"Man möchte uns hier VERNICHTEN"

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Auf Zypern spiegeln sich Macht und Gier der Großen wider. Eine Entdeckungsreise in einem Land in der Krise: politisch, wirtschaftlich und als Gesellschaft.

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Auf Zypern spiegeln sich Macht und Gier der Großen wider. Eine Entdeckungsreise in einem Land in der Krise: politisch, wirtschaftlich und als Gesellschaft.

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Die Leute hier haben jetzt 20 Jobs", erzählt Giorgos. Wenngleich das übertrieben sein mag, ist der Taxifahrer, der uns zu Mittag vom Flughafen in Larnaca abholt, selbst sichtlich übermüdet von der zusätzlichen Arbeit während der Nachtstunden. Die Menschen seien verunsichert, auch die Gäste aus dem Ausland. "Gott sei Dank ist der Tourismus im Vorjahr nur um sieben Prozent zurückgegangen." Nachdem Giorgos geklärt hat, dass seine deutschsprechenden Mitfahrer ja nicht aus Deutschland, sondern aus Österreich kommen, legt er mit einer Schimpftirade los. Die Wut auf die deutsche Bundeskanzlerin, "Frau Merkel", ist groß. Wie auf die Troika generell. Das "Dreigespann" aus Europäischer Zentralbank (EZB), Europäischer Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF) ist auf der südöstlichsten Spitze des politischen Europas mehr als negativ punziert.

"Man möchte uns vernichten. Obwohl wir eine 5000 Jahre alte Geschichte haben." Redselig, aber verzweifelt lässt Andreas die Leidenschaft für sein Land aufflackern und kurz in die Seele der gespaltenen Insel blicken. Seine Frau Christina versucht, ihn zu bremsen und raunt ihm Worte zu wie "halte dich zurück". Das Ehepaar geht gemeinsam fünf verschiedenen Jobs in und in der Nähe der Hafenstadt Limassol nach. So können sie mit dem gemeinsamen Haushaltsbudget das Auslangen finden.

Draußen vor der Tür parkt unscheinbar ein Jaguar -allerdings ohne der verchromten Tier-Figur auf der Motorhaube. Deshalb war der Wagen in England günstiger zu haben und so konnte er ihn sich überhaupt leisten, schildert Andreas. Der gedrungene, leicht untersetzte Etwa-60-Jährige ist überzeugt: "Deutschland und Griechenland wussten von den finanziellen Machenschaften auf Zypern." Was sich im März des Vorjahres als Desaster entpuppte, müssen die Zyprioten bis zum heutigen Tag und darüber hinaus alleine ausbaden.

An der Beinahe-Pleite

"Jeder, der in einem Geschäft etwas mitgehen lässt, wird bestraft." Hingegen die Verantwortlichen der Beinahe-Pleite Zyperns würden immer noch frei herumlaufen. Ungerecht sei denn auch, dass die Banken Geld zurückhalten. "Wir dürfen nur 20 Prozent unserer Ersparnisse abheben!"

Fragt man Andreas zur möglichen Wiedervereinigung der griechisch-türkischen Insel, meint er nur artig: "Die Vereinten Nationen versuchen, einen neuen Plan auszuarbeiten. Hoffen wir auf eine Lösung."

Beim gescheiterten Referendum 2004 über den 9000 Seiten umfassenden Annan-Plan hätte die Insel-Republik die Förderrechte für das Erdgas vor ihrer Küste an die USA abtreten müssen. "Können Sie sich das vorstellen?", echauffiert sich der kleine Mann. Im Übrigen leben praktisch keine Türkisch-Zyprioten mehr im Land. Die moslemischen Ureinwohner Zyperns seien längst nach Großbritannien ausgewandert. Tatsächlich sei inzwischen die türkische Bevölkerung Nord-Zyperns aus Ost-Anatolien zugewandert bzw. hier angesiedelt worden.

Oberflächliche Entspannung

Das Verhältnis der Republik Zypern zur völkerrechtlich nicht anerkannten "Türkischen Republik Nordzypern" hat sich in den vergangenen Jahren oberflächlich betrachtet ein wenig entspannt. Der internationale Druck machte das möglich. Die UNO und die EU finanzierten auch Renovierungen zerstörter oder verfallener Infrastrukturen im Norden.

Vor zehn Jahren wurden wieder einige Grenzübergänge zum türkischen Teil geöffnet. Die Touristen freut's. Auch neureiche Russen und Briten, die mit dem sprichwörtlichen Geldkoffer Stammgäste in den Casinos sind. Das Glücksspiel ist im "regierungskontrollierten" Süden nämlich bis dato untersagt.

Annie betreibt so etwas wie eine Greißlerei. Sie bietet in ihrem Geschäft an der Südküste Waren aller Art an, von Lebensmitteln bis zu Spielsachen. Zu kaufen gibt es hier auch die billigeren Zigaretten aus dem türkischen Norden. Das ist verboten. Aber wer schert sich schon darum? Wenn es ums wirtschaftliche Überleben geht, ist einem das eigene Hemd einfach näher.

Ionas wirkt wie ein unternehmerischer Tausendsasser. Er vermietet Autos, Wohnungen und Villen in der Nähe von Paphos. Die Gegend um die ehemalige Insel-Hauptstadt punktet seit einigen Jahrzehnten mit den antiken Ausgrabungen. Und mit Golfplätzen. Jetzt fehlt das Geld für Investitionen. Investoren aus China oder den Vereinigten Arabischen Emiraten stehen daher Tür und Tor offen. Kürzlich wurde in Paphos ein riesiges Einkaufszentrum eröffnet, die Monatsmiete für ein Geschäftslokal wird mit 3500 Euro angegeben. Die alte "Mall" steht leer. Einen Modernisierungsschub erhofft sich Paphos bis 2017: Dann darf es sich gemeinsam mit dem dänischen Aarhus mit dem Titel "Europäische Kulturhauptstadt" schmücken.

In der touristischen Hochsaison betreibt Ionas in seinem Heimatdorf sogar ein Restaurant samt Diskothek im Kellergeschoss. Er lebte, wie viele andere Zyprioten auch, in Großbritannien. Die Beziehungen zur ehemaligen Kolonialmacht sind nach wie vor sehr eng. Er studierte dort -und kehrte in seine Heimat zurück. Die betagten Eltern waren Landwirte. Jetzt führt Ionas den landwirtschaftlichen Betrieb. "Ich hänge daran", gesteht er, "dass ich die Landwirtschaft weiterführe, bin ich meinen Eltern schuldig".

20 verschiedene Machthaber

Ist eine Wiedervereinigung der seit dem Einmarsch türkischer Truppen vor 40 Jahren geteilten Insel (siehe rechts) überhaupt möglich? "Das Hauptproblem ist das fehlende Vertrauen", erläutert Petros. "Die beiden Seiten liegen sehr weit auseinander. Und die innenpolitische Situation in der Türkei ist nicht gerade hilfreich", so Petros' Einschätzung, der in der Hauptstadt Nicosia eine PR-Agentur betreibt. Die Zyprioten wollen in der derzeitigen Wirtschaftskrise jedenfalls nicht noch mehr unter Druck gesetzt werden, sondern in Ruhe arbeiten.

Über Zypern regierten im Laufe der Jahrtausende gefühlte zwanzig verschiedene Machthaber, ob Ägypter, Venezianer, Griechen, Engländer, Türken oder Russen, ob Moslems, Juden oder Christen. "Das Leben in Zypern war nie einfach", meint Lina Ellina. Die Autorin betont in ihrem Roman "Der Venezianer" die geopolitisch wichtige Lage. Bloß: "Die Herrscher hat lediglich interessiert, aus der Insel Profit zu schlagen auf Kosten der Einwohner und der natürlichen Ressourcen."

Für John ist Zypern tatsächlich so etwas wie eine alte Heimat. "Ich komme aus Aberdeen in Schottland und war zum ersten Mal 1970 als junger Soldat hier", berichtet er bereitwillig. Die UNO schickte damals Friedenstruppen, weil zwischen den Türkisch-Zyprioten und den Griechen-Zyprioten ein latenter Bürgerkrieg schwelte. "Seither hat sich viel verändert", sinniert John. Politisch sind sich die verfeindeten Lager aber nicht viel näher gekommen. John betreibt zu Hause in Schottland eine Tierhandlung. Mit Jahresende will er in Pension gehen und sich auf Zypern niederlassen. Im vereinten Europa geht das ja.

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