"Man konnte mit Tito Witze machen"

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Er war Titos Dolmetscher und hat darüber ein Buch geschrieben, das kommenden Montag präsentiert wird: der Schriftsteller Ivan Ivanji, der in Wien genauso zu Hause ist wie in Belgrad. Im Furche-Gespräch erläutert er seine Sicht auf die Nachkriegszeit in Jugoslawien und warum er an den Vielvölkerstaat geglaubt hat; und dass als Jude weder Israel noch Serbien versteht.

Die Furche: In Jugoslawien wurden Sie einmal gefragt, ob Sie Leninist seien, und Sie haben das klar verneint. War es nicht Voraussetzung, um im Schriftstellerverband zu reüssieren, KP-Mitglied und damit Leninist zu sein?

Ivan Ivanji: Ich war Mitglied des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens, also der titoistischen Partei - aus Überzeugung und nicht, weil ich mir irgendwelche Vorteile davon versprach, und ich habe die Ost-Kommunisten immer Stalinisten genannt, weil ich das so empfunden habe. Ich war überzeugt, dass die Selbstverwaltung eine Zukunft hatte, ich war für den "Kein-Partei-Staat", was der Bund der Kommunisten in seinem Programm hatte, aber nicht verwirklichen konnte. Man konnte auch mit Tito direkt Witze machen über solche Sachen.

Die Furche: Konnten Sie Tito gegenüber sagen, was Sie dachten, oder war das immer ein Gespräch unter strikter Selbstkontrolle?

Ivanji: Ich hatte relativ selten die Gelegenheit, mit ihm wirklich privat zu sprechen, denn als Dolmetscher kommt man hin und wartet, dass die Geschäfte anfangen. Aber es hat schon Gelegenheiten gegeben.

Die Furche: Eine Schlüsselpassage des Buches ist Ihre Frage an Vladimir Jovanovi´c, als er Außenminister unter Milosevi´c war: "Wann hast du eigentlich gelogen - früher, als wir derselben Meinung waren, oder schwindelst du jetzt?" Jovanovi´c hat geantwortet: "Ehrlich gesagt, ich habe mich früher verstellt." Ist das nicht ein Verhalten, das auf viele Politiker Ex-Jugoslawiens zutrifft - bis hin zu Milosevi´c ?

Ivanji: Dass Jovanovi´c das so offen gesagt hat, hat mich selbst überrascht. Wir waren sehr befreundet, und gelegentlich sehen wir uns auch jetzt noch. Zutreffen mag dieses Verhalten für viele.

Die Furche: Kann man daraus nicht schließen: Das Scheitern Jugoslawiens liegt schon im Tito-System, weil die Äußerungen der Politiker unter Zwang zustande kamen, und danach haben sich die wahren Einstellungen gezeigt.

Ivanji: Es geschah sicher unter Druck. Dennoch kann ich für meine Generation sagen: Wenn jemand nicht einen ausgesprochen muslimischen Namen hatte, habe ich überhaupt nicht gewusst, ob er Serbe, Kroate, Slowene oder sonst etwas ist. Das hat keinen von uns interessiert. Ich konnte mit Nationalismus nichts anfangen und kann es immer noch nicht. Ich verstehe als Jude auch Israel und die Palästinenser nicht, von den Albanern und Serben ganz zu schweigen.

Die Furche: Was durfte man als jugoslawischer Autor nicht schreiben?

Ivanji: Sicher konnte man nicht etwas Hässliches über Tito schreiben, über die Partisanenzeit erst allmählich, Anfang der fünfziger Jahre. Mit der Einführung der Selbstverwaltung begann eine offenere Atmosphäre. Es waren die ersten Jahre, die sehr hart waren - aber nicht nur bei uns, auch in Frankreich oder Norwegen -, wo Rache wichtiger war als Recht.

Die Furche: Darum wundert es mich, dass Sie nach drei Jahrzehnten das Tito-Regime in so mildem Licht erscheinen lassen, die Gewalt der Gründungszeit ausblenden und sich zu den unschuldig Ermordeten der Nachkriegszeit nicht äußern.

Ivanji: Im Roman "Das Kinderfräulein" habe ich das Schicksal der so genannten Volksdeutschen oder Donauschwaben so beschrieben, wie es war, weil ich das für meine Aufgabe hielt; aber ich habe dem auch entgegengestellt, was den Juden in derselben Gegend passiert ist, weil das mein Thema war. Und ich muss sagen: Ich weiß nicht, was ich 1945-47 getan hätte, wenn ich älter gewesen wäre. Ich war Gott sei Dank zu jung, um Kommandant eines Konzentrationslagers für Volksdeutsche zu sein. Ich kann nicht die Hand ins Feuer legen, wie ich mich benommen hätte.

Die Furche: Aber muss man das Tito-Regime nicht doch als Diktatur, als Totalitarismus bezeichnen, weil es auf diesen Grundlagen errichtet war?

Ivanji: Diese Grundlagen sind meiner Meinung nach 1948, nach dem Bruch mit Stalin, in einigen Jahren vollkommen verschwunden.

Die Furche: War der Pomp, die Hofhaltung, die Tito in Brioni und anderswo betrieben hat, nicht etwas Abstoßendes, typisch für eine Diktatur?

Ivanji: Mir hat es nicht gefallen. Aber bedenken Sie auch, dass er kein Privatvermögen gehabt hat, dass seine Kinder und Enkel wie normale Menschen aufgewachsen sind. Und das gilt für alle Leute aus seiner Zeit: Keiner ist privat reich geworden; sie haben sich ein anständiges Leben gegönnt. Tito ist in der Welt herumgefahren mit einem umgebauten Bananenfrachter. Das Haus auf Brioni - so etwas haben auch deutsche Zahnärzte, von Fernsehstars gar nicht zu reden. Und man muss auch bedenken, dass die Arbeitsplätze und die Gehälter in Titos Jugoslawien so sicher waren wie im Osten und man in der Welt frei herumfahren konnte, als sei man im Westen.

Die Furche: Haben Sie den Zerfall Jugoslawiens vorhergesehen? Wie haben Sie gedacht, dass es nach Titos Tod weitergehen wird?

Ivanji: Im ersten Jahr war ich überzeugt, dass es halten wird. Da hatte ich zumindest gehofft, das System der kollektiven Führung könnte so funktionieren wie in der Schweiz. Aber es ist anders gekommen. Ich bin 1987, als Milosevi´c mit einem parteiinternen Putsch an die Macht gekommen ist, aus dem Bund der Kommunisten ausgetreten mit der Begründung: Ich habe den Eindruck, dass die Partei aus sich selbst ausgetreten ist. Ich habe Milosevi´c privat gekannt und gewusst, das ist ein böser Mensch, aber ich habe nicht gedacht, dass es so schlimm wird.

Die Furche: Sie schreiben, dass die NATO-Bombardements nur Milosevi´c genützt haben.

Ivanji: Damit hat man natürlich absolut nichts erreicht. Man hat nur zivile Schäden verursacht, militärische fast gar nicht. Milosevi´c ist gefallen, weil ihn die Serben abgesetzt haben. Wenn die NATO nicht bombardiert hätte, wäre es einfacher gewesen. So ist es heute noch schwer, in Serbien mit proeuropäischen und demokratischen Gedanken umzugehen.

Die Furche: Wie sehen heute Ihre Zukunftshoffnungen für Serbien aus?

Ivanji: Im Augenblick kann ich mir keine positive Zukunft ausmalen. Die Serbische Radikale Partei, die stärkste Partei im Lande, ist faschistoid und könnte bei den nächsten Wahlen an die Macht kommen. Sie haben jüngst wieder ein Plakat im Parlament aufgerollt: Wir sind ein sicheres Haus für Mladi´c. Mladi´c ist für viele ein Held und kein Mörder.

Die Furche: Sind Sie noch zu Hause in Belgrad?

Ivanji: Ich fühle mich in meiner Wohnung, in meinem kleinen Arbeitszimmer mit unserer dortigen Familie zu Hause. Und als Schriftsteller ist man sowieso Emigrant, egal wo man lebt. Ich habe mich in Österreich freilich nie als Emigrant gefühlt; ich bin Altösterreicher vom Großvater her. Doch als Schriftsteller ist man Emigrant.

Das Gespräch führte Cornelius Hell.

Von Buchenwald nach Belgrad und Wien

Seine Eleganz, sein wacher Blick und seine Erzählfreude machen jedes Treffen mit dem Schriftsteller Ivan Ivanji unvergesslich. Ob Serbisch seine Muttersprache ist oder Deutsch, weiß er nicht, und mit Ungarn spricht er fließend Ungarisch. In Zrenjanin (Großbetschkerek) im Banat, wo er 1929 geboren wurde, war das normal. "Wenn Hitler und Himmler nicht gewesen wären, hätte ich gar nicht erfahren, dass ich Jude bin", sagt Ivanji. Er hat Auschwitz und Buchenwald überlebt. In den Romanen "Schattenspringen" und "Der Aschenmensch von Buchenwald" sind diese Erfahrungen verarbeitet. Ivanji studierte in Belgrad Germanistik, war Journalist, Theaterdirektor und Diplomat (1974-78 in Bonn). Seit 1992 wohnt er auch in Wien, wo er sich gerne an alte Freunde wie Milo Dor oder György Sebestyén

erinnert, der ihn als Furche-Autor gewann.

Im neuen Buch "Titos Dolmetscher. Als Literat am Pulsschlag der Politik" beschreibt Ivanji seine Begegnungen mit führenden Politikern wie Willy Brandt, Walter Ulbricht oder Bruno Kreisky und Erinnerungen an die KSZE-Gründungskonferenz 1975 in Helsinki oder die Gipfelkonferenz der Blockfreien in Havanna 1979.

Das Buch wird am Montag, 15. Oktober um 19 Uhr im Kreisky-Forum, Armbrustergasse 15, 1190 Wien präsentiert. Mit dem Autor diskutieren u. a. der ehemalige jugoslawische Außenminister Goran Svilanovic´, der serbische Botschafter und Autor Dragan Velikic´ und Wolfgang Petritsch.

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