Manchen Menschen ist Schönheit alles wert

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dieFurche: Es wird heute viel über Lifestyle-Pillen gesprochen und geschrieben. Welche Medikamente faßt man unter diesem Begriff zusammen?

Ernst Singer: Man meint damit Medikamente, die bei einer sehr ernst zu nehmenden Krankheit angewendet werden, die jedoch über ihr Anwendungsgebiet hinaus auch gesunde Menschen einnehmen, um gewisse Effekte zu erreichen. Lifestyle-Pillen sollen, wie schon der Name sagt, das Lebensgefühl verbessern und, scheinbar, mehr Freude am Leben vermitteln. Ein Beispiel dafür ist die Schlankmacher-Pille Xenical. Es verhindert die Fettaufnahme im Darm. Jetzt liegt es natürlich nahe, daß auch Menschen, die nicht an Fettleibigkeit leiden, dieses Medikament einnehmen wollen. Menschen, die vielleicht zwei bis zehn Kilo Übergewicht haben und eine schöne Bikini-Figur anstreben. Das müssen außerdem reiche Menschen sein, denn vom Arzt bekommen sie das Medikament bestenfalls verschrieben. Die Krankenkassen zahlen Xenical nur bei echter Fettleibigkeit. Und wir sprechen hier über relevante Beträge, um Tausende Schillinge.

dieFurche: Für welche Menschen ist Xenical sinnvoll?

Singer: Xenical ist derzeit das einzige in Österreich erhältliche Medikament, das tatsächlich bei der Krankheit Fettleibigkeit wirkt. Beim Großteil der Patienten, die das Gefühl haben, daß sie etwas zu dick sind, wäre die wirksamste Möglichkeit aber eine Diät verbunden mit einer Umstellung der Lebensweise. Das führt garantiert zur Gewichtsabnahme. Denn Xenical hat auch unangenehme Nebenwirkungen. Es bleibt nur ein kleiner Prozentsatz von Menschen übrig, bei denen es alleine mit einer Diät nicht funktioniert. Und nur diese Menschen bräuchten das Xenical.

dieFurche: Wenn Xenical so unangenehme Nebenwirkungen hat, warum nehmen dann viele Menschen dennoch diese Schlankmacher-Pille?

Singer: Es ist für viele Menschen viel schwieriger, eine Diät zu halten als eine Pille zu schlucken. Das sieht man, wenn man diverse Illustrierte durchblättert. Sie sind voll von sogenannten Wundermitteln zur Gewichtsabnahme. Diese Mittel sind erwiesenermaßen wirkungslos. Es ist aber anscheinend kein Unsinn zu groß, als daß er nicht geglaubt wird. Man nimmt auch lieber zur Kenntnis, daß eine gewisse Chance besteht, bei sechs aus 45 zu gewinnen und ignoriert, daß etwa für Raucher die Chance, Lungenkrebs zu bekommen, höher ist.

Die Verlockung ist groß. Schlank zu sein ist heute ein Modediktat. Man braucht nur den Fernseher aufzudrehen. Manche Models, die Mode präsentieren, sind sichtbar krank. Es wird suggeriert, daß alle Menschen so ausschauen müssen. Früher hat man sich an Waden und Armen Schienen befestigt, damit sie dicker aussehen. Das würde heute wohl niemandem mehr einfallen. Das ist Zeitgeist. Jetzt müssen wir alle schlank und dünn sein. Und da wird man leicht verleitet, ein Mittel wie Xenical zu verwenden. Aber noch einmal: Xenical ist ein ausgezeichnetes Medikament, wenn es richtig eingesetzt wird.

dieFurche: Xenical ist nicht die einzige Lifestyle-Pille. Wie schaut es bei Viagra aus?

Singer: Viagra ist für Patienten gedacht, die schwerwiegende Probleme haben. Etwa für Diabetiker, die oft unter krankhaften Gefäßveränderungen leiden. Außer bei Patienten mit Herzproblemen scheint Viagra nach derzeitigem Wissensstand nicht wirklich gefährlich zu sein, wenn es bestimmungsmäßig angewendet wird. Manche Menschen bringen sich aber durch einen leichtsinnigen Gebrauch um. Und das ist das Problem. Man kann natürlich als 80jähriger nicht das Leben eines 20jährigen führen. Dann wird man vielleicht doch einen Infarkt erleiden. Als 70jähriger kann man auch keinen Marathon mehr laufen.

dieFurche: Was ist in Österreich, punkto Lifestyle-Medikamente in naher Zukunft zu erwarten?

Singer: In der klinischen Prüfung ist derzeit das Haarwuchsmittel Finasterid. In den USA und in Deutschland ist Finasterid als Haarwuchsmittel unter dem Namen Propecia bereits zugelassen. Wenn Finasterid jahrelang konstant eingenommen wird, dann verdichtet sich der Haarwuchs. Allerdings nicht sehr viel, nur um etwa zehn Prozent. Wird das Präparat abgesetzt, fallen die Haare wieder aus. Finasterid ist ein Hormonpräparat und hat natürlich Nebenwirkungen. Die Risiken sind nicht unerheblich. Für Frauen ist Finasterid sehr gefährlich. Es kann zu Mißbildungen bei Ungeborenen führen. Das geht sogar soweit, daß Frauen zerbrochene Tabletten nicht angreifen sollten. Auch scheiden Männer das Finasterid in der Samenflüssigkeit aus. Hier ist ebenfalls für Frauen Vorsicht geboten, wenn sie schwanger sind. Da stellt sich mir dann doch die Frage: sind zehn Prozent mehr Haarwuchs irgendein Risiko wert? Andererseits: welcher Mann hat schon gerne schütteres Haar und eine Glatze? Hier muß jeder für sich das Risiko abwägen. Übrigens wird Finasterid unter dem Namen Proscar seit Jahren zur Behandlung von Prostataproblemen eingesetzt. Jedoch in höheren Dosierungen. Nur kostet der gleiche Wirkstoff im - als Haarwuchsmittel verkauften - Propecia das Sechsfache. Daraus ersieht man, daß manchen Menschen Schönheit offenbar alles wert ist. Und daran verdient die Pharmaindustrie.

dieFurche: Wieviel wird mit solchen Lifestyle-Pillen weltweit umgesetzt?

Singer: Das ist wohl jenseits der Vorstellungskraft. Einen Einblick konnte man bei Viagra gewinnen. Wie damals die Aktienkurse des Pharmakonzerns Pfizer, Hersteller von Viagra, nach der Markteinführung der blauen Pille nach oben geschossen sind, ist beinahe unglaublich.

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