Manager müssen Mut machen

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Krisenmanagement kann man vom Polarforscher Ernest Shackleton lernen, er führte seine Mannschaft aus einer Eishölle.

Im Sommer 1914 entschwindet eine Polarexpedition beinahe aus der Welt, um fast hundert Jahre später in der Literatur wieder aufzutauchen. Ihr Expeditionsleiter war der legendäre Antarktis-Forscher Sir Ernest Shackleton (1874-1922). Ein Gentleman, Charmeur und Abenteurer, dessen Charisma schon zu Lebzeiten berühmt war.

Die fulminante Endurance-Expedition, Shackletons dritte Reise ins Ewige Eis, und die Rettung der Mannschaft ist eines der kühnsten Abenteuer des 20. Jahrhunderts und der historische Bezugspunkt für diesen Artikel. Bei dieser phänomenalen Geschichte aus der Antarktisforschung wurden die Fehler zum eigentlichen Ereignis, wie: eine ungenügende Schiffskonstruktion, Schiffbruch, wenig bis keine Nahrung, Hilfe von außen unmöglich uvm. Daher beruht Shackletons Bedeutung heute mehr auf den Fähigkeiten seiner Führungskunst als auf seinen Erfolgen als Polarforscher.

Im August 1914, am Vorabend des Ersten Weltkrieges, brach eine sorgfältig ausgewählte Mannschaft von 27 Männern mit der eisgängigen Endurance von England auf. Das Ziel war die Durchquerung der Antarktis. Anfang Dezember 1914 verließ die Expedition den letzten Außenposten der Zivilisation, die Walfängerinsel South Georgia im Südatlantik. Im ungewöhnlich kalten antarktischen Sommer blieb die Endurance nach langer Irrfahrt durch die Eisfelder nur eine Tagesreise vor ihrem Ziel, der Vahsel Bay, im Packeis stecken.

Eingeschlossen vom Eis

Im Oktober 1915 zerdrückten die Eismassen die äußerst stabile Endurance. Schlagartig waren die Männer Schiffbrüchige in einer der am schwersten zugänglichen Regionen der Erde. In ihren Rettungsbooten erreichten sie Elephant Island, eine unbewohnte Insel weit ab von allen Schifffahrtsrouten. Im April 1916 brach Shackleton mit fünf Kameraden in einem sieben Meter langen Rettungsboot zu einer hoch riskanten Reise auf. Im stürmischsten Meer der Welt mussten sie 800 Seemeilen nach South Georgia segeln, um Hilfe zu holen. Anfang Mai 1916 erreichten die Männer die falsche Seite der Insel. Sie waren einerseits am Ziel und andererseits doch noch immer weit davon entfernt.

Shackleton durchquerte mit zwei Männern das vergletscherte und noch nie zuvor betretene Inselinnere. In den Schuhsohlen Schiffsnägel als Steigeisenersatz. Sie erreichten die Walfangstation nach einem 36-stündigen Gewaltmarsch. Nach drei fehlgeschlagenen Versuchen gelang mit dem chilenischen Schiff Yelcho die Rettung der Mannschaft von Elephant Island. Erst am 30. August 1916 kamen die Expeditionsmitglieder zurück in die Zivilisation. Alle Männer überlebten die Strapazen der Endurance-Expedition mit einer Gesamtdauer von 635 Tagen. Ausgangspunkt war die Idee, als erster Mensch die Antarktis zu Fuß zu durchqueren. Shackletons Plan griff erstmals 75 Jahre später Reinhold Messner auf und vollendete ihn auch in 92 Tagen auf einer Strecke von 2800 Kilometern. Shackletons Geschichte ist vielleicht die bemerkenswerteste Expedition von allen in der Geschichte der Antarktis. Die Mannschaft aus der weißen Hölle herauszuholen war eine Leistung, die bei der Erforschung der Polarmeere nie übertroffen wurde.Die erfolgreiche Rettung aus dem Grenzbereich des Möglichen war der Führungskunst Shackletons zu verdanken.

Loyalität erreichen

Shackletons Führungskunst ist auch über lange zeitliche Distanzen hinweg noch wirksam. Seine hervorstechendste Eigenschaft war die Fähigkeit, bei seinen Männern Loyalität zu erreichen. Was seine Männer daran hinderte zusammenzubrechen, war seine Willenskraft gepaart mit Optimismus.

Der fast fanatische Wunsch, seine Leute lebendig zurückzubringen, wurde seine Triebfeder. Es war das Einzige, was ihn interessierte. Selbst wenn er mit dem Rücken zur Wand stand, ging er auch noch punktuell ein hohes Risiko ein, um das Überleben seiner Leute zu sichern. Shackleton meisterte mit Bravour viele Probleme in Zeiten höchster Bedrängnis und begrenzter Ressourcen. Er hatte Fähigkeiten, die weit über ein profan fachliches Wissen hinausgingen. So hielt er seine Mannschaft über 635 Tage zusammen und regte ihre Motivation an.

Emotionale und kommunikative Begabungen sind auch heute maßgeblich am Erfolg beteiligt. Wer andere Personen nicht auch menschlich überzeugen und begeistern kann, dem nützen die besten Fachkenntnisse wenig. Immer mehr Unternehmen erfassen die Bedeutung und rufen nach diesen Befähigungen. Und das zurecht.

Führungsqualität ist kein Zufall. Je eher man sich von diesem Gedanken verabschiedet, desto besser. Man sollte vielmehr Fragen stellen und in Frage stellen, ob man sich in seiner Führungsaufgabe auf einem guten Weg befindet. Und das täglich aufs Neue.Führungsqualität wird sichtbar, wenn man die Herzen der Mitarbeiter erreicht. Führungskunst schafft es, den Bedürfnissen des Unternehmens und denen der Arbeiter und Angestellten gerecht zu werden. Um das zu erreichen, ist die Beantwortung einiger zentraler Fragen hilfreich:

* Was kann getan werden, damit die Mitarbeiter mehr Verantwortung übernehmen?

* Wie kann man das Potenzial der Mitarbeiter freisetzen?

* Wie muss ein Unternehmen aussehen, damit die Mitarbeiter morgens gerne in die Arbeit gehen?

Die einzige Führungskompetenz, die wirklich zählt, ist die, die die Führungspersonen von ihren Mitarbeitern freiwillig und mit vollem Bewusstsein eingeräumt bekommen. Shackletons Männer machten genau das.

Shackleton heute

Menschen in Führungsverantwortung müssen heute in Grenzbereichen oder idealerweise bereits zuvor ihren Mitarbeitern Mut machen. Shackleton führte auf gleicher Augenhöhe. Damit unterschied er sich von vielen seiner Zeitgenossen. Auch von vielen Menschen, die aktuell Führungsverantwortung tragen.

Shackletons Fähigkeit lag darin, jeden Expeditionsteilnehmer seine Wertschätzung spüren zu lassen. Seine Geschichte soll inspirieren, Ziele zu erreichen, damit sich die Stärken der Menschen entwickeln können. Führen heißt, Leben in Menschen wecken, Leben aus ihnen hervorlocken. Doch bevor man andere führen kann, muss man in der Lage sein, sich selbst zu führen.

Der Polarforscher engagierte insbesondere auch Expeditions-Teilnehmer, die über größere Fähigkeiten als er selbst verfügten. Eine wesentliche Eigenschaft einer sehr guten Führungspersönlichkeit ist die Neigung, sich mit Mitarbeitern zu umgeben, die besser und schlauer sind, als sie selbst. Alles, was Manager brauchen, sind gute Leute.

Immer positiv denken

Wer sich mit Shackleton beschäftigt, begreift schnell, dass der Führungsverantwortliche bei einer Expedition nicht im größten Zelt wohnt. Umgelegt auf die Wirtschaft bedeutet das, dass der Konzernchef nicht im obersten Stockwerk sitzen sollte, sondern bestmöglich einer unter vielen ist, dessen Stimme aber mehr bewirkt. Eine erfolgreiche Führungsfigur tut mehr, als von ihr erwartet wird, und passt sich geschickt an schnelle Entwicklungen an.

Shackleton war stets eine positive Figur mit grenzenlosem Überlebenswillen und hatte enormes Verantwortungsbewusstsein für seine Teammitglieder und eine bemerkenswerte Philosophie für seine Expedition. Er hielt sein Versprechen, alle lebend wieder nach Hause zu bringen. Der Name Ernest Shackleton wird immer über die Welt der Polarforscher hinausleuchten. Er gab und gibt den Menschen eine Ahnung davon, wozu der Mensch fähig ist.

"Die Menschen - seine Männer - waren ihm letztendlich wichtiger als Erfolg, Ruhm und Ehre. Ernest Shackleton teilte mit ihnen buchstäblich den letzten Bissen, und auch sie hätten alles für ihren, Boss' gegeben", schreibt Josef Hoflehner (Fotograf) im Nachwort im Buch "Mythos Shackleton".

Die Autoren sind Diplompädagoge/Wirtschaftsingenieur sowie Diplomökonom.

"MYTHOS SHACKLETON" Manager müssen Mut machen

Von Peter P. Baumgartner, Rainer Hornbostel, Böhlau Verlag, Wien 2007, 251 Seiten, geb., € 29,90

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