Inklusion - Inklusion, Integration, Freundschaft, diversity - © Pixabay / Michal Jarmoluk

Marianne Wilhelm: Homogene Gruppen gibt es nicht

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Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung und auf individuelle Förderung, ob es hochbegabt ist, oder durchschnittlich, ob es mit einer Krankheit, oder mit einer Behinderung leben lernen muss. In Österreich gibt es viel zu tun, damit inklusive Pädagogik im Alltag umgesetzt werden kann.

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Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung und auf individuelle Förderung, ob es hochbegabt ist, oder durchschnittlich, ob es mit einer Krankheit, oder mit einer Behinderung leben lernen muss. In Österreich gibt es viel zu tun, damit inklusive Pädagogik im Alltag umgesetzt werden kann.

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Marianne Wilhelm, Lehrbeauftragte an der Pädak des Bundes in Wien und an der Universität Bozen, über Inklusion und individuelle Förderung.

DIE FURCHE: Frau Wilhelm, worin besteht der Unterschied zwischen Integration und Inklusion?
Marianne Wilhelm: Die Integration ist eine Vorbedingung für Inklusion - wobei wir in der praktischen Umsetzung der Integration erleben, dass sie nach wie vor defizitorientiert gehandhabt wird. Meist gibt es eben eine Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs, um die so genannten behinderten Kinder von den normalen zu trennen und dann entsprechende Ressourcen zuzuordnen. Inklusion steht hingegen dafür, dass alle Menschen gleich sind, weil sie Menschen sind, egal in welcher Form sie uns entgegentreten, und dass sie die gleichen Rechte haben. Für uns bedeutet das etwa, dass jedes Kind ein Recht hat auf individuelle Förderung - das hoch begabte ebenso wie das schwerst behinderte.

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DIE FURCHE: Wie weit ist man im österreichischen Schulsystem bei der Umsetzung dieser Vision in die Praxis?
Wilhelm: Bei uns ist es ganz stark abhängig von den Personen, die in den Integrationsklassen stehen. Es gibt Lehrerinnen, die dem Prinzip der Inklusion schon sehr nahe sind - so weit das System das ermöglicht. Systembedingte Probleme sind etwa die Notenbeurteilungen. Das passt überhaupt nicht zur Idee der Integration. Viel besser wäre die Beurteilung mit Hilfe von Portfolios, also mit Hilfe von Arbeiten der Kinder. Es gibt aber auch ganz viele Lehrerinnen und Lehrer, die gar nicht freiwillig in einer Integrationsklasse stehen, sondern nur aus personalpolitischen Überlegungen dort gelandet sind. Das Hauptproblem ist, dass es keine wirkliche Qualitätsüberprüfung gibt im Sinne einer Unterstützung dieser Menschen.

DIE FURCHE: Zuletzt wurde an Österreichs Schulen über den Rückgang von Stützlehrern geklagt. Wie schlägt sich das im Bereich der Integration nieder?
Wilhelm: Ganz dramatisch. Viele Eltern sagen schon: Wenn ich in der Integrationsklasse die notwendigen Ressourcen für mein Kind nicht mehr bekomme, dann schicke ich es wieder in die Sonderschule. Es lässt sich schon zahlenmäßig belegen, dass wieder mehr Kinder in die Sonderschulen kommen. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie innerhalb von vier Jahren ein System, das wirklich für Chancengerechtigkeit gesorgt hat, zerstört werden kann.

DIE FURCHE: In Österreich können derzeit Integrationsklassen bis zum Ende der Schulpflicht geführt werden ...
Wilhelm: Wir müssen aber auch weiterdenken: Jene, die nach der Schulpflicht ins Berufsleben gehen, haben etwa in der Berufsschule keine Garantie darauf. Insgesamt gibt es für mich keine Regel dafür, wie weit Integration gehen soll. Wenn ein Kind in eine Integrationsklasse eingebunden ist und es den Wunsch hat, in die Mittel-oder Oberstufe mitzugehen, um in dieser Gruppe weiter lernen und leben zu können, dann ist das legitim. Das Ziel ist ja nicht, dass dieses Kind Matura macht, sondern dass es im Sinne eines individuellen Lehrplans eigene Lernziele verfolgt.

DIE FURCHE: Was braucht es insgesamt, um der Vision eines inklusiven Unterrichts näher zu kommen?
Wilhelm: Neben einer ausreichenden Zahl an Stützlehrern muss natürlich auch der Unterricht geöffnet werden. Ständiger Frontalunterricht lässt sich mit inklusiver Pädagogik sicher nicht vereinbaren. Das wesentlichste aber, was in den Köpfen der Pädagogen umgeschaltet werden muss, ist die alte Vorstellung: "Ich habe eine homogene Gruppe vor mir." Das hat nämlich niemand.

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