen zurückholen". An den Wochenenden von Volksfest zu Volksfest zu tingeln sieht er nicht als seine Aufgabe.

Die Furche: Herr Landeshauptmann, als Sie zu Ihrem Antrittsbesuch in Wien waren, sind Sie im Bundeskanzleramt wie ein ausländischer Staatsgast behandelt worden. Muss sich ein Südtiroler in Österreich schon wie ein Ausländer vorkommen?

Arno Kompatscher: Nein, ich komme mir vor wie ein gern gesehener Freund.

Die Furche: Sind Sie ein Österreicher mit italienischem Pass oder ein Italiener mit deutscher Muttersprache?

Kompatscher: Ich bin Angehöriger der österreichischen Minderheit in Italien.

Die Furche: Haben Sie das Gefühl, dass in Österreich die Bindung an Südtirol noch sehr stark ist?

Kompatscher: Unterschiedlich. Man hat sich auch ein Stück weit auseinandergelebt. Gerade in den letzten Jahren gibt es aber viele Bemühungen, wieder etwas gemeinsam zu machen, insbesondere zwischen dem Bundesland Tirol und Südtirol.

Die Furche: Und die Beziehungen zwischen Wien und Bozen?

Kompatscher: Uns wird immer wieder versichert, dass Südtirol für Wien eine Herzensangelegenheit sei.

Die Furche: Warum hat man sich auseinandergelebt, wie Sie gesagt haben?

Kompatscher: Ich denke, dass man sich vor allem auf der gesellschaftlichen Ebene auseinandergelebt hat. Die beiden Länder haben andere kollektive Erlebnisse wie z. B. eine Fußballweltmeisterschaft. Das muss man zur Kenntnis nehmen.

Die Furche: Sie wollten ein neues Kapitel aufschlagen in der Geschichte Südtirols. Was steht da auf den neuen Seiten?

Kompatscher: Die Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene haben sich geändert. Wir haben die Debatte, wie es mit den Regionen in Europa weitergeht. In den Neunzigerjahren hat man die Idee eines Europa der Regionen gehabt und gedacht, die Regionen könnten womöglich die Staaten ersetzen. In den letzten Jahren hat man die Rolle der Regionen wieder zu stark vernachlässigt.

Die Furche: Es gibt aber doch einen neuen Regionalismus in Europa bis hin zu Sezessionsbestrebungen in Katalonien, Schottland

Südtirol ist nicht dabei. Warum?

Kompatscher: Großbritannien hat keine geschriebene Verfassung, deshalb konnte Cameron mit den Schotten die Volksabstimmung vereinbaren. In Italien und Spanien stellt sich die Lage ganz anders dar: Hier gibt es ein verfassungsmäßiges Verbot, Abtrennungen vorzunehmen.

Die Furche: Aber es gibt in Südtirol sehr wohl Gruppen und Parteien, die das Selbstbestimmungsrecht ausüben wollen. Die "Südtiroler Freiheit" hat bei der Wahl im letzten Herbst auch ein Mandat dazugewonnen.

Kompatscher: Die Gewinne der anderen deutschsprachigen Parteien (neben der Südtiroler Volkspartei) sind aber nicht nur darauf zurückzuführen. Die "Südtiroler Freiheit" hat nur dieses eine Thema gehabt. Das wird ihnen aber früher oder später auf den Kopf fallen, weil die Leute merken, dass die Versprechungen nicht realisierbar sind. Es gab aber auch andere Themen. Die Furche: Welche?

Kompatscher: Es herrscht eine Unzufriedenheit mit dem Staat Italien. Ausschlaggebend für die Wahlentscheidung waren vor allem ökonomische Gründe, interessanterweise. Früher waren es meistens soziokulturelle Gründe. Es ging um die Sorge vor dem Verlust der Sprache, der Identität, der Kultur, der Traditionen. Das steht jetzt nicht mehr im Vordergrund, weil man gesehen

hat, dass die Autonomie einwandfrei funktioniert.

Die Furche: Die ökonomischen Überlegungen könnten aber doch Sezessionsgedanken nähren. Nach dem Motto: Verlassen wir diesen Staat, bevor er untergeht.

Kompatscher: Wenn in ganz Europa die Nettozahler sich zu eigenen Staaten formieren wollen, kann die EU nicht zuschauen.

Die Furche: Bei Südtirol würde es aber nicht um einen eigenen Staat gehen, sondern um den Anschluss an Österreich. Und auf das Selbstbestimmungsrecht haben die Südtiroler nie verzichtet.

Kompatscher: Das Selbstbestimmungsrecht ist aber nicht gleichzusetzen mit dem Recht zur Sezession.

Die Furche: Sie haben versprochen, einen "unverkrampfteren Zugang" zu den Italienern in Südtirol zu suchen. Was heißt das?

Kompatscher: Die Italiener haben längst einen Bezug zur Autonomie entwickelt und sind zu Verteidigern der Autonomie geworden. Und zwar quer durch alle Bevölkerungsschichten. Deshalb habe ich auch von einem "Autonomiepatriotismus" gesprochen, der sich langsam entwickelt. Die Autonomie ist ein Instrument des Volksgruppenschutzes und wird es immer bleiben, sie ist aber auch ein Instrument, um modern verwalten zu können. Wir sind nicht unsolidarisch mit dem Staat, schauen aber, dass wir das Beste machen für unser Territorium.

Die Furche: Apropos solidarisch: Südtirol beteiligt sich an der Rückzahlung der italienischen Staatsschulden. Das könnte man sich in Österreich schwer vorstellen von einem Bundesland.

Kompatscher: Das ist schon länger so, wir haben uns jetzt aber auf eine niedrigere Summe geeinigt.

Die Furche: Sie wollen das Autonomiestatut "anpassen". Was bedeutet das, und wie weit sind Sie damit?

Kompatscher: Wir nutzen die Gelegenheit einer neuen, eher zentralistischen Staatsreform unter Ministerpräsident Matteo Renzi dazu, verlorene Kompetenzen zurückzuholen. Meine Aufgabe in den letzten Monaten war es, Renzi davon zu überzeugen, dass Südtirol mit seinem Statut wirklich eine Sonderstellung einnimmt, und zwar auch unter den anderen Sonderautonomien in Italien, weil wir erstens gut verwalten und zweitens auch unseren solidarischen Beitrag leisten.

Die Furche: Sie haben einen neuen Stil angekündigt und wollen nicht von "Wiesenfest zu Wiesenfest" tingeln. Damit machen Sie sich wahrscheinlich nicht sehr beliebt.

Kompatscher: Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich den Sonntag nur meiner Familie widmen werde. Das hat zunächst für Unmut gesorgt, ist aber inzwischen akzeptiert. Natürlich sehen mich die Vereine gern bei ihren Veranstaltungen. Ich gehe aber eher zu den Jahreshauptversammlungen, wo inhaltlich diskutiert wird.

Die Furche: Angeblich haben Sie bei einer Versammlung mit Italienern gesagt: Via la proporzionale -weg mit dem ethnischen Proporz bei den Postenbesetzungen. Und ebenfalls angeblich muss die Landesregierung bei jeder Sitzung Ausnahmen vom Proporz, vor allem im Gesundheitswesen, beschließen.

Kompatscher: Der ethnische Proporz hat zur Befriedung des Landes geführt, das ist unbestritten. Es gibt nicht ständig den Verdacht, dass eine Volksgruppe gegenüber der anderen bevorzugt wird. Er wird jetzt zunehmend zu einem Schutzinstrument für die italienischsprachigen Bürger im Land. Es ist ein starres Instrument, zugegeben, aber es ist noch kein besseres gefunden worden. Es gibt kein Tabu, das Instrument noch zu verbessern. Für bestimmte Sonderfälle, etwa bei der Besetzung von Primariaten in den Spitälern, muss es Ausnahmen gegeben. Es geht bei Spitzenpositionen oft um die Abwägung zwischen Leistung und Quote. Insgesamt muss der Ausgleich da sein. Das war auch meine Aussage bei der Versammlung.

Die Furche: Artikel 19 des Autonomiestatuts garantiert den Schulunterricht in der Muttersprache durch muttersprachliche Lehrer. Nun sollen bestimmte Fächer auch in der anderen Sprache unterrichtet werden, was zu Kritik geführt hat.

Kompatscher: Das Ganze erklärt sich dadurch, dass es inzwischen eine Grundsicherheit in der eigenen kulturellen Identität gibt. Wir wollen die Situation der Mehrsprachigkeit im Land besser dazu nutzen, dass die Kinder auch in den anderen Landessprachen gut unterwegs sind. Das sind momentan Pilotprojekte. Ein Problem bei uns ist, dass die Deutschsprachigen, die daheim Dialekt sprechen, zunächst die Standardsprache lernen.

Die Furche: Angeblich lernen viele Deutsche lieber Englisch als Italienisch.

Kompatscher: Das ist natürlich keine erwünschte Entwicklung. Dass die Kinder gut Englisch sprechen, ist sinnvoll, aber sie sollten die zweite Landessprache gut sprechen. Diese sollte als mindestens so wichtig angesehen werden wie Englisch. Das ist eine Frage der gesellschaftlichen Haltung. Die Furche: Haben Sie Wünsche an Wien?

Kompatscher: Dass es so weitergehen möge wie bisher. Ich habe in den zehn Monaten, die ich jetzt im Amt bin, erlebt, dass es sehr unkompliziert ist und man mit einem Telefonat schnell etwas erledigen kann. Die Furche: Wen rufen Sie an?

Kompatscher: Die erste Ansprechpartnerin ist die Generalkonsulin in Mailand, dann Außenminister Kurz.

Zur Person

Mit der Seilbahn an die Spitze des Landes

Arno Kompatscher ist seit 9. Jänner 2014 Landeshauptmann von Südtirol. Der 43-Jährige hat in Innsbruck und Padua Jus studiert und arbeitete dann kurz als Lehrer und Gemeindebediensteter. Von 2003 bis 2014 war er Geschäftsführer der Seiseralm-Seilbahn, zuletzt Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Völs am Schlern und Präsident des Südtiroler Gemeindeverbandes. Der sechsfache Familienvater setzte sich bei einer Urabstimmung in der Südtiroler Volkspartei mit einer 80-Prozent-Mehrheit als Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2013 durch. Nachdem die SVP bei der Wahl die absolute Mehrheit verloren hat, regiert sie wie schon bisher in einer Koalition mit dem linken italienischen Partito Democratico, der einen von sieben (außer dem Landeshauptmann) Landesräten stellt. (hw)

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